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Litera-Tour durch Wissembourg – ein Ausflug in die Vergangenheit

17. September 2013 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

Die VHS-Gruppe mit Dr. Stefan Woltersdorff und Bürgermeister Gerhard Beil (vorne, v.li.)
Fotos: Ohnemüller/Beil

Wissembourg – „Salut bisamme!“, mit diesem diplomatischen Gruß wird der Elsässer von Deutschen und Franzosen zugleich verstanden. Am Übergang zweier Nationen, Kulturen und Sprachen war dies nicht immer einfach.

Dr. Stefan Woltersdorff

Insbesondere geben davon auch Denkmäler aufschlussreiche Auskünfte. Anlässlich des 50. Jahrestages des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages begaben sich fast 25 Teilnehmer der vhs-Rheinzabern auf eine „Litera-Tour“ durch Weißenburg, um den europäischen Geist dieser Stadt zu spüren und etwas zu erfahren, das nicht in jedem Reiseführer steht.

Dr. Stefan Woltersdorff verstand es während eines gut dreistündigen Spaziergangs, seine Zuhörer zu fesseln. Schon die Karte der Sprachen und Dialekte verdeutlicht die Übergangssituation vom Fränkischen ins Alemannische.

 Das Stichaner-Denkmal am ehemaligen Hagenauer Tor der freien Reichsstadt blieb auch in politisch umstrittenen Zeiten erhalten. Joseph Philipp von Stichaner, Enkel des gleichnamigen Bayerischen Regierungspräsidenten der Pfalz, war ab 1.1.1872 als Kreisdirektor nach Weißenburg ins eroberte Elsass gekommen. Stichaner verstand es, die Elsässer für sich zu gewinnen, wurde sogar Bezirkspräsident für das Unterelsass. Mit seinem Namen verbinden sich der Wiederaufbau Weißenburgs nach dem Krieg 1870/71, die Förderung der Landwirtschaft und Viehzucht, der Erhalt von Baudenkmälern sowie die Unterhaltung der Abteikirche.

Herberge mit Geschichte

So manch illustrer Gast stieg im historischen Gasthaus „ l’Ange“ – „Zum Engel“ – ab. Theodor Fontane, Nachfahre hugenottischer Glaubensflüchtlinge und überzeugter Preuße, übernachtete hier 1871. Als Kriegsberichterstatter fand sein versöhnliches Buch über Deutsche und Franzosen wenig Anklang, weil damals die Öffentlichkeit auf Hurra-Patriotismus eingestellt war.

Im „Engel“ verbrachte Otto Flake (1880-1963) ein heimliches Stelldichein mit seiner späteren zweiten Frau, Johanna. 1918 verließ Flake das Elsass und kam in Zürich mit den Dadaisten in Berührung. Später nahm er seinen Wohnsitz in Baden-Baden, wo er finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet war. Auch seine Freundschaft mit René Schickele war in die Brüche gegangen. Das Schreibverbot – trotz einer Ergebenheitsadresse an die Nazis – umging Flake mit zum Teil listigen Texten – etwa in einem Buch über Straßburg als deutsche Stadt. Anfang und Schluss des Buches erschien für die Zensoren unverdächtig. Otto Flake, der berühmte Autor der Oberrheingegend, setzte sich als gebürtiger Lothringer (* in Metz als Sohn eingewanderter Deutscher) nach dem Kriege für die Versöhnung von Deutschen und Franzosen ein.

Im Umfeld der Revolution von 1830 bot der „Engel“ so manchem Gast Obdach. Von hier wehte revolutionärer Geist hinüber in den Deutschen Bund, hierher floh aber auch so manch politisch Verfolgter. Tragisch klingt ein Liebesbrief Georg August Wirths an seine Frau, die er 1834 quasi für ein Leben ohne ihn frei gibt, weil er keine Aussicht auf Haftentlassung sieht. Wirth, zusammen mit Siebenpfeiffer einer der Hauptorganisatoren des Hambacher Festes von 1832, gelang später die Flucht nach Frankreich und in die Schweiz. Er sah seine Familie wieder und wurde 1848 sogar in die Nationalversammlung gewählt.

