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SWR-Diskussion in Bad Bergzabern: Leute spezial: „Nie wieder Krieg?“

16. November 2014 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße

Podiumsdiskussion: v.li.: Podium von links: Roland Blach, Deutsche Friedensgesellschaft, Johannes Clair, Afghanistan-Veteran, SWR1-Moderatorin Claudia Deeg, angehende Abiturientin Romy Hoffart, Fotograf und Gründer der Hilfsorganisation Feed the hungry Jean-Pierre Rummens und der Jugendoffizier der Bundeswehr, Christoph Lammel.
Fotos: v. privat

Bad Bergzabern – „Die Bundeswehr ist kein THW in Uniform“, sagte der Jugendoffizier der Bundeswehr Christoph Lammel am Freitagabend in der Aula des Alfred-Grosser-Schulzentrums Bad Bergzabern bei SWR1 „Leute spezial“ zum Thema „Nie wieder Krieg? Wird der Ausnahmezustand zum Normalfall?“

„Meine Generation hat nie Bombeneinschläge gesehen; Krieg ist für uns keine Realität, aber Berichte aus modernen Kriegen, so wie der hier, sind das, was zu uns durchdringt, nicht Berichte aus dem Geschichtsbuch“, sagt die angehende Abiturientin Romy Hoffart.

Damit macht sie dem Afghanistan-Veteranen Johannes Clair an diesem Freitagabend (14. November) ,in der Aula des Alfred-Grosser-Schulzentrums eine Freude. Er hat das Buch „Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan“ geschrieben, nachdem er von seinem Einsatz zurückkam.

Er will, dass in Deutschland über die Einsätze der Bundeswehr gesprochen wird. „Ich bin nach Afghanistan gegangen, weil ich verstehen wollte, was da passiert, denn hier wurde nie darüber gesprochen. Das ist gefährlich für eine Demokratie“, sagt Johannes Clair.

Er sitzt gemeinsam mit Romy Hoffart und drei weiteren Gästen auf der Bühne der Aula, wo er im SWR1-„Leute spezial“unter der Leitung von Moderatorin Claudia Deeg über das Thema „Nie wieder Krieg? Wird der Ausnahmezustand zum Normalfall?“ diskutiert.

„Wir züchten da die nächste Generation von Terroristen“

Roland Blach von der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG), der neben Johannes Clair sitzt, kritisiert den Afghanistankrieg. „Warum gab es 2001 einen Automatismus, mit dem die Bundeswehr den USA in den Krieg gefolgt ist?“, fragt er. Er kritisiert auch, dass der Einsatz nicht nachhaltig sei: „Wir züchten da die nächste Generation von Terroristen.“

Schützenhilfe bekommt Blach später aus dem Publikum von Albrecht Müller, Betreiber der Nachdenkseiten, früherer Wahlkampfmanager von Willy Brandt (SPD) und Leiter des Planungsbüros des Kanzleramts unter Helmut Schmidt (SPD): „Macht es Sinn, den Schutz vor dem Krieg im Militäreinsatz zu suchen? Ich finde, dass das ganze Podium einem klarmacht, dass der Afghanistan-Einsatz ein Schuss in den Ofen war. Die frühere deutsche Politik des Versuchs der Verständigung sollte wiederholt werden.“

Dem entgegnet der Jugendoffizier der Bundeswehr, Christoph Lammel, was passiere, wenn alle friedlichem Mittel nicht mehr helfen. „Der Militäreinsatz ist dann das letzte Mittel, die ultima ratio.“ Und er fügt hinzu, er finde es verlogen, zu sagen: Ab einem bestimmten Punkt muss man Militär einsetzen, aber nicht unseres.

Roland Blach von der Deutschen Friedensgesellschaft kann Krieg als ultima ratio auch als Pazifist zumindest nachvollziehen; „aber es sind halt im Moment nicht alle Mittel zur friedlichen Lösung ausgeschöpft worden“, wirft er der Politik vor. Er fordert, dass die UNO gestärkt werden müsse.“

Dabei ist es an diesem Abend nicht so, dass zwei Seiten unversöhnlich aufeinandertreffen. Auch Christoph Lammel, der 2012/13 selbst für ein gutes halbes Jahr in Kundus war, sagt, dass im Afghanistan Einsatz ab 2009 nur noch Schadensbegrenzung und Gesichtswahrung betrieben worden sei, um das zu retten, was vorher schiefgegangen sei.

Auf die Frage von Abiturientin Steffi Müller, ob es überhaupt einen erfolgreichen Bundeswehreinsatz gegeben habe, antwortet er, dass es z.B. in Afghanistan oder in Bosnien-Herzegowina heute zumindest etwas besser sei, als vor den Einsätzen unter anderem der Bundeswehr.

Allerdings könnten Soldaten keinen Frieden schaffen, sagt Johannes Clair, der Afghanistan-Rückkehrer. „Soldaten können nur Zeit verschaffen für Verhandlungen“, erklärt er, kritisiert aber, dass genau das in Afghanistan nicht erfolgt sei. Allerdings könne er den Beruf des Soldaten grundsätzlich empfehlen. Soldaten seien nötig, um Konfliktparteien zu trennen – „wie eine Pausenaufsicht“, erklärt er. Er habe seine Berufswahl nie bereut, obwohl er bis heute mit den psychischen Folgen des Einsatzes zu kämpfen habe.

