Jutta Steinruck im Willi-Hussong-Haus: „Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung“

2. Mai 2014 | Kategorie: Allgemein, Kreis Germersheim, Politik regional, Regional

V.li.: Klaus Böhm, Jutta Steinruck, Günther Tielebörger: Gesprächsrunde im Willi-Husson-Haus in Kandel.
Fotos: Pfalz-Express.de/Licht

Kandel – Einen ungewöhnlichen Mix aus demografischen Gesprächen und Europa-Lehrstunde wurde bei einem Treffen der SPD-Europaabgeordneten Jutta Steinruck im Willi-Hussong-Haus in Kandel thematisiert.

Die Veranstaltung war der zweite Teil des vor drei Wochen stattgefundenen Gesprächsrunde (wir berichteten). Eingeladen hatte die AG 60plus.

Anwesend waren unter anderem der Bereichsleiter des Trägervereins (Landesverein für Innere Mission in der Pfalz eV.) Thomas Oberinger, und die beiden Bürgermeister Volker Poß (Verbandsgemeinde) und Günther Tielebörger (Stadt) und natürlich die Vorsitzenden der AG 60plus, Alexander von Rettberg und Klaus Böhm, der die Veranstaltung moderierte.

Immer mehr Menschen mit Demenz

Gabriele Balz, Leiterin der Einrichtungen in Kandel und Wörth, berichtete von einer 70-prozentigen Belegung von Menschen mit Demenzerkrankung. Man setze auf die Methode der Validation.

Validation oder Validieren bedeutet eine wertschätzende Haltung, die für die Begleitung und Pflege von Menschen mit Demenz entwickelt wurde und hat zum Ziel, das Verhalten von Menschen mit Demenz als für sie gültig zu akzeptieren („zu validieren“).

Dazu würden die Mitarbeiter in unterschiedlichen Ausbildungsabschnitten geschult. So werde ein ruhigeres Umgehen mit Menschen mit Demenz möglich wird, erläuterte Balz. Die Räume in Kandel und Wörth seien so gestaltet, dass ein Miteinander auch mit orientierten Bewohnern möglich sei.

V.li.: Thomas Oberinger, Gabriele Balz, Klaus Böhm

 Thomas Oberinger erwähnte in diesem Zusammenhang, dass es keine Einrichtung mehr gebe, die einen Anteil unter 50 Prozent an dementen Menschen habe.

 Jutta Steinruck: Mehr Geld und Anerkennung für Pflegeberufe zwingend notwendig

 Was Kandel mit dem Projekt „Retirement Village“ vorhabe (Im Baugebiet K7 soll im Kern eine altersgerechte Siedlung entstehen, (Neue Idee “Retirement Village”: Kandel will im Baugebiet K7 für künftige “Oldies” bauen), sei beispielhaft für die europäische Zielsetzung, sagte Jutta Steinruck. Die Menschen sollten so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung zuhause leben können.

 Günther Tielebörger interessierte in diesem Zusammenhang besonders, ob es von der EU Zuschüsse für derartige Projekte zu erwarten gebe. Allzu viel Hoffnung darf er sich diesbezüglich wohl aber nicht machen. Steinruck kritisierte herbei, dass konservative Kräfte die Schwerpunkte zu stark auf die europäische Wirtschaftspolitik, weniger auf die Sozialpolitik richteten.

 Man könne Schwerpunkte setzen im Europa-Parlament, wenn es um Fonds und Zuschüsse ginge. So gebe es bereits Förderungen im Bereich Arbeitsplätze, berufliche Weiterentwicklung oder Regionalentwicklung. Ob das Retiremet Village als „Sozialprojekt“ auf Gelder aus den Fördertöpfen des Europäischen Sozialfonds hoffen kann, ist fraglich.

Jutta Steinruck, Günther Tielebörger, Volker Poß

 Im Bereich der demografischen Entwicklung jedoch seien viele Jahre lang die Hausaufgaben nicht gemacht worden: „Die Akzeptanz und öffentliche Anerkennung der Pflegeberufe muss gestärkt werden, und vor allen Dingen muss die Bezahlung stimmen“, forderte Steinruck vehement. Die schlechte Bezahlung generiere zudem eine zu geringe Rente, damit sei Altersarmut vorprogrammiert. „Das kostet Geld, es muss irgendwie finanziert werden und kann nicht an den Familien alleine hängen bleiben“, so die Abgeordnete. „Da ist der Staat gefragt!“

 Die EU dürfe aber dazu nur die Rahmenbedingungen setzen, aber keinesfalls „rein regieren“. In Europa gebe es eine hohe Zahl von jungen Arbeitslosen, die man für den Pflegeberuf qualifizieren könne, so die Beschäftigungspolitikerin. „Es darf jedoch keines Druck auf Sozialstandarts ausgeübt werden durch Billiglöhne.“

 Das Gute an der EU sehen

 Jutta Steinruck plädierte leidenschaftlich Europa als Solidargemeinschaft und kritisiere scharf diejenigen Kräfte, die „Europa kaputt machen und in die Nationalstaaterei zurück wollen“.