 

Stanislas Leszczynski

Polenkönig Stanislas Leszczynski (1677-1766) hatte sein Land verlassen müssen und im ehemaligen Deutsch-ordensritterschloss der französischen Garnisonsstadt Weißenburg Schutz gefunden. Boten aus Versailles überraschten im Jahre 1725 den Polenkönig beim Gießen seiner Tomaten. Es waren Brautwerber des 15-jährigen französischen Thronfolgers Ludwig XV., der Leszczynskis 22-jährige Tochter Maria (Woltersdorff: „Eine alte Jungfer“) zur Gemahlin ausersehen hatte. Später erhielt der Schwiegervater Ludwigs XV. das Herzogtum Lothringen und Bar, nachdem sich Frankreich und Habsburg zum Tausch gegen die Toscana geeinigt hatten. Stanislas‘ kleines Herzogtum entwickelte sich zum Refugium für kritische Denker. Zu seinen Gästen im Schloss Luneville zählten u.a. Voltaire, Montesquieu oder die Châtelet. Berühmt ist der herrliche Place Stanislas in Nancy. Hatte Ludwig XV. die Ehe vor allem zur dynastischen Sicherung geschlossen, so war er indessen u.a. der Madame de Pompadour zugetan. Stanislas Leszczynski starb mit 89 Jahren infolge einer Brandverletzung am Kamin. Als eine Kammerzofe sich zum Löschen auf ihn warf, soll er gesagt haben: „Madame, wer hätte gedacht, dass wir in dem Alter noch so entflammen!“

Geistiges Zentrum

Im ehemaligen Bezirk eines der bedeutendsten Klöster des Oberrheins (gegründet im 7. Jh) war der erste Halt an der heutigen Sous-Präfektur, der staatlichen Aufsicht über das Arrondissement Wissembourg. Seit der Französischen Revolution kennt man hier diese Verwaltungseinteilung. Namen wie Friedrich Cotta werden genannt, aber auch Eulogius Schneider, Ankläger in vielen Revolutionsprozessen, die zumeist mit Todesurteilen endeten, bis er schließlich („Die Revolution frisst ihre Kinder) selber in Paris geköpft wurde.

Im Kreuzgang der Klosterkirche Sankt Peter und Paul staunen die Teilnehmer nicht nur über die kleine romanische Kapelle aus frühester Zeit, sondern auch über eines der ältesten mittelalterlichen Glasfenster. Da das Gotteswort, auf Lateinisch verkündet, nicht verstanden wurde, kam der Sichtbarmachung des Lichts große Bedeutung zu. Die Sichtbarmachung des Lichts erreichte in der „Glasorgie“ der gotischen Kathedralen ihren Höhepunkt.

Im Benediktinerkloster Weißenburg hatte man einen anderen Weg versucht. Die Mönche pflegten den Hausdialekt Kaisers Karls, das Fränkische. Ihr Weißenburger Katechismus gilt als eines der ältesten Dokumente deutscher Sprache. Der Mönch Otfried von Weißenburg übersetzte die Bibel ins Fränkische und schuf damit eine Schriftsprache für die verschiedensten Dialekte. Doch die Kirche setzte sich zunächst mit der Forderung durch, die Heilige Schrift nur in Latein zu verbreiten, der Sprache des Klerus, die aber das gemeine Volk nicht verstand. Kloster Weißenburg galt als geistiges Zentrum am Oberrhein mit großem Einfluss auch auf unseren Heimatraum, die Pfalz.

 

Zeit der Reformation

Nach einem Abstecher in die Vorstadt mit der Waschbank und dem Badehaus ging es zu einem andern Kleinod. Seit dem 11. Jh. war die heute Protestantische Kirche Sankt Johannes als Bürgerkirche ein Pendent zur Klosterkirche Peter und Paul. Als berühmtester Prediger hier gilt Martin Butzer, der Reformator des Elsass. Zusammen mit seinem Freund Paul Fagius aus Rheinzabern endete er auf tragische Weise im englischen Cambridge.

