Donnerstag, 25. April 2024

Schul-Theater-AG spielt im Baukasten der Revolution – Rezension von Eleonore Beinghaus

5. Mai 2013 | Kategorie: Regional

Eindringliches Spiel der Darsteller der Schul-Theater-AG Bad Bergzabern. Foto: Beinghaus

Kann die Bühne die Welt verändern? Diese Frage beschäftigte viele Dramatiker und vor allem nach dem 2. Weltkrieg veränderte sie das Theater. Doch ist ein Theater, das nach Ideal und Wirklichkeit von Revolutionen fragt, heute noch aktuell? Ein Besuch bei der Theater-AGdes Gmnasiums des Alfred-Grosser-Schulzentrums in Bad Bergzabern am Samstagabend zeigt, dass diese Art von Theater auch nach 50 Jahren immer noch bedeutsame Fragen aufwirft.

Viele Revolutionen haben seit der Französischen Revolution von 1789 die Bühne Welt verändert. Von der russischen Oktoberrevolution zur deutschen Novemberrevolution waren es nur wenige Jahre, die portugiesische Nelkenrevolution von 1974 ist schon fast vergessen und die letzte revolutionäre Veränderung, die 2010 in Tunesien aufkam, erfasste schnell den arabischen Raum und ließ als arabischer Frühling neue Hoffnungen auf soziale Gerechtigkeit und Demokratie aufkeimen.

Frühling, ja, der dringt dann auch mit Macht in die Ohren, wenn Berthold Blaes mit den wild stampfenden Rhythmen der Danses des adolescentes aus Strawinskys Sacre du Printemps das ungewöhnliche Bühnenstück von Peter Weiss eröffnet. Und natürlich hören wir das Skandalöse dieser Musik auch heute noch heraus, die vor genau 200 Jahren in Paris für einen Eklat im Theater bzw. Ballett sorgte, weil sie die Hörgewohnheiten des Publikums überforderte. Will uns Bertold Blaes mit seiner Theater AG und der Aufführung von „Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat“ dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes von Charenton unter der Anleitung des Herrn de Sade, so lautet der rekordverdächtig lange Titel dieses sperrigen Theaterstückes, heute ebenfalls in unseren Sehgewohnheiten herausfordern?

Eine Herausforderung allemal für Regie und Schauspieler ist das 1963 erschienene und 1964 uraufgeführte Stück, welches in den 70er Jahren über 60 Aufführungen erlebte, so viele, wie sonst kaum ein anderes, gilt es doch als schwierig bzw. schwer spielbar. Peter Weiss hatte einst für die erste und zweite Fassung eigens ein Regiekonzept erstellt, in dem er immer wieder Projektionen von Bildern und Schautafeln einrichtete, um einerseits den Moritatencharakter des Stückes zu unterstreichen, andererseits jedoch auch Brechungen zu erzeugen, die den Zuschauer aktivieren sollten.

Die Regie und Technik der Theater AG BZA greift in ihrer Aufführung diesen Ansatz an verschiedenen Stellen sinnvoll auf, etwa wenn zu Beginn in einer kurzen Videosequenz eine Reihe revolutionärer Aktionen wie z.B. der arabische Frühling sowie die Heilsbotschaften eines Steve Jobs auf die weiß-graue Wand Anstaltswand projiziert werden oder die Reden von Marat, Corday und Sade immer wieder als Großbildprojektion massenwirksam inszeniert werden.

Doch worum geht’s eigentlich? Zwei Figuren (Marat und de Sade, reale historische Personen) liefern sich einen großen Weltanschauungsdialog und stellen darin quasi in Stationen ihre unterschiedlichen Sichten auf die (Französische) Revolution dar. Das klingt noch recht einfach und wenig dramatisch. Aber Peter Weiss verlegt diese Handlung in den Baderaum der Irrenanstalt von Charenton und in die napoleonische Zeit am 13. Juli 1808. Damals waren nicht nur Geisteskranke, sondern auch politisch Andersdenkende dort interniert. Peter Weiss griff dabei durchaus auf Tatsachen zurück, denn der damals in Charenton festgesetzte de Sade schrieb dort wirklich Stücke und führte sie mit den Insassen auf.

