Sonntag, 05. Mai 2024

Finanzklemme in Kandel: Erster Beigeordneter Gaudier rechnet mit Landesregierung ab und zeigt Lösungsansätze auf

24. September 2023 | Kategorie: Kreis Germersheim, Politik regional, Regional, Wirtschaft in der Region

Sitzung am 20. September 2023: Die Finanzlage ist seit Jahren angespannt.
Foto: Pfalz-Express

Kandel – Die Stadt Kandel sieht sich seit geraumer Zeit einer finanziellen Notlage gegenüber. Das verdeutlichte der Erste Beigeordnete Michael Gaudier in einer Sondersitzung des Stadtrats am 20. September 2023. Gleichzeitig zeigte er mögliche Lösungsansätze auf. 

Gaudier und Kämmerer Timo Pust gaben den Fraktionen einen Überblick über die aktuelle Finanzlage 2023 und die Planung für 2024. Gaudier kritisierte das Land Rheinland-Pfalz scharf. Die Landesregierung  belaste die Kommunen mit hohen Auflagen und lasse ihnen zu wenig Hilfen zukommen.

Rücktritt in Freisbach: Signal gegen den KFA

Gaudier sprach seinen ehrenamtlichen Kollegen aus Freisbach für ihre „mutige und weittragende“ Aktion seine Anerkennung aus, die mit ihrem Rücktritt ein Signal gegen die ungerechte Behandlung durch den Kommunalen Finanzausgleichs (KFA) gesendet hätten.

„Kandel stellt sich dem Kampf“

Kandel stelle sich dem Kampf, betonte Gaudier. Mit betriebswirtschaftlichen Zahlen könne er nachweisen, dass das bestehende System nicht tragbar sei. Ganz deutlich positionierte sich der Erste Beigeordnete bei einer Sache: Er lehne es ab, die Bürger mit höheren Steuern und Gebühren zu schröpfen, um die Haushaltslöcher zu stopfen.

Er verwies darauf, dass die Stadt schon seit 2017 die Lage erkannt habe und seit 2019 einen Haushaltskonsolidierungsplan verfolge. Gaudier betonte, dass die Stadt (um die laufenden Kosten zu senken) keine weiteren Gebäude baut oder kauft. Nicht benötigte Gebäude seien verkauft oder vermietet worden.

Um die Einnahmen der Stadt zu erhöhen, schlug Gaudier vor, Gewerbegebiete zu erschließen. Er monierte jedoch die Bürokratie, die solche Projekte verzögere oder verhindere. Als Hindernisse nannte er den Landesentwicklungsplan, den Regionalplan, den Bebauungsplan und die Finanzierung.

„Historischer Steuererhöhungs-Tsunami”

Die Landesregierung aus SPD, FDP und Grünen hat die Nivellierungssätze für die Grund- und Gewerbesteuer deutlich angehoben. Das bedeutet, dass die Kommunen unter Druck geraten, ihre Hebesätze zu erhöhen, um keine finanziellen Nachteile zu erleiden. Gaudier bezeichnete diese Maßnahme als einen “historischen Steuererhöhungs-Tsunami”, der von der Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz verursacht wurde.

Er wies darauf hin, dass die Stadt Kandel in den Folgejahren sogar Hebesätze von bis zu 1.800 Prozentpunkten ansetzen müsste, um die Vorgaben des Landes zu erfüllen. Dies lehnte er als unzumutbar für die Bürger ab. Der Kommunalpolitiker warf der Landesregierung einen “kaltschnäuzigen Wortbruch” vor, da sie eine aufkommensneutrale Grundsteuerreform versprochen hatte, die ab 2025 greifen soll. Er fragte, wie die Landesregierung Aufkommensneutralität definieren und gewährleisten wolle, wenn sie gleichzeitig Steuererhöhungen auf breiter Front vorantreibe – und warnte, dass dies nur Politikverdrossenheit schüre.