 Alles was gut sei in Europa, würde nicht gesprochen, sondern stets nur die Auswüchse behandelt.

 So habe beispielsweise die koordinierte Agrarpolitik zum Ziel, die Nahrungsmittelversorgung rein aus der EU zu gewährleisten – ohne Importe und der Gefahr, damit erpressbar zu sein. Aus dem Agrarfond würde auch die regionale Entwickling betrieben: „Da geht es um mehr als nur Essen: Es ist auch eine Wahrnehmung der Landschaftspflege.“

 95 Prozent des Betrags, den Deutschland in die EU-Töpfe einzahle, bekäme das Land sowieso wieder zurück in Form von Förderungen. Diese Summe landet beim Bundesfinanzministerium, das die Gelder wiederum weiterleitet in die Bundesländer. „Rheinland-Pfalz schöpft die Förderungen zum Beispiel komplett aus“, erklärte Steinruck. „Nur wenn ein Land nicht alle Förderungen in Anspruch nimmt, fließt das Geld wieder zurück nach Brüssel.“

 Es gehe nicht um Europa  „ja oder nein“, betonte Jutta Steinruck. Sondern darum, dass die Menschen offenbar unzufrieden mit den regierenden Mehrheiten seien: „Deshalb müssen die Wähler für eine Veränderung sorgen. Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung des Problems.“

Durch die EU sei die Wirtschaft erst richtig stark geworden, Zölle und Wechselkurse seien weggefallen, der Handel zwischen den Staaten und somit die Unternehmen gefestigt worden. „Gerade in Deutschland hängen zwei Drittel der Arbeitsplätze am Export. Deshalb ist es für uns essentiell, dass es unseren europäischen Nachbar ebenfalls gut geht“, betonte Steinruck. „Natürlich dürfen keine Lobbyisten im Parlament sitzen, die ihre eigenen Interessen durchdrücken wollen.“

 Es sei zudem immens wichtig, dass zur besseren Transparenz der Geldflüsse endlich die Transaktionssteuer eingeführt würde. Fairness am Arbeitsmarkt sei demnach gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

 Ukraine-Krise: „Gespräche dürfen nicht abreißen“

Ein weiterer Diskussionspunkt war die Ukraine-Krise. Eine Gesprächsteilnehmerin äußerte ihre Angst vor Putin und seinen eventuellen Eroberungs-Gelüsten. Einig waren sich jedoch nahezu alle Anwesenden und die Abgeordnete, dass nicht nur von Russland, sondern auch von Seiten des Westens und der Nato Fehler gemacht worden waren. Ursprünglich sei es nur darum gegangen, den Menschen in der Ukraine zu helfen.

„Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, dass Europa zusammenhält und mit einer Stimme spricht“, so Steinruck. Die Gespräche mit Russland dürften nicht abreißen: “Die Alternative zur Diplomatie ist Krieg. Und das kann niemand wollen.“

Nach Abschluss der Gesprächsrunde und einem von Klaus Böhm überreichten „Honorar in pfälzer Währung“ (Wein) besichtigte Jutta Steinruck unter Führung von Gabriele Balz noch verschiedene Stationen des Willi-Hussong-Hauses, sprach mit einigen Bewohnern und zeigte sich beeindruckt von den diversen Unterbringungsmöglichkeiten. (cli)

 

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Ein Kommentar auf "Jutta Steinruck im Willi-Hussong-Haus: „Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung“"

  1. Andreas Müller sagt:

    „95 Prozent des Betrags, den Deutschland in die EU-Töpfe einzahle, bekäme das Land sowieso wieder zurück in Form von Förderungen.“ Wenn es denn so wäre, daß der größte Nettozahler (auch in Sachen Euro-Rettung) 95% seiner eingezahlten Milliarden wieder zurückbekommt – weshalb überhaupt erst einzahlen? Wenn wir angeblich fast unsere gesamten an die EU transferierten Steuermilliarden zurückerhalten, wieso behalten wir das Geld nicht gleich im Land und verwenden es dementsprechend selbst? Oder braucht man den aufgeblähten EU-Haushalt von knapp einer Billion (!) Euro, um den Beamtenapparat von rund 40.000 Männlein und Weiblein in Brüssel und Straßbourg zu rechtfertigen?

    Und zu “Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung”. Wer redet denn von Europa? Die Kritik bezieht sich fast ausschließlich auf die EU und den EURO! Beides ist NICHT Europa, denn Europa funktionierte schon Jahrhunderte zuvor! Und wer jetzt wieder mit dem „größten Friedensprojekt aller Zeiten“ und der „Kriegsgefahr-Keule“ das Wahlvolk einschüchtern will: Funktioniert „Europa“ nur, wenn man quasi „Schutzgeld“ in Form von EU-Transfers und EURO-Rettungs-Milliarden zahlt?