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„Bald ist Weihnachten“ – Impressionen eines Südpfälzers im Karlsruher Weihnachtstrubel

22. Dezember 2013 | Kategorie: Kreis Germersheim, Kreis Südliche Weinstraße, Landau, Regional

Konsumtempel Shoppingcenter: Zur Weihnachtszeit hochfrequentiert.
Foto: pfalz-express.de/Licht

Karlsruhe/Rheinzabern – Ein südpfälzer Bürger brach zu Weihnachtseinkäufen nach Karlsruhe auf und beschrieb seine Erlebnisse wie folgt.

„Moritz von Uslar ist an allem schuld, schrieb er doch dieser Tage in der WELT eine „Liebeserklärung an das Warenhaus“ als wahre Idylle im Trubel der Großstadt. Anlass für mich, den schon lange geplanten Besuch in Karlsruhe zu verwirklichen, obwohl die Rheinbrückenzicken im Rathaus und die Stadtbahnpannen echt nerven.

Punkt 14.10 Uhr fahre ich ins Parkhaus am Stephansplatz ein. Auf O19 erhalte ich einen der letzten drei Parkplätze und bin zutiefst dankbar dafür. Beim Ausgang aus der Großgarage stechen gleich fesche junge Burschen mit tief hängenden Hosenböden ins Auge. Etliche erwachsene Männer mit auf cool machenden Mützen können ihr schwindendes Haar nur schwer kaschieren und wirken eher lächerlich.

Vor kurzem scheint es hier eine Volksspeisung gegeben zu haben, vielleicht fiel sogar Manna vom Himmel, denn Hinz und Kunz kaut auf beiden Backen. Ein spätpubertierender PS-Protzer düst über die Karlstraße, ehe ich den Ludwigsplatz erreiche, wo selbst am Tag die Promille-Meile zu erkennen und die ausgedienten Bratwurstservietten zu „bewundern“ sind. Ein schöneres Entree in eine Stadt, die sich um den Titel Kulturhauptstadt Europas bewarb, kann ich mir nicht vorstellen.

Endlich eines der Geschäfte, die echte Urbanität ausmachen und von Massenmenschen gemieden werden. Ich erstehe Kunstkarten, um meine Weihnachtswünsche auf individuelle Art transportieren zu können. Zufrieden verlasse ich das Geschäft mit Stil, obwohl vor mir in der Warteschlange ein Wichtigtuer in lauter Sprache Banales absetzte. Peinliche Blicke allenthalben. Selbst beim Bezahlen beachtete er kaum die verunsicherte Verkäuferin und gibt ihr beiläufig die Euros. Immerhin ein Plus: Keine Scheckkartenschlange.

Ganz anders geht es in einem Bücherkaufhaus zu, das heute nur missbräuchlich den Namen einer griechischen Muse trägt. Kaum, dass der Eintritt in den Musenladen gelingt, denn unüberschaubare Schlangen kulturbeflissener Kunden winden sich quer zum Zugang. Fürchterlich, in diesem Ambiente Kultur sich auch nur anzuschauen. Völlig aussichtslos, etwas zügig zu erstehen. Die wartenden Kunden scheinen Ihre Vorfreude auf den anstehenden Kauf unterdrücken zu wollen. Fast zur biblischen Salzsäule sind manche erstarrt. Vielleicht wollen sie auch über ihren Kauf schweigen, weil sie potenzielle Kulturräuber fürchten, die sie ihres „erstandenen“ Bücherschatzes berauben könnten.

 Ein Fachgeschäft für Musikalien begrüßt mich stilgerecht mit vierhändigen Klavierweisen, ehe ich mich in der Klassikabteilung umschaue. An den unterschiedlich langen Schlangen ist aber erkennbar, dass mit dem Vorverkauf für Kulturevents offensichtlich mehr erlöst wird als mit digitaler Kultur. Für beide gilt aber: Umtausch verboten.

Sichtlich zufrieden mit den Geschenken lasse ich mich durch die Kaiserstraße mehr drängen als treiben, ducke mich dabei vor den wie Querschläger zischenden Handysprachfetzen und blende die nörgelnde Rangen oder mahnenden Mütter aus. Geduld ist die erste Adventsbummelregel, sage ich mir immer wieder. Wieder fallen mampfende Zeitgenossen ins Auge, die auch überall an Tischen sitzen und sich mit ihren Handys unterhalten. Offensichtlich sagt ihnen eine VIP-App in kurzen Abständen immer wieder, wie wichtig sie sind.

