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„Retirement Village“ in Kandel nach kanadischem Vorbild: Bislang einmalig in Deutschland – hohe Preise enttäuschen

20. Mai 2014 | Kategorie: Allgemein, Kreis Germersheim, Regional

Fotos: pfalz-express.de

Kandel – „Alte Bäume verpflanzt man nicht mehr“, begrüßte Kandels Stadtbürgermeister Günther Tielebörger in seiner Willkommensrede die teilnehmenden Bürger, die am vergangenen Freitag, 16. Mai, in die Stadthalle gekommen waren, um ein Projekt zum Thema Wohnen der Generation 50 + im geplanten Neubaugebiet K7 vorgestellt zu bekommen. Wegen der demografischen Entwicklung wolle man der künftigen Altersstruktur Rechnung tragen.

Als Vortragende waren Wolfgang Strey vom Planungsbüro WSW & Partner, Georg Nicolay, Geschäftsführer der Geimeinschaft Deutsche Altenhilfe (GDA), Pablo Rischard vom AGP-Institut für angewandte Sozialforschung aus Freiburg anwesend; Günther Tielebörger, Stadtbürgermeister von Kandel, Harald Nier von der Pflegestrukturplanung der Kreisverwaltung Germersheim und Volker Poß, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel, hatten hierzu eingeladen.

Nach einer Begrüßung erklärte Günther Tielebörger, dass man die Idee der Bevölkerung vorstelle, um danach im Stadtrat darüber zu diskutieren. „Es soll kein fertiges Konzept vorgestellt werden, sondern die ersten Ideen, zu denen Sie Ihre Meinung sagen sollen.“

Wolfgang Strey erläuterte das geplante Wohnquartier K7 und den begehrten Wohnstandort Kandel. Das Wohngebiet solle von einer Lärmschutzwand umgeben werden, eine zentrale Grünachse bekommen, die zugleich als Kommunikationsraum und Regenwassermulde genutzt werden könne. Neben einem Bereich für Familien solle ein Seniorendorf entstehen, in dem selbständiges und ungestörtes Wohnen mit hoher Wohnumfeldqualität möglich sei.

Die älteren Bürger sollen verknüpft, nicht abgeschoben werden.“ Mittels eines Mehrgenerationenplatzes solle ein Treffpunkt für Jung und Alt mit Serviceeinrichtungen und Dienstleistungen entstehen. Durch sogenannte Wohnhöfe nehme man die regionaltypische Baustruktur auf und gestalte die Grundstücke mit offenen, kommunikativen Vorgärten und rückwärtig gelegenen Privatgärten.

Kurze Wege mit fußläufiger Anbindung an die Innenstadt, Barrierefreiheit und sozialer Austausch seien wichtige Kriterien. Nun wolle man mittels Befragung den Bedarf ermitteln, um ab 2018 mit der Erschließung beginnen zu können.

Auf die genaue Wohnform zum Konzept ging Georg Nicolay ein. Die Idee stamme aus Kanada, wo es Retirement Villages gäbe. Man wolle in Kandel eine Wohnform für Menschen schaffen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien und auch im Alter im eigenen Haus leben wollen. Der Trend ginge dazu, dass Menschen nicht in klassischen Pflegeheimen einziehen wollen.

„Treffpunkt der Avantgarde“

Man wolle ein Angebot schaffen für noch nicht pflegebedürftige Menschen, die ein von Verpflichtungen – wie einem großen Garten – befreites, selbständiges Leben im Alter leben wollten. Dank selbstgewähltem, stilvollem Ambiente sei in Kandel das GDA-Quartier als „Treffpunkt der Avantgarde“ geplant. „So etwas gibt es bisher in der Bundesrepublik als Gesamtkonzept noch nicht. Kandel wäre etwas Exklusives und ein Platz für eine Entwicklung für die Zukunft“, so Nicolay.

Einen zusätzlichen Mehrwert böte ein Zentrum für Begegnung – man denke an einen Grillplatz, Restaurants, Ärzte, Physiotherapeuten, der fußläufig erreichbar wäre, multifunktional zu nutzen und sinnstiftend sei. „Wir wollen nicht nur Wohnraum schaffen, sondern ein selbst gestaltetes Alter“, so Nicolay. Dafür gäbe es den Quartiers-Verein, in dem man Mitglied werde und der das Leben mit Unterstützung und Sinn bereichere. „Dabei denken wir nicht nur an Profi-Dienstleister, sondern an eine Selbstverwaltung, kulturelle Bildungsangebote, um auch im Alter noch neue Aufgaben zu haben, sich noch engagieren zu können.“

Hierfür gäbe es zwei Modelle als vertragliche Grundlagen: Zum einen Mietvertrag zum anderen ein Wohnrecht. Hinzu kämen ein Service-Vertrag für eine 24-h-Notrufbereitschaft, verschiedenste Hilfeleistungen etc., sowie eine Mitgliedschaft im Quartiers-Verein. Des weiteren kämen die üblichen Nebenkosten und eventuelle Zusatzleistungen wie Betreuungsdienste, Haushaltshilfen etc. hinzu. Einen stationären Bereich werde es nicht geben. „’Ambulant vor stationär‘, diesen Satz vertreten wir“, so Nicolay in seinen Ausführunggen.