Während eines kräftigen Regenschutts aus dem „Weißenburger Loch“ passierte die Gruppe das prächtige Renaissance-Haus des Vogelsberger Hofes. Den Namen hat das Haus von Sebastian Vogelsberger, einem Söldnerführer im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) der protestantischen Fürsten gegen Kaiser Karl V. Zu dessen Gegenspieler zählte der französische König Heinrich II. Vogelsberger war bei dessen Krönung im Jahre 1547 in Reims zugegen.

Französische Könige versuchten häufig die Habsburgische Umklammerung aufzubrechen, unter-stützten deshalb auch die protestantische Seite und scheuten selbst eine Allianz mit den Türken nicht, die damals Habsburg im Südosten bedrohten. Vogelsberger wurde 1548 hingerichtet. Im Vogelsbergerschen Hause lebte der spätere Missionar Charles de Foucault sechs Jahre als Waisenkind bei seinem Großvater, ehe die Familie 1870 vor den Deutschen nach Nancy flüchtete. Unter anderem als Eremit im Land der Berber lebend, interessierte sich Foucault für die vorislamische Geschichte Nordafrikas und übersetzte die Bibel in die Tuaregsprache. Der Missionar und Märtyrer wurde 1916 ermordet und 2005 selig gesprochen.

Auch das Restaurant Au Cygne „Zum Schwan“ lag auf dem Weg durch die Geschichte. Im „Schwan“ stieg immer wieder auch der Barde Hannes Wader ab, der dem Lauterstädtchen das Lied „Kleine Stadt“ widmete, „zwischen Bergen und Wäldern versteckt…“

Denk mal, Mensch!

Ein Abstecher auf den nahen Geisberg ließ nochmals rauhen europäischen Wind wehen. „Denk mal, Mensch!“, scheinen hier unzählige Monumente zu rufen. Mehrfach war der Hügel umkämpft, sein Boden ist mit Blut getränkt. Ausgerechnet hier lebt die größte französische Mennonitengemeinde. Sie lehnen Krieg und Kriegsdienst ab, weswegen Mennoniten oft verfolgt worden waren. Der Friede hat aber letztendlich obsiegt. Versteckt zwischen Obstbäumen liegen deutsche Siegesdenkmäler der Schlacht vom 4. August 1870. Mehr einem Gefecht (da unter 5000 Toten) gleichend, wurde sie aber zur Schlacht stilisiert, bei der die teutonische Überlegenheit über die mit Turkos-Kolonialtruppen verstärkte französische Streitmacht siegte. Tatsächlich handelte es sich nur um eine französische Vorhut, während die Hauptarmee bei Wörth aufmarschiert war. Dem gefallenen und im Schafhof aufgebahrten General Duay erwies eine deutsche Wache die letzte Ehre. Für die Elsässer, die auf französischer Seite gefallen waren, wurde jedoch erst im Jahre 1909 ein Ehrenmal errichtet. Die Nazis haben es 1940 gesprengt.

Auf dem im Jahre 1960 neu errichteten Obelisken, dessen Spitze der gallische Hahn des ersten Denkmals ziert, stehen vier Jahreszahlen für Schlachten – dreimal hatten hier die Franzosen gesiegt: Im Spanischen Erbfolgekrieg 1704, im Österreichischen Erbfolgekrieg 1744, im Revolutionskrieg 1793. 1870 kam dann die deutsche „Rache“. Von 1940-1945 wurde nicht gesprochen, doch befand man sich zwischen Westwall und Maginot Linie quasi im „Niemandsland“.

Aufsteigende Wolken geben den Blick auf eine herrliche Landschaft frei. Und unten im Tal, im Kessel, liegt friedlich das Städtchen Wissembourg/Weißenburg, immer noch an der Grenze, aber mitten in Europa. Eine uralte allegorische Darstellung zeigt Europa als Körper, zu dem alle Länder wie Körperteile gehören. Ist einer davon krank, geht es dem ganzen Körper schlecht.  (Gerhard Beil)

 

 

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