Dienstag, 16. April 2024

Crashkurs der Wörther Polizei: „Ein Schlachtfeld, wie ich es noch nie gesehen habe“

15. April 2015 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

v.li.: Polizeihauptkommissar Uwe Becker, Seelsorger Heiner Butz, Notartz Dr. Thomas Bleck, der Leiter der Polizeidirektion Landau, Polizeidirektor Thomas Sommerrock, Polizeikommissarin Jennifer Merx, Polizeioberkommissar Mario Roth und Wehrleiter Daniel Metzger. Foto: Pfalz-Express/Licht

Wörth – Ein Mal ein Fehlverhalten und zwei Leben sind ausgelöscht, weitere Leben auf immer zerstört.

Beim Crashkurs der Polizei Wörth in der Festhalle hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so still und betroffen waren die etwa 400 Jugendlichen, die aus mehreren Schulen im Gebiet der Wörther Polizei teilgenommen hatten.

Anstatt mit erhobenem Zeigefinger Vorschriften herunterzubeten, setzten Beamte, Feuerwehr, Notarzt und Seelsorger bei der Präventionsveranstaltung auf ein greifbares Beispiel: Ein schrecklicher Verkehrsunfall, der sich vor drei Jahren bei Jockgrim ereignet hatte.

Zwei junge Männer – Freunde – kamen dort nach einer Feier ums Leben, als ihre jeweiligen Fahrzeuge frontal zusammenprallten. Vier weitere Insassen der PKW wurden schwer verletzt.

Einer der beiden, J., hatte Alkohol getrunken. (Namen sind der Reaktion bekannt). Der andere, L., war nüchtern geblieben, hatte auf Alkohol verzichtet und war im Begriff, die Gäste nach Hause fahren. J., den L. bereits zuvor zuhause abgeliefert hatte, setzte sich alkoholisiert ans Steuer, wollte zurück zur Party – und krachte bei überhöhter Geschwindigkeit in den Wagen seines Freundes L.

Verarbeitung ist schwer

Die an der Rettungs- und Bergungsaktion Beteiligten schilderten eindringlich die Situation, die sie vor Ort vorfanden, nachdem der Notruf eingegangen war. Auch die schlaflosen Nächte danach, die grauenhaften Bilder im Kopf, das mühsame Verarbeiten des Erlebten verschwiegen die Redner nicht. Dass der Schrecken dieser Nacht bis in die Gegenwart reicht, war allen Referenten anzumerken, die teilweise sichtlich um Fassung rangen.

Den Anfang machten Polizeikommissarin Jennifer Merx und Polizeioberkommissar Mario Roth, die als Erste am Unfallort waren, ein „Trümmerfeld“ vorfanden und die weiteren Maßnahmen auf den Weg bringen mussten. Roth verglich den Verarbeitungsprozess mit einem Marathon: „Ich hoffe, dass Kraft und Energie noch lange halten.“

Traumatische Erinnerungen

Als nächster sprach Daniel Metzger, Wehrleiter der Freiwilligen Feuerwehr Jockgrim. Auch er schilderte das Grauen, bei dem selbst die „hartgesottensten Einsatzkräfte“ völlig zerschlagen gewesen seien. „Nur ein Blechhaufen, aus dem ein Kopf ragte, Blut aus Nase und Ohren rann – die Gliedmaßen nicht mehr da, wo sie hingehörten und nur noch Brei.“

Am Ende versagt Metzger beinahe die Stimme. Es sei eine Ausnahmesituation für die Seele. Trotz Erschöpfung fand Metzger lange keinen Schlaf, hatte das Bedürfnis, mit vertrauten Personen über die übermächtigen Eindrücke zu sprechen.

Betroffene Gesichter.

Der leitende Notarzt des Landkreises Germersheim, Dr. Thomas Bleck, war erschüttert über das, was er am Unfallort vorfand: „Ein Schlachtfeld, wie ich noch nie eines gesehen habe. Ein weißes und ein schwarzes Etwas, das einmal Fahrzeuge gewesen waren.“

Bleck konnte nur noch den Tod der beiden jungen Fahrer feststellen, versorgte dann mit inzwischen zusätzlich eingetroffenen Notärzten die Verletzten und brachte es einige Minuten lang nicht über sich, die Frage eines der Patienten nach den Fahrern zu beantworten: „Sie sind beide tot.“ Auch für ihn ist wichtig: „Reden, reden, um zu verarbeiten.“

„Einer muss es tun“

Heiner Butz vom seelsorgerischen Kriseninterventionsdienst oblag mit seinen Kollegen die schwere Aufgabe, die Eltern vom Tod ihrer Söhne zu unterrichten. „Einer muss es tun“, sagte Butz, der diese Tätigkeit seit über 20 Jahren ehrenamtlich ausübt, schweren Herzens.

„Ich musste ihnen sagen, dass diese Beiden nie wieder nach Hause kommen werden.“ Endlose Trauer, Schreie, Zusammenbrüche der Angehörigen muss Butz auffangen – oft auch bei der Begleitung zum Bestatter, wenn die Eltern Abschied nehmen wollen und „in das leere, tote Gesicht ihres Kindes blicken.“ Absolutes Schweigen im Saal.

Appell an junge Fahrer: Bleibt diszipliniert

Polizeihauptkommissar Uwe Becker vom Polizeipräsidium Rheinpfalz, der die Redner jeweils ankündigte, appellierte genauso wie alle Referenten an ihr Publikum, das in der Hauptsache aus Führerscheinneulingen und Fahranfängern bestand: „Feiert, habt Spaß, aber trinkt niemals Alkohol, wenn Ihr euch ans Steuer setzt, achtet auch auf eure Freunde, schnallt euch immer an, haltet euch an die Geschwindigkeitsbegrenzungen – sie sind nicht umsonst da. Und legt das Handy beiseite. Bleibt diszipliniert – Ihr habt es in der Hand.“ Durch einen einzigen Regelverstoß sei in diesem und in vielen anderen Fällen unendliches Leid verursacht worden.

Untermalt wurden die Worte durch einen kleinen Bildvortrag – die Fotos waren von den Angehörigen von L. zur Verfügung gestellt worden.

Die Veranstaltung endete mit einem Schreckeffekt: Zwei Beamte trugen einen überdimensionalen Luftballon auf die Bühne, der mit Zetteln beklebt war. Darauf hatten zuvor Jugendliche die Wünsche für ihr weiteres Leben notiert. „Eine Familie gründen“, „eine Weltreise unternehmen“, Abitur machen“, lasen die Polizisten vor – als der Ballon plötzlich mit einem lauten Knall zerplatzte. Im übertragenen Sinn: Lebensträume zerstört, in einer einzigen Sekunde. Nicht gelebte Leben.

In Jockgrim stehen noch heute zwei Kreuze an der Stelle, als auch dort zwei Leben viel zu früh zu Ende gingen. (cli)

 

Print Friendly, PDF & Email
Zur Startseite

Abonnieren Sie auch unseren Pfalz-Express-Kanal bei YouTube

Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken

Kommentare sind geschlossen