Gaudier forderte die Landesregierung auf, die Nivellierungssätze unverändert zu lassen und den Kommunen mehr finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Er verwies auf die hohen Haushaltsüberschüsse und Rücklagen des Landes, die dafür genutzt werden könnten. 

Kein Griff in die Taschen der Bürger

Gaudier lud Finanzministerin Doris Ahnen und Innenminister Michael Ebling (beide SPD) ein, nach Kandel zu kommen und sich selbst ein Bild von der Situation zu machen: „Ich erkläre es meinen Bürgern nicht – das sollen die Verantwortlichen selbst tun. Wir Ehrenamtlichen sollen in der heutigen Zeit unseren Kandelern tief in die Tasche greifen und an der Situation auch noch selbst schuld sein.” Gaudier stellte sogleich klar: „Kein Griff in die Taschen unserer Bürger.“

Kreisverwaltung und ADD: Nur nachgeordnete Behörden

In seiner Rede machte Gaudier zudem deutlich, dass nicht die Kreisverwaltung oder die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) für die Finanzmisere verantwortlich sein. Diese seien lediglich nachgeordnete Behörden der Ministerien in Mainz. 

Kostenexplosion bei öffentlichen Investitionen: Gaudier nennt KITA als Beispiel

Die extrem hohen Kosten, die bei öffentlichen Investitionen üblich seien, prangerte Gaudier ebenfalls an. Stichwort: Kindertagesstätte (KITA), deren Baukosten pro Quadratmeter mindestens doppelt so hoch lägen wie bei vergleichbaren gewerblichen Vorhaben. Dies führte er auf bürokratische Vorgaben zurück, die den Bau und den Betrieb der KITA verlängern und verteuern würden. Die Bauordnung, die Betriebserlaubnis und die Zuschussbedingungen erwähnte er als Beispiele.

Zuschusszusage des Landes: Ein bürokratischer Albtraum

Von einem Extrembeispiel aus Landau berichtete er, wo für die Zuschusszusage des Landes ein Variantenvergleich des Bauwerks und eine Lebenszyklusberechnung in dreifacher Ausfertigung erforderlich gewesen seien. Dies habe die Dauer des Verfahrens um zwei Jahre verlängert.

Ein Fall von übertriebenem Lärmschutz

Ein weiteres Extrembeispiel schilderte er aus dem Pestalozzi-Kindergarten, wo eine Massivholzwand mit Schallschutz verkleidet werden musste, um den Lärmschutz für „kleine Ohren“ zu gewährleisten. Dies habe Mehrkosten von mehreren hunderttausend Euro verursacht, die durch ein Gutachten belegt werden mussten. Auch für die Verdunkelung von Snoozle-Räumen sei ein Gutachten für eine Gardine erforderlich gewesen.

Brandschutz: Gaudier fordert mehr Pragmatismus

Den Brandschutz kritisierte er auch als übertrieben. Er sagte: “Niemand ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Paragrafen und Verordnungen werden gesucht und angewendet, um auch die letzte Schraube einer Norm zu unterwerfen.” Mehr Augenmaß und Pragmatismus forderte er: „Wir müssen uns an unseren Möglichkeiten orientieren und nicht am unmöglichsten Extremfall. Wir regeln alles bis ins letzte Detail und wundern uns über Bürokratie, Zeit und Kosten.“

Defizit

Die Zukunftsaussichten für die Stadt Kandel sind düster. Das machte Gaudier in seiner Rede deutlich. Er rechnete mit einem jährlichen Defizit von 3,5 bis 3,7 Millionen Euro, das unter den strengen Vorgaben der Landesregierung nicht zu beseitigen sei.

Er forderte die Fraktionen auf, Einsparvorschläge zu machen, betonte aber, dass die geplanten Verkäufe von Grundstücken und Immobilien nicht ausreichen würden, um den laufenden Haushalt zu sanieren. Die Verkaufserlöse müssten direkt zur Schuldentilgung verwendet werden.