Und so spielen hier die Patieten unter der Anleitung Sades die Ermordung des Marat in der Badewanne durch die girondistische Attentäterin Charlotte Corday. Ein Ereignis also, das real am 13. Juli 1793 stattfand, wird 15 Jahre später in einem Tollhaus aufgeführt. Daher erwartet uns hier ein Spiel im Spiel und obendrein noch eins mit dem Zuschauer. So viel Spiel lässt die Theater AG konsequent als Baukasten lebendig werden.

Zu Beginn schauen wir noch auf eine weiße-graue Wand aus Quadern und Würfeln, die das hermetisch Abgeschlossene der Anstaltswelt symbolisiert. Doch dann wird die Bühne immer wieder von den Spielern bzw. Irren umgebaut, die Bauklötze erweisen sich als klug erdachte Regieelemente, denn durch den fortwährenden Umbau – mal Mauerwerk, mal Kirchenbank, mal Badewanne, mal Nationalkonvent – tragen sie zum Erkennen der verschiedenen Spielebenen bei. Dass diesem Spiel etwas Irres anhaftet, macht uns eine Ausruferin, überaus souverän von Merle Scheib gespielt, die zwischen Zuschauern, Patienten-Schauspielern, Autor und sogar dem Anstaltsleiter Coulmier vermittelnd ihre Knittelverse artikuliert, klar.

Sie hält als Spielleiterin einen trikolorebehissten Stab in der Hand und dirigiert, während de Sade (Sebastian Lieb), der gedachte Autor des insinuierten Spiels überwiegend am rechten Bühnenrand sitzt und das Spiel im Spiel quasi wie aus einem „Gesicht aus Eis“ mehr oder weniger reglos betrachtet. Der eigentliche Herr über die Patienten, Direktor Coulmier, den Roman Schulte als schmierigen Speichellecker überzeugend gibt, versucht immer wieder vom Spielfeldrand ins Geschehen einzugreifen, weil ihm Vieles in diesem Spiel zu weit geht.

Dann wendet er sich empört an den Autor Sade oder treibt mehrfach einen Patienten (Finn Weingarten) an, die aufrührerischen Agitationsreden des Mönchen und radikalen Sozialisten Jacques Roux, den Larissa Rohde mit großer Verve zu einem Eiferer macht, abzubrechen. Und wenn Coulmiers Versuche, seinen Patienten Einhalt zu gebieten, immer wieder scheitern, wendet sich dieser mit einer ironischen Geste ans Publikum, um es zu beschwichtigen. Währenddessen kann die Ausruferin durch ihr geschicktes Agieren das Spiel am Laufen halten. Auch sie weist das Publikum augenzwinkernd darauf hin, dass heute natürlich alles ganz anders, nämlich besser sei.

Duperret, ein gemäßigter Republikaner und Girondist aus dem Verschwörerkreis der Corday, dem Jorit Hopp überzeugend einen snobistisch-elitären Touch verleiht, zeigt weniger politisches als erotisches Interesse. Er klebt förmlich an den Rockzipfeln der Charlotte Corday und lässt keine Gelegenheit aus, weibliches Fleisch mit Augen und Fingern zu ertasten. Dem Volk gegenüber verhält er sich ausgesprochen arrogant und über Marat weiß er nicht wirklich mehr als ein Vorurteil abzugeben: „Doch wer ist Marat/irgendein hergelaufener Corsikaner Verzeihung Sardinier/oder gar ein Jude“, schleudert er der Corday entgegen, als diese sich an ihn wendet, um die Ernennung Marats zum Tribun zu verhindern. Charlotte Corday (Nathalie Deibel) die meist in einem somnambulen Trancezustand schwebt, zeigt vor allem in ihrer wahnhaften Identifizierung mit der biblischen Judith, als sie sich zu einer Erlöserin des Volkes erhebt, ihr Potential. Die Nähe zu Sade, den sie im 21. Bild eher nüchtern denn lustvoll auspeitscht, besteht in beider Teilnahmslosigkeit. Diese zeigt sich z.B. bei Sade, als er in Szene 12 über die Folterung Damiens spricht.

Die Gegensätze zwischen Sade und Marat, dem Jonathan Bohlen, einerseits etwas märtyrerhaft Pathetisches, dann jedoch auch wieder etwas sehr Menschliches einverleibt, werden immer wieder in den Dialogszenen (z.B. Szene 12, Gespräch über Tod und Leben) deutlich. Die Szene 18 Sade pfeift auf alle Nationen bringt die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Punkt: Zwar haben sie beide einst die Revolution befürwortet, doch hat sich Sade zunehmend dem Subjektivismus verschrieben wenn er konstatiert: „Ich pfeife auf alle guten Absichten/die sich nur in Sackgassen verlieren/ich pfeife auf alle Opfer/die für irgendeine Sache erbracht werden/Ich glaube nur an mich selbst“ und folglich kontert Marat mit „Ich glaube nur an die Sache/die du verrätst“.