Preise zu hoch?

Anhand verschiedener Mustergrundrisse und Haustypen stellte er die geplanten Kosten für Miete oder Wohnrecht vor – was für einiges ablehnendes Gemurmel im Saal sorgte:

Für den mittelgroßen Typ 2 mit 96 qm Fläche, barrierefrei mit breiten Türen und kleinem Garten, in der auch ein Gästezimmer mit Bad als eigene Wohneinheit für Pflegepersonal integriert sei – „für die Polin, die mich unterstützt“, wie Nicolay ausführte, kämen 1344 Euro monatliche Miete plus 480 Euro Nebenkostensowie Servicepauschale und Mitgliedschaft hinzu, so dass man auf einen Gesamtbetrag von 2139 Euro käme.

Lebenslanges Wohnrecht im Grundbuch

Demgegenüber stellte er das auf die mittelalterliche Spitalsidee zurückgehende Wohnrecht vor: Dank einer einmaligen Zahlung habe man ein lebenslanges Wohnrecht, das im Grundbuch festgehalten würde, der Tod gehe dann mit einer Löschung im Grundbuch einher, eventuelle Überschüsse würden an die Erben ausgezahlt werden.

„Ich sehe darin große Vorteile, denn mit einem Einmalbetrag, der im Grundbuch abgesichert ist, gibt es keinen Eigentümerwechsel und damit entsteht keine Grunderwerbssteuer, die Immobilie bleibt in Hand der GDA. Das ist eine gute Alternative, sein Geld aus vorherigen Immobilienverkäufen anzulegen und lebenslange Sicherheit zu haben.“

Entscheidend für den Preis der Wohnrechts ist das Eintrittsalter: Für Haustyp 2 zahle man mit 60 Jahren 351.500 Euro, mit 70 Jahren 270.000 Euro und mit 85 Jahren noch 147.000 Euro. „Das Wohnrecht ist günstiger als Mieten. Es ist ein mathematisch berechneter Wert: mit 92 Jahren hat man das eigentliche Wohnrecht verlebt, kann aber ohne weitere Nachzahlungen bis an sein Lebensende weiter dort bleiben. Das ist sorglos Leben im Alter“, erläuterte Nicolay.

Pablo Rischard vom AGP-Institut erläuterte anschließend die Hintergründe der Befragung und stellte anhand von Beispielen die auch für Kandel vorgesehenen Fragebogen vor. Es würden Trends aufgenommen werden, denn „das Pflegeheim ist out“.

Inklusive Wohnformen mit selbständigem und autonomen Leben sowie angepasste Angebote für alle Lebenslagen durch Schaffung einer alterstauglichen Umwelt mit guter Infrastruktur, barrierefreiem Wohnen, guter Nachbarschaft und einem Sicherheitsgefühl, seien anzustreben. In Kandel könnte dafür eine Möglichkeit mit Modellcharakter geschaffen werden. „Bisher gibt es nichts Vergleichbares in Deutschland.“

Fragebogen für Bürger über 50

Daher brauche man nun die Daten von etwa 1200 Bürgern in Kooperation mit der Stadt. Ab Juni würden Personen ab 50 Jahren angeschrieben werden, um anhand eines Fragebogens verlässliche Daten zu erhalten. Der Fragebogen erhalte Fragen unter anderem zur Lebenssituation, Wohnsituation, Familie, Pflegebedarf, Freizeitgestaltung und ob man sich vorstellen könne, im Quartier zu leben.

Daraufhin forderte Günther Tielebörger die Bürger auf: „Jetzt sind Sie dran!“ Allerdings betonte er auch: „Das sind Mietpreise, die ich so bisher auch noch nicht gehört hatte; vieles erledigt sich dann – vielleicht auch die Befragung.“ So erklärte er: „Wir fanden die Idee gut, aber die Preise, da habe ich mich schon am Stuhl festhalten müssen.“

Auch Harald Nier meinte, dass die Kosten wohl zu optimieren seien. Trotzdem fand er das inhaltliche Konzept mit den Elementen wie Service und Gemeinschaftsräumen gut – da könne Kandel Modellcharakter haben. „Die Zahl der 80-Jährigen hat sich fast verdreifacht, das bisherige System der Pflege reicht nicht mehr aus.“ Daher habe der Landkreis das Konzept „Gemeinsam älter werden zu Hause“ entwickelt.

Mit den Fragen der Bürger, die insgesamt das Konzept zwar gut, aber die Preise doch erschreckend fanden und auch mit dem Wohnrecht ein Problem sahen, wird sich Kandel jetzt beschäftigen müssen. So hörte man immer wieder: „Das Konzept ist toll, aber wer soll den das bezahlen?“ Gerade wer bisher kein Eigentum gehabt habe, tue sich schwer mit dem Finanzieren.

Nicolay antwortete auf die Fragen und Meinungen der Bürger: „Das was wir hier vorstellen, ist nicht das Modell für den Sozialhilfeempfänger. […] Wir können damit nicht alle Probleme dieser Stadt lösen.“

Somit wäre das bisher angedachte Modell dann – wie es ein älterer Bürger formulierte – „für Leutchen, die betucht sind.“ (sek)

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