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Schüler wagen den Selbstversuch als Rollstuhlfahrer: „Wir hätten nicht gedacht, dass es so schwer ist“

15. Juli 2014 | Kategorie: Allgemein, Kreis Südliche Weinstraße, Landau, Regional

Die Schüler machten in der Landauer Fußgängerzone überraschende Erfahrungen (siehe Bilder).
Fotos: red

Edenkoben. Als  Abschluss der Unterrichtseinheit:  „Integration – Inklusion? Leben mit körperlichen Einschränkungen“  wagte der Sozialpädagogikkurs der 10. Klasse der Paul-Gillet-Realschule plus Edenkoben  einen Selbstversuch.

„Wir wollten uns durch diesen Test  in die Lage eines körperbehinderten Menschen versetzen. Unsere Erlebnisse waren teils wirklich schockierend“, berichtet die verantwortliche Lehrerin des Projekts, Anja Rötzer.

Sie selbst habe in ihrem Heimatdorf Insheim beobachtet, dass viele ältere Menschen mit Rollator Probleme hätten, denn die Gehwege seien oft durch parkende Autos so schmal, dass weder ein Rollstuhl, ein Rollator, ein Doppelkinderwagen noch fahrradfahrende Kinder unter 10 Jahren durchkommen könnten.

Dank der guten Kooperation mit dem Sanitätshaus Strack in Edenkoben,  das sieben Rollstühle kostenlos zur Verfügung stellte,  konnten die Schüler ihre Aktion starten.

„Auf dem Weg zum Bahnhof übten wir schon mal,  Straßen im Rollstuhl richtig zu überqueren, Bordsteinkanten zu überwinden und gerade zu fahren trotz abfallender Gehwege.“, erzählt Rötzer.

„Frohgemut kamen wir am Bahnhof an, leider fielen an diesem Morgen alle Züge nach Landau aus. Wir mussten den Bus nehmen. Die wirklich sehr hilfsbereite Busfahrerin stellte eine mobile Rampe an die Hintertür des Buses, über die wir in den Bus rollen wollten“, berichtet ein Schüler.

„Doch erstens hatten sogar unsere sportlichen Jungs Mühe, die Steigung zu überwinden und zweitens passen in keinen Bus sieben Rollstühle. Vier von uns mussten daher aus dem Rollstuhl aussteigen und ihn zusammenklappen. Wären wir wirklich eine Gruppe von  körperbehinderten Schülern gewesen, wäre unser gemeinsamer Ausflug jetzt schon zu Ende gewesen.“

In kleinen Gruppen wollte die Gruppe nun in Landau testen, wie man als Rollstuhlfahrer durch die Geschäfte bummelt. Ihr Fazit: „Wir waren entsetzt! Anders kann man das nicht ausdrücken.“
Fast jeder zweite Laden in der Marktstraße könne nur über eine oder mehrere Treppen betreten werden. Rampen habe man in der Straße nicht gesehen.

„Unsere Mitschüler, die gerade im Rollstuhl saßen, mussten draußen bleiben oder mühevoll über die teilweise sehr hohen Stufen gezerrt werden. In den Geschäften herrschte meist eine unglaubliche Enge, die Waren waren oft bis in die Gänge gestapelt, ein Durchkommen mit dem Rollstuhl unmöglich“, schüttelt ein Teilnehmer den Kopf.

Die eigenen Beobachtungen wurden von zwei älteren Frauen im Rollstuhl  bestätigt. Diese berichteten von Zebrastreifen, auf dessen einer Seite die Bordsteinkante abgesenkt sei, auf der anderen Seite jedoch nicht, von zu engen Aufzügen, von Autofahrern, die gerne auf den abgesenkten Bordsteinkanten parken oder den Gehweg  durch ihr Parken ganz blockieren.
Eine der Frauen bedauerte, dass es nur ganz wenige Kirchen in Landau gäbe, die man als Rollstuhlfahrer selbstständig betreten könne.

„Wir konnten das eigentlich gar nicht glauben. Was wäre, wenn unsere kleine Schwester oder eine gute Freundin so leben müsste? Zu unserer Fassungslosigkeit mischte sich  immer mehr Ärger über diese Situation, der Rollstuhlfahrer immer wieder ausgesetzt sind“, berichten die Schüler.

„Wir hatten eher mit  abschätzigen Blicken und mangelnder Hilfsbereitschaft von vorbeieilenden Passanten gerechnet, doch hier erlebten wir fast immer nur Positives.

Alle Leute, denen wir von unserem Projekt erzählten, fanden es sehr gut. Eine Verkäuferin eines gerade neu renovierten Ladens in der Marktstraße, die wir auf die fehlende Rampe im Eingangsbereich hinwiesen, wollte ihre Geschäftsleitung darauf aufmerksam machen“.

Die Gruppe hofft, durch ihr Projekt dazu beizutragen, die Situation zu verbessern. „Wir können nur allen raten, ob Bürgermeister, Geschäftsführer oder wer auch immer, sich für ein, zwei Stunden in einen Rollstuhl zu setzen und auch einen „Selbstversuch“ zu unternehmen. Wir hätten wirklich nicht geglaubt, dass, trotz ständiger Diskussion über Inklusion-, so viele Missstände eher der zermürbende Alltag für Menschen im Rollstuhl ist“, lautet das Fazit der Gruppe. (red/desa)

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