Ein weiteres wichtiges dramatisches Element der Aufführung ist der Chor. In der eindrucksvollen Szene 13 (Marats Liturgie), in der Marat wie in einer Litanei die Kirche der Heuchelei bezichtigt, zeigt sich wieder einmal in der so schwierige Kunst des chorischen Sprechens das hohe Niveau dieses Schultheaters: Der an den Baustein-Kirchenbänken kniende Chor, der vor allem aus den fünf Sängern (Lara Abele, Sarah Bissinger, Sarah Forbat, Franziska Kimmle und Jana Mattes) getragen wird, besticht im Nachbeten der Litanei Marats durch ein außerordentlich homogenes Klangbild. Im Ganzen agiert diese Gruppe sehr dynamisch, so auch, wenn sie sich immer wieder ermahnend mit den Worten „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden, Marat wir wolln nicht mehr warten bis morgen…“ an den Revolutionär in der Badewanne wendet.

Der das Stück abschließende Epilog lässt Marat nach seiner Ermordung erneut vor das Publikum treten, um seine Sicht zu rechtfertigen wie dann auch Corday, die beteuert, sie würde den Mord noch einmal begehen. Und wenn auch Sade als Autor das letzte Wort des Epilogs hält, so bleibt die entscheidende Frage am Ende doch offen. Statt dessen formiert sich ein Patientenheer zu einem tumultartigen Marsch auf der Stelle, den Coulmier ein letztes Mal strahlend mit den Worten „Es lebe der Kaiser“ zu unterdrücken sucht, während Sade leise zynisch dazu lacht und einen Konfettisieg davonträgt.

Nach zweieinhalb Stunden des Spiels im Spiel gibt es viel Beifall für die Schauspieler, aber auch für die eindrucksvolle Regie (Berthold Blaes und Angela Blaes) und die gelungene technische Realisation (Lukas Sitt und Adrian Schulte). (Eleonore Beinghaus)

Information

Weitere Vorstellungen gibt es am Di., 07. Mai, Do., 09. Und Sa. 11. Mai, jeweils um 20:00 Uhr in der Aula des Alfred Grosser Schulzentrums in Bad Bergzabern sowie am 15.05.2013 im Rahmen der Schultheaterwoche in Karlsruhe im Sandkorntheater um 17:00 Uhr.

 

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2 Kommentare auf "Schul-Theater-AG spielt im Baukasten der Revolution – Rezension von Eleonore Beinghaus"

  1. Ruth Rönn sagt:

    Ja, der Pfalz Express hat in seinem Artikel genau das geschrieben, was ich nach der Aufführung
    am Donnerstag dem 02.05.2013 empfunden habe.
    Die Leistungen aller Darsteller waren außergewöhnlich hoch, was der beharrlichen Einstudierung
    durch Herrn Blaes zuzuschreiben ist, der solange wiederholen lässt, bis Aussprache und Mimik seiner
    Vorstellung entsprechen. Das artikulierte Sprechen des Marat, der Charlotte und besonders des
    Ausrufers waren ein Hochgenuss. Vielen Dank für soviel Leistung von Laien. R. Rönn

  2. Jennifer Dahl sagt:

    Dieses Theaterstück ist keine leichte Kost, umso mehr bewundere ich, wie souverän die Gruppe gespielt hat.
    Alleine die Umgestaltung des sehr lebendigen Bühnenbildes war beeindruckend, wenn man bedenkt, daß „nur“ ein paar quadratische und rechteckige Blöcke verwendet wurden.
    Mehr als nur gut gespielt, waren die gemeinsamen Sprechchöre – das erfordert wahre Disziplin und perfektes Timing.
    Herr Blaes hat wieder viel Zeit/Perfektion und Herzblut von den Akteuren gefordert, was sich aber beispielsweise in der Deutlichkeit der Artikulation ausgezahlt hat.
    Es war insgesamt ein sehr interessanter Abend (Vorstellung Sa 11.05.2013) und in Ihrem Artikel des Pfalz-Express wirklich gut zusammengefaßt.