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Engagierte Landauer und vietnamesischer Flüchtling Tri Tin Vuong: „Deutschland hat mich gerettet“

11. Juni 2014 | Kategorie: Allgemein, Landau, Leute-Regional, Regional

Tri Tin Vuong bei der Einweihung eines Gedenkstein: Erinnerung an die, die es nicht geschafft hatten zu fliehen und gleichzeitig Dank an die deutschen Retter.

Landau – Tri Tin Vuong ist seit über drei Jahren Landauer. Geboren wurde der 42-Jährige in Saigon in Vietnam. Seine Geschichte steht stellvertretend für zahlreiche Immigranten aus Vietnam, aber auch für Flüchtlinge weltweit, die in Deutschland Schutz suchen.

Gleichzeitig ist sie ein Beispiel dafür, wie Migranten durch richtige staatliche Unterstützung Fuß fassen und die deutsche Gesellschaft bereichern können.

Vietnam ist ein Land, das sich scheinbar der Demokratie geöffnet hat und auf den ersten Blick transparent und offen daher kommt. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Noch immer werden Kritiker der Ein-Parteien-Regierung schikaniert und bevormundet.

Unterdrückung und staatliche Willkür

Tri Tin Vuong hat ein ungewöhnliches Schicksal. Nachdem seine Eltern ursprünglich aus dem von Repressalien geprägten kommunistischen Norden in den liberaleren Süden des Landes geflohen waren, wurde die Familie auch dort von der Staatsmacht eingeholt.

1978  war Tri Tin war sieben Jahre alt, als man den Eltern ihre Lebensgrundlage nahm, ein Ladengeschäft, mit dem die elfköpfige Familie ein gesichertes Auskommen hatte.

Tri Tin erinnert sich noch heute ganz genau an die Enteignung: „Sie kamen, durchwühlten das gesamte Haus, schlugen Löcher in die Wände und schubsten uns herum. Meine Schwestern weinten. Ich hatte ein Tonbandgerät aus dem Westen – das war das erste, was konfisziert wurde.“

Der Staatsapparat schickte die Vuongs zur Strafe für angebliche Illoyalität aufs Land: Eine Zäsur für alle Betroffenen, denn dort gab es nichts. „Armut, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit“, sagt Tri Tin. Und in ihm kochte Stück für Stück die Wut hoch: „Wieso wurden wir überwacht, Tag und Nacht? Wieso durfte ich nicht sagen, was ich denke? Wir hatten nichts Unrechtes getan.“

Bei den Eltern Vuongs reifte der Entschluss: Ihre Kinder sollten das Land verlassen, um sich im Westen ein besseres Leben schaffen zu können. Sie selbst standen unter Hausarrest, eine Flucht war undurchführbar.

Letzter Besuch bei den Eltern im Jahr 2011.

 Hunger, Elend und Todesangst

Vier Fluchtversuche mit teuer bezahlten Flüchtlingsbooten schlugen fehl – mehr als einmal kam Vuong nur knapp mit dem Leben davon. Schreckliche Erinnerungen hat er an seinen vierwöchigen Gefängnisaufenthalt: „Die Zellen wurden so vollgepfercht, so dass Schlafen nur im Wechsel möglich war, zu trinken gab es brackiges Flusswasser, zu essen fast nichts, statt dessen stundenlange Verhöre.“

„Flucht über den Ozean des Ostens“

Tri Tin Vuong ließ sich nicht unterkriegen: Nachdem er entlassen worden war, startete er den nächsten Fluchtversuch aus Vietnam.

Über diesen Abschnitt seines Lebens hat Vuong in dem Buch „Flucht über den Ozean des Ostens“ eine Geschichte veröffentlicht. Darin erzählen insgesamt 29 vietnamesische Flüchtlinge ihre Erlebnisse – gewidmet ist das Werk den deutschen Rettern.

Tri Tin Vuong berichtet von gefährlich überladenen, undichten Booten, von Hunger, Durst und den Kämpfen, an Bord zu bleiben und nicht über die Reling gestoßen zu werden, vom verzweifelten Wasserschöpfen, um nicht zu sinken oder von der alles überlagernden Apathie. Vorbei fahrende Schiffe kümmerten sich nicht um die Flüchtlingsboote.

Rettung durch ein deutsches Handlesschiff

Beim letzten Fluchtversuch und buchstäblich in letzter Minute vor einem schweren Sturm nahm das deutsche Handelsschiff „Anja Leonhardt“ unter Kapitän Manfred Schander die „boat people“ auf. Schander selbst war klar: Es würde Schwierigkeiten mit den deutschen Behörden und der Reederei geben. „Dennoch hat er als Mensch gehandelt und unser aller Leben gerettet“, sagt Tri Tin Vuong. „Ich werde ihm immer zutiefst dankbar sein.“

Schander steuerte die Philippinen an, die das Schiff in den Hafen einlaufen ließen.

Allein in einem fremden Land

Nachdem die deutsche Regierung bereit war, ein bestimmtes Kontingent an Boat People aufzunehmen, durfte Vuong schließlich nach Deutschland kommen. Eine Flüchtlingsorganisation brachte eine kleine Gruppe nach Königswinter bei Bonn. Dort landete Tri Tin in einem Jugendwohnheim. Alleine in einem fremden Land, der Sprache unkundig, und abgesehen von den Betreuern völlig auf sich alleine gestellt.

Er besuchte einen Deutschkurs, ging zur Schule, wechselte aufs Gymnasium. Der Kontakt zu den Eltern war schwierig, die Briefbeförderung dauerte mitunter Wochen oder Monate. „Trotzdem habe ich mich wohl gefühlt“, sagt Vuong, weil „ ich die Freiheit hatte, zu sagen, was ich dachte.“

Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Bürokaufmann und arbeitete in Bonn bei der Stadtverwaltung. Mittlerweile ist er in Karlsruhe bei der Bahn beschäftigt und studiert berufsbegleitend Betriebswirtschaft.

