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Wenn verlorene Stimmen sprechen: Gesundheitsminister Schweitzer besucht Selbsthilfegruppe ME/CFS-Kranker

10. Mai 2013 | Kategorie: Allgemein, Politik regional, Regional, Rheinland-Pfalz

Die Experten, das Ehepaar Knauff und Gesundheitsminister Schweitzer unterhielten sich mit Betroffenen über das umgangssprachlich genannte Krankheitsbild „Chronisches Erschöpfungssyndrom“. Foto: red

Ludwigshafen. Zum Besuch von Gesundheitsminister Schweitzer in der Regionalgruppe Ludwigshafen des Fatigatio e.V. waren rund 30 Kranke und Angehörige gekommen. Rund 50 Minuten konnten einige über ihre Erfahrungen im Gesundheitssystem berichten, über Unverständnis und Fehldiagnosen, über Verweigerung von Hilfe und massive Diskriminierung.

Viele hatten große Mühe zu sprechen, wurden von ihren Gefühlen (fast) überwältigt. Die Schilderungen waren so realistisch und authentisch, dass große Bedrückung und Beklemmungen spürbar waren.

„Wir haben vor 4 Wochen unseren 17-jährigen David zu Grabe getragen. Er war seit 1 ½ Jahren schwer an ME/CFS erkrankt. In seinen letzten zwei Lebenstagen wurde er von mehreren Notärzten, Notaufnahmen, Intensivstationen behandelt, von diesen erfahrenen und ausgebildeten Menschen hatte bisher nicht ein einziger von einer Erkrankung namens ME/CFS gehört. Unser Traum wäre, dass in Zukunft kein ME/CFS-Kranker mehr damit rechnen muss, dass ein Rettungssanitäter den Namen seiner Krankheit am Funkgerät buchstabieren muss. Und dass kein schwer krankes Kind mehr als 9 Monate auf eine Diagnose warten muss, in denen alle Behandlungsversuche seine Symptome verschlimmern“, schildern die Eltern von David dessen Leidensgeschichte

Ein Betroffener: „Ich lebe allein, kann kaum meinen Haushalt versorgen, erhalte keinerlei Unterstützung, ich habe Angst …“.

Und eine weitere Stimme: „Ich war in der Rehabilitation, hatte Schmerzen, war am Ende meiner Kräfte, … niemand hat mir geglaubt, … meine Symptome haben sich durch den Aufenthalt verschlimmert.“

 Sichtlich bewegt griff der Minister diese Stimmung auf: „Das schnürt einem die Kehle zu.“ Minister Schweitzer betonte zum Abschluss, dass er selbstverständlich nicht zu viel versprechen und nichts Unrealistisches zusagen will. So wies er darauf hin, „dass es noch ein langer Weg sein wird, bis diese Missstände behoben sind.“

Er versprach aber: „ Ich sage ihnen zu, dass ich an die Verantwortlichen im Gesundheitssystem schreiben und um Stellungnahmen bitten werde. Ich werde diese Probleme auch bei meinen Kollegen in den anderen Bundesländern ansprechen und möchte hören, wie das dort gesehen wird. Ich bleibe mit Ihnen im Kontakt über Herrn Knauf von der Initiativgruppe um diese Probleme weiterzuverfolgen.“

Das Treffen in Ludwigshafen war für alle sehr anstrengend, hoffnungsvoll aber auch emotional belastend. Kein Teilnehmer wird dieses Gespräch auf Augenhöhe mit dem rheinland-pfälzischen Minister vergessen. Auf die Ergebnisse darf man hoffnungsvoll gespannt sein.

Es gilt, die künftigen Gespräche mit den Verantwortlichen im Gesundheits-und sozialen Versorgungssystem konstruktiv zu führen, um nachhaltige Erfolge für alle Beteiligten zu erreichen. (werner knauff)

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2 Kommentare auf "Wenn verlorene Stimmen sprechen: Gesundheitsminister Schweitzer besucht Selbsthilfegruppe ME/CFS-Kranker"

  1. Manuela B. sagt:

    Vielen Danke an die Organisatoren ! Und vielen Dank auch an den Minister, dass er sich die Zeit nahm uns Erkrankte anzuhören.

    Leider konnte auf Grund des Zeitfensters nicht die Spendenaktion für die große Rituximab-Studie in Norwegen angesprochen. Wir brauchen Unterstützung !!!

  2. Leila sagt:

    Vielen Dank für Ihren eindrücklichen Bericht – und dass Sie erwähnen, wie schwer die Erkrankung verlaufen kann.

    Insbesondere für Schwersterkrankte ist die Situation – leider manchmal im Wortsinne – fatal. Betroffene müssen nicht nur damit leben lernen, an einer unbehandelbaren Erkrankung zu leiden, die die Lebensqualität massiv einschränkt und bis zur Bettlägerigkeit und voller Pflegebedüfrigkeit führt. Sie müssen auch erfahren, dass ihnen von Seiten behandelnder Ärzte, Versorgungsämter und Institutionen nicht geglaubt wird. Die Betroffenen fallen durch alle medizinischen und sozialen Raster. ME/CFS ist seit über 40 Jahren im ICD 10 und G 93.3 als Erkrankung des Gehirns deklariert (http://bit.ly/YMmyGT) – in die gleiche Gruppe fallen auch Parkinson und Multiple Sklerose. Bei diesen Erkrankungen wäre eine derartige Unterversorgung und Stigmatisierung undenkbar.

    Ärzte, Pflegekräfte und Versorgungsinstitutionen bedürfen unbedingter Aufklärung über das Krankheitsbild, damit – insofern überhaupt vorhanden – sinnvolle Therapiemaßnahmen durchgeführt werden können, die den Zustand der Patienten stabiliseren oder zumindest nicht verschlechtern. Eine schnelle Diagnosestellung mit den richtigen Hinweisen zum Umgang mit der Erkrankung scheint zumindest in manchen Fällen die Richtung der Erkrankung positiv beeinflussen zu können.

    Darüber hinaus müssen Forschungsgelder bereit gestellt werden, um die Ursachen der Erkrankung weiter zu erforschen. Mit geschätzten 300.000 Betroffenen ist die Prävalen von ME/CFS höher als von MS und HIV zusammen.