Die deutsche Öffentlichkeit müsse sich aber stärker mit dem Einsatz der Bundeswehr im Ausland beschäftigen und eine bewusste Entscheidung für oder gegen das Eingreifen treffen. Außerdem müsse man immer fragen, wessen Interessen in einem Krieg verfolgt werden, so Johannes Clair. Auftraggeber der Bundeswehr sei in einer Demokratie letztlich das Volk. „Im Prinzip tun wir alle hier doch alles, damit die Verhältnisse erhalten bleiben, zum Beispiel, wenn wir Kleidung kaufen, die mit Sklavenarbeit hergestellt wurde“, mahnt der Afghanistan-Veteran.

Keine Strategie? Das ist typisch deutsch

Romy Hoffart aus der Jahrgangsstufe 13 hat nicht das Gefühl, dass der sogenannte „Stabilisierungseinsatz“ in Afghanistan irgendetwas stabilisiert habe. Entsprechend bemängeln mehrere Teilnehmer auf dem Podium, es habe in Afghanistan keine Strategie gegeben. Jean-Pierre Rummens, Kriegsfotograf und Gründer der Hilfsorganisation „feed the hungry“ mahnt daraufhin, dass die Forderung nach einer Strategie typisch deutsch sei.

„Aber ein Einsatz ist Afghanistan ist nicht wie eine Fahrt von Rheinland-Pfalz nach Hessen. Man sei mit Herausforderungen konfrontiert, die man daheim nicht planen kann. Ich empfehle Barmherzigkeit mit den Soldaten. „Die Männer da halten ihren Kopf hin“, mahnt er. Dabei sei er gegen Krieg, sei auch nie bei der Bundeswehr gewesen, aber er sei bei seiner Hilfsarbeit doch oft dankbar für den Einsatz der Soldaten gewesen, sagt Jean-Pierre Rummens.

Johannes Clair macht der Politik den Vorwurf, es sei über den Einsatz gelogen worden. Christoph Lammel gesteht zu: Die Bundeswehr ist nicht das THW in Uniform. Das Brunnenbauen und Mädchenschulen ist eine Legende. Das habe die Bundeswehr zwar auch gemacht, das sei aber nie ihre Hauptaufgabe gewesen.

Roland Blach bleibt die ganze Veranstaltung über bei seiner Meinung, dass Kampfeinsätze möglichst vermieden werden sollten. Man müsse in den Schulen mit der Friedenserziehung anfangen, z.B. mit Streitschlichterseminaren, dann wachse von unten hoch, dass man Krieg nicht mehr brauche.

Dem entgegnet Jugendoffizier Lammel: „Ich bin absolut bei Ihnen, aber was tun wir, wenn der andere da nicht mitmachen will?“ Auch Soldat Johannes Clair zweifelt: „Ich glaube, dass der Mensch so nicht funktioniert . Wer von uns ist wirklich bereit, im Alltag friedlich auf die anderen zuzugehen?“

Jean-Pierre Rummens meint: „Erst muss der Mensch sich ändern, bevor es Frieden geben wird.“ Dazu passten die Beiträge der Theater-AG des Gymnasiums im Alfred-Grosser-Schulzentrum, mit denen die Veranstaltung eingeleitet wurde: „Alle Straßen münden in Verwesung“ zitieren sie Grodek von Georg Trakl. Ein Leichnam wird von Mutter Courage über die Bühne gezogen. Dann ruft ein Darsteller: „Ihr seht nur diese Rache und denkt nicht daran, dass ihr sie dszu angetrieben habt.“ Es gebe keinen schönen individuellen Tod mehr, nur noch anonymes, kaltes Sterben.

Diese und andere Sätze zum Thema Krieg zitieren die Darsteller aus Bertolt Brechts „Mutter Courage“ und aus Peter Weiss „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“. Die Darsteller unter Leitung von Berthold Blaes waren Larissa Rohde, Roman Schulte, Sarah Forbat, Lara Abele, Jan Kuroczik und Jorit Hopp.

Am Ende gibt Romy Hoffart, die im kommenden Frühjahr ihr Abitur macht, zu bedenken, dass die Frage, ob Krieg sinnvoll ist auch nach Jahrhunderten der Erfahrung mit Gewalt immer wieder eine individuelle sei. (mv)

 

Publikum mit (2. V. rechts): Albrecht Müller, Betreiber der Nachdenkseiten und früherer Wahlkampfmanager Willy Brandts (SPD) sowie Leiter des Planungsbüros des Kanzleramtes unter Helmut Schmidt (SPD).

Claudia Deeg (SWR), Romy Hoffart (angehende Abiturientin).

Theater-AG des Gymnasiums: Roman Schule, Janine Kuroczik.

Theater-AG des Gymnasiums: Lara Abele, Sarah Forbat, Jorit Hopp.

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