 Schikane bis heute

Schikaniert wird er jedoch noch immer – auch nach Jahrzehnten in Deutschland steht Vuong beim vietnamesischen Regime unter Generalverdacht.

Ein geplanter Besuch bei der mittlerweile schwerkranken Mutter im August 2011 endete am Flughafen in Saigon (Ho-chi-Minh Stadt), wo ihm der Pass abgenommen und er schwer bewacht im Sperrraum festgehalten wurde. Als er sich in Landau nicht mehr meldete, informierte ein Freund den SPD-Vorstand in Landau (Vuong ist SPD-Mitglied). Dieser nahm Kontakt zum Auswärtigen Amt in Berlin auf. Letztendlich musste sich der deutsche Konsul einschalten, um Vuong wieder frei zu bekommen.

Das Verhalten der vietnamesischen Behörden führt Vuong auf seine Aktivitäten hierzulande zurück: Er war Mitinitiator zur Errichtung eines Gedenksteins in Troisdorf bei Bonn, der an die vielen tausend Flüchtlinge erinnert, die ihr Leben ließen. Auf dem Gedenkstein eingemeißelt ist auch ein Dank an die deutschen Retter. „Das ist inakzeptabel für das vietnamesische Regime“, sagt Tri Tin Vuong. „Deren Arm reicht weit.“

„Deutsche Staatsbürgerschaft ist ein Gewinn“

Die deutsche Staatsbürgerschaft hat Vuong bereits seit 18 Jahren und fühlt sich komplett: Sowohl als Vietnamese wie auch als Deutscher.

„Es war kein Opfer, die vietnamesische Staatsangehörigkeit aufzugeben, sondern ein Gewinn“, sagt er, auch mit Blick auf andere Migranten, die sich damit schwer tun. „Man sollte nicht immer nur Nachteile darin sehen, sondern vor allen Dingen die Vorteile, wie zum Beispiel das aktive und passive Wahlrecht oder auch der bessere Schutz als Deutscher bei Reisen in die ehemalige Heimat. Außerdem wird man unabhängig von dem Regime, dem man entflohen ist, weil es so keinen Druck mehr auf einen ausüben kann. Persönliche Identität definiere ich jedoch nicht ausschließlich über die Staatsangehörigkeit. Als Mensch ist man immer vielschichtiger“.

Vielseitig engagierter Bürger

Vuongs Leben ist ausgefüllt: Er engagiert sich bei der Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt der SPD, wo er in den Gruppen für Flüchtlinge und gegen Rechtsextremismus aktiv ist.

Kritisch sieht Vuong das derzeitige Verfahren, wonach Deutschkurse für Asylsuchende erst nach Anerkennung bezahlt werden. Über einen Besuch in einem von Flüchtlingen bewohnten Haus in Bornheim berichtet Tri Tin Vuong, dass ihn die Zustände dort erschreckten: „Zwei bis drei Personen aus verschiedenen Kulturkreisen und mit unterschiedlicher Sprache teilen sich ein Zimmer, können sich nicht verständigen, sitzen den ganzen Tag zuhause und verzweifeln mit der Zeit.“

Die Bearbeitung eines Asylantrags dauere meist etwa sechs Monate, manchmal aber auch noch viel länger, sagt er.

Vuong engagiert sich auch bei der Landauer Initiative zur Förderung deutsch-ausländischer Begegnung e.V., die unter anderem die internationale Suppenküche im „Haus am Westbahnhof“ in Landau  betreibt. Migranten weltweit kochen dort etwa alle zwei Monate Suppen aus ihrer Heimat. „Da gibt es immer neue Menschen und neue Suppen kennenzulernen“, lacht er.

Ähnlich geht es im Interkulturellen Garten der Landesgartenschau zu, wo es statt Suppen Pflanzen aus der jeweiligen Heimat der Migranten zu bestaunen gibt. Vuong selbst hat unlängst Luffa- Gewächse (Kürbissorte) angepflanzt. Die Samen dazu hatte ihm seine Schwester aus Vietnam geschickt.

Tri Tin Vuong ist zudem ein talentierter Künstler, der seine Werke mit Ölfarbe auf Leinwand bannt. In Landau liegt ihm zudem das Haus zum Maulbeerbaum am Herzen, dessen Freundeskreis er angehört.

Schon oft hat er bei der Seniorenbörse seine ehrenamtliche Hilfe angeboten, will Computerkurse für Senioren abhalten und auf eigene Kosten ein wöchentliches Kaffeetrinken organisieren: „Gegen die Einsamkeit der alten Menschen.“ Backen will er selbst. Leider habe man ihn immer wieder auf unbestimmte Zeit vertröstet“, bedauert Tri Tin Vuong.

Kandidatur in der Kommunalpolitik

Vuong hatte auch bei der Stadtratswahl im Mai kandidiert. Er erhielt über 5000 Stimmen, was dennoch nicht für den Einzug ins Landauer Kommunalparlament reichte. „Ich habe mich dennoch sehr über das Ergebnis und die sich darin ausdrückende Anerkennung meines Engagements gefreut“, sagt Tri Tin und strahlt.

Sein nächstes Herzensprojekt ist die Kandidatur für die Wahl zum Beirat für Migration und Integration im Herbst in Landau.

„Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt er. „Die Leute sind warmherzig, offen und herzlich. Das gab mir den Mut zu kandidieren.“ (cli)

Im Interkulturellen Garten in Landau.

Suppenküche

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