Gesellschaftliche Projekte bedroht

Die größte Gefahr sieht er in der Kürzung oder Streichung von Mitteln für die sogenannten freiwilligen Ausgaben. Das würde bedeuten, dass die Stadt keine Gelder mehr für kulturelle, soziale Projekte bereitstellen könnte. Davon wären alle Generationenprojekte (Jugendarbeit, Betreuungen, Seniorenarbeit), Bildungseinrichtungen und Sportveranstaltungen betroffen. Auch die Bereitstellung von Räumlichkeiten könnte nicht mehr gewährleistet werden.

Gaudier dankte der Beigeordneten Jutta Wegmann für ihr klares Bekenntnis zur Wichtigkeit dieser gesellschaftlichen Aufgabe. Er bezeichnete diese als Investitionen in ein lebens- und liebenswertes Kandel und als Prävention.

Gaudier schlägt Lösungsansätze für den Haushalt vor

Um die gesetzlich zustehenden Plätze in den Kindertagesstätten zu sichern, baut die Stadt Kandel derzeit zwei Einrichtungen mit 11 Gruppen. Die Investitionen belaufen sich auf ca. 12 bis 13 Millionen Euro, von denen das Land und der Kreis nur ca. 1,2 Millionen Euro übernehmen. „Die restlichen ca. 11 Millionen Euro bleiben an Kandel hängen“, betonte Gaudier. Grundsätzlich sei das natürlich gut investiertes Geld in die Zukunft der Kinder und in die Arbeitsbedingungen des Personals – und ein Aushängeschild und ein erheblicher Standortvorteil für Kandel.

Allerdings kommen zum Kapitaldienst auch Folgekosten hinzu, die den Haushalt ebenfalls belasten und nicht ausgeglichen werden. Gaudier rechnete vor, dass 10 Prozent der Investition jährlich für Abschreibungen, Rückstellungen, Nebenkosten und Unterhaltungsmaßnahmen anfallen würden. Auch ein Teil der Personalkosten bleibe bei der Stadt.

Aber: „Was wäre das ganze Geschimpfe wert, hätte ich nicht einen Lösungsansatz“, sagte Gaudier. Er schlug vor, diese Kosten haushaltstechnisch getrennt zu betrachten, weil sie nicht zu den eigentlichen Aufgaben der Stadt Kandel gehören. Er plädierte für eine andere Buchungslegung für die letzten zehn Jahre, die ein anderes Bild auf den Haushalt vermitteln würde. Weniger Schulden und ein Haushaltsausgleich seien möglich, sagte Gaudier. 

Als Beispiel nannte er einen Schattenhaushalt oder ein Sondervermögen. Die Stadt könne zum Beispiel Schulden aufnehmen und als Sondervermögen ausweisen.

Dies gelte auch für alle anderen städtischen Gebäude, wobei die Kindertagesstätten hierbei gesondert betrachtet werden sollten, da für diese „Pflichtaufgaben“ kein entsprechender finanzieller Ausgleich erfolge. „Vor 2000 Jahren hat es schon einmal ein Mensch fertiggebracht, aus Wasser Wein zu machen. Versuchen wir es.“

Hogrefe: Landesregierung leidet an Realitätsverlust

Niklas Hogrefe (CDU-Fraktion) warf der Landesregierung Realitätsverlust vor. Sie lasse die Stadt am langen Arm verhungern. Selbst eine Erhöhung der Abgabenlast für die Bürger brächten keinen Ausgleich für die fehlenden Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich. Er schlug vor, einen überfraktionellen Brandbrief an die Landesregierung zu schreiben, um auf die finanzielle Notlage der Stadt aufmerksam zu machen.

Jäger-Hott: „Wahlkampfgebaren“

Der Vorschlag stieß auf Widerstand bei der SPD. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Markus Jäger-Hott warf Hogrefe Wahlkampfgebaren und Polemik vor und lehnte es ab, einen Brandbrief zu schreiben, den er als Wahlkampftaktik bezeichnete. 

Klar ist: Das Thema „Finanzen“ wird die Stadt und die Ausschüsse noch lange weiter beschäftigen. (cli)

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