Ob ihres Ambientes ist mir die Toilette in dem vom WELT-Autor besungenen Kaufhaus einen Euro wert, was den Wärter wundert, für mich aber Ausdruck großer Erleichterung bedeutet. Selbst die „flätzenden“ Matronen an den Bistro-Tischen können diesen Quantensprung an Kultur nicht trüben, so dass auch hier der Buchkauf mehr Lusts als Last bedeutet und durch eine freundliche Kassiererin gekrönt wird.

„Kann ich Ihnen helfen“, höre ich plötzlich eine freundliche Stimme, die wohl meine innere Blässe entdeckt haben mag. „Ja, gerne!“, entgegne ich, was ihr ein spontanes Lächeln ins Gesicht zaubert. Dieses verschwindet aber sofort wieder, als ich sage: „Ich bin geschockt über den Preis!“ Ein Problem für den Pensionär in mir. Das Hemd ist mir seinen Preis nicht wert, ich trage es eh unterm Pullover und stecke es in die Hose, so dass im Prinzip nur der Kragen sichtbar bliebe. Dieser würde aber meiner Gattin platzen, erführe sie von meiner Kapitulation vor einer verkaufstüchtigen Verkäuferin. Ich bedanke mich höflich und bin mit mir zufrieden, nochmals der „textilen Verführung“ entkommen zu sein.

„Jingle bells“ klingt mit Klarinette recht einsam, übertönt aber alle anderen Straßengeräusche, wird sogar schön, als ich dazu beim Näherkommen die Melodie eines kaukasischen Schifferklaviers vernehme. Längst bin ich aber im Schallkegel eines verhinderten Gitarrengenies angekommen, der nicht verstehen will, warum ich einen weiten Bogen um seinen Hut mache. Es ist mittlerweile 15.30 Uhr vorbei, und langsam kommt für die Straßenmusikanten der Last-Minute-Feierabend-Stress, wollen und müssen sie ja noch die letzten Euros einstreichen, ehe Nacht und Kälte sie verstummen lässt.

Auffallend auch die vielen Wasserflaschen tragenden jungen Leute. Irgendwie muss dies mit Weihnachten zu tun haben, vermute ich. Ist das Wunder von Bethlehem nicht in der Wüste geschehen? Wehe, wenn Jesus kommt und ich nichts zu trinken dabei habe, denkt vielleicht so mancher. Und gehörte zu Bethlehem nicht auch ein Stern, ein Planet? Hier an der ehemaligen Hauptpost sehe ich den Saturn. Als „Römer“ aus Rheinzabern fallen mir gleich die Saturnalien ein, die zu den höchsten Feierlichkeiten in Cäsars Kalender gehörten.

Im Elektronikmagazin gleichen Namens wimmelt es von jungen Menschen, die wohl alle vom Glanz des Saturns abbekommen möchten. Etliche tragen Kopfhörer, wackeln mit den Schultern oder schütteln ihr Haupt. Stehen diese Menschen eventuell sogar im direkten Kontakt mit höheren Mächten in den Sphären? Sind sie entzückt ob der himmlischen Klänge? Die frohe Botschaft von diesem Stern darf man offensichtlich gerne hinaus in alle Welt tragen, denn an den Kassen gibt es keine verzögernden Schlangen, und die Kassiererin grüßt sogar noch freundlich. Wow.

Gestärkt durch diese magischen Kräfte der Großstadt begebe ich mich zu meinem Auto. Irgendwie scheint mir noch etwas zu fehlen. Genau. All diese schönen Erlebnisse kann es keinesfalls umsonst geben. Ich fühlte mich total unwohl, dürfte ich nicht genüsslich 6 Euro in den einladenden Parkautomatenschlitz stecken. 16.37 Uhr erreiche ich wieder die Straße, um zwischen Bauzäunen und Ampeln hindurch der Heimat entgegenzusteuern.

Auf der B9 zeigt mir mein Tacho, welche Emotionen noch in mir verborgen sein müssen, als ich auf der linken Fahrspur alle Bummler rechts liegen lasse. Kurz hinter Neupotz nimmt mir dann noch ein größerer PKW mit eingebauter Vorfahrt dieselbe, was ich aber sofort als Zeichen des Himmels deute. Die geschwungenen Heckleuchten scheinen irgendwie einer Christbaumbeleuchtung in Rot zu ähneln. Ist mir der Herr erschienen? Drei Tage zu früh dazu? Ein Wunder? Ganz ruhig, sage ich zu mir. Erst in drei Tagen ist Weihnachten, das Fest der Entschleunigung und Stille.“   (bg)

 

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