Freitag, 26. April 2024

Aufführung am Europa-Gymnasium: Schillers „Räuber“ 2.0 sind Räuberinnen

26. November 2014 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

Theater AG: Schillers Räuber mal etwas anders.
Fotos: v. privat

Wörth – In die Welt der Räuber entführt wurden die Zuschauer des Stückes „Räuber. Schiller für uns“ nach Marlene Skala im Kellerkino des Europa-Gymnasiums.

Präsentiert wurde eine äußerst moderne Interpretation des Klassikers – Schillers Räuberbande als durch Leben und Zufall zusammengewürfelte Frauenbande, die gemeinsam in einer stillgelegten Fabrik ihre Zuflucht und illegale Heimat gefunden hat.

Parallelen zu Schillers Drama sind mehrfach gegeben – zum einen durch die inhaltliche Konzeption: Karl und Franz Moor analog zu Charlotte (Lea Weil) und Franziska Moor (Pauline Forkel). Aber auch durch die stetige Rezitation Schillerscher Verse durch Nelly Fuchs (Sofie Forkel) – eines der Mitglieder der Band und Schauspielerin: Mit ihren Rezitationen wird immer wieder der Bezug zwischen Interpretation und Schillers „Räubern“ für den Zuschauer erkennbar.

Der Wechsel der Geschlechter ist aber nur einer der vielen Brüche des Stückes zu seiner historischen Vorlage: Entscheidend ist die Kritik und Motivation der „Räuberinnen“. Leidenschaftlich formuliert zu Beginn ihre Anführerin ihre Kritik an der oberflächlichen, unkritischen Gesellschaft.

Zur Verdeutlichung werden verschiedene Fernsehkanäle aufgerufen und ihre Intention kritisch hinterfragt. Es zeigt sich nicht zuletzt eine tiefe Verachtung der oberflächlichen Konsumgesellschaft. Die Charaktere der Räuberinnen sind überspitzt gezeichnete Ebenbilder unserer Zeit, so beispielsweise die Hackerin E.T. (Sofie Weil).

In ihr zeigt sich aber auch überdeutlich, wonach die jungen Frauen so verzweifelt suchen – ein Zuhause, ein bisschen Glück. Denn dies offenbart sich gegen Ende des Stückes. Während sie alle versuchen sich in dieser Räuberbande zu verwirklichen, so suchen sie letztlich nur ein Stückchen Glück, wie sie es bisher noch nicht verspürt haben. Hier offenbart sich die eigentliche Tragik des Stückes.

Dieses Glück sucht jede der Räuberinnen auf andere Weise – daher zerbricht am Ende ihr Bündnis an und nach einem von ihnen geplanten und begangenen Überfall. Das Finale des Stückes variiert nun allerdings deutlich von Schillers Vorlage – dessen Schlussvariante wird zwar durch die schauspielernder Räuberin kurz erläutert und als potentieller Schluss somit genannt – Skalas Stück hingegen nimmt eine andere Wendung.

Der trotz tragischem Ende noch menschlich positive Schluss des Schillerschen Dramas, dass Franz Moors mit seinem Ende noch ein positives Zeichen zu setzen vermag, ist seinem weiblichen Spiegelbild des 20. Jahrhunderts nicht vergönnt: Durch den Verrat der Schwester Franziska wird ihr Versteck von der Polizei umstellt – sie und die anderen Räuberinnen  müssen sich resigniert geschlagen geben.

Einen bitteren Beigeschmack erhält der Schluss dadurch, dass zuvor noch einer der Räuberinnen die Flucht gelingt: Die Materialistin Spiegel (Valeria Schmitt) lässt ihre Kameradinnen kurz vor Eintreffen der Polizei im Stich und flüchtet mit der Beute. So hat der von der Anführerin so angeprangerte Kapitalismus und Materialismus doch seinen Sieg davongetragen. Einzig die Frage bleibt, ob diese Räuberin damit ihr Glück auch tatsächlich finden konnte?

Dieses Stück polarisiert und provoziert, zumal es vielfach überspitzt uns gängige Klischees vor Augen führt. Die Irrwege auf der Suche nach Glück und Individualismus werden deutlich karikiert dargestellt. Das Verhalten der Räuberinnen erinnert nicht von ungefähr an die RAF und deren Ideale, ihr Rechtsverständnis und ihr Bild der Gesellschaft – und zuletzt die Frage nach der wahren Motivation und was am Ende von all dem bleibt?

Gerade diese Übersitzung und moderne Übersetzung in die Probleme und Fragen unserer Zeit macht das Stück aber aus und gerade für die jungen Schauspieler interessant. Nadine Lauter, der Leiterin der Theater-AG, ist damit eine treffende Auswahl gelungen. Die Leistungen, welche sie aus den jungen Darstellern herausholte, verglichen diese am Ende in einer bewegenden Dankesrede mit der Metamorphose von einer Raupe hin zu einem Schmetterling.

Und in der Tat war die Leistung der Schauspieler mehr als beachtlich. Denn auch hier hatten sich gleich Raupen zahlreiche junge Akteure auf die Bühne gewagt, die am Ende wahrlich als Schmetterlinge ihr Können zeigten. Es war eine gelungene Mischung aus bereits erfahrenen Darstellern, die brillant ihr Talent vorführten, und Nachwuchstalenten, die ebenso zu begeistern wussten.

Die schauspielerische Leistung wurde noch gesteigert durch die perfekte Leistung der Masken-AG unter Leitung von Liz Jung. Den Schüler der Masken-AG ist es gelungen, die unterschiedlichen Charaktere auch optisch herauszuheben und somit für den Zuschauer visuell direkt erfassbar zu machen. Die plakativ-überspitzte Darstellung der Charaktere ist somit neben der beachtlichen schauspielerischen Leistung auch ein Verdienst der herausragenden Arbeit der Masken-AG.

Das zunächst spartanisch und puristisch wirkende Bühnenbild – gestaltet durch Michael Caspar – entspricht der Vorstellung einer Fabrikhalle. Die besondere Leistung lag hierbei jedoch auf der Wirkung der wenigen Elemente, die in Farbgebung und Auswahl trefflich gewählt war. Eine besondere Wirkung wurde durch die raffinierten Licht- und Schatteneffekte erzielt.

Der Theater-Abend am Europa-Gymnasium stimmte somit nachdenklich, regte aber auch mehrfach zum Lachen an, wie das gut unterhaltene Publikum immer wieder bewies. Dass so zahlreiche junge Talente ihr Debüt feierten und Nadine Lauter so offenkundig die Begeisterung der jungen Schauspieler ihrer Theater-AG wecken konnte, erfreut und lässt auf die kommenden Jahre mit ihr als Leitung der Theater-AG hoffen. (pn)

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