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„Schlepper-Flashmob“ in Kandel: „Alles wird den Landwirten angelastet“

20. Dezember 2019 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

V.li.: Michael Zapf (Landwirt – Gemüsebau), Bohlender Stefan (Landwirt), Marcel Schwab (RWS Südpfalz), Kolb Dietmar (Landwirt), Maria Zapf (Biolandwirtin), Christoph Blankenburg (Landwirt -Schweinehaltung), Tobias Zapf (Azubi-Gemüsebau) und Lukas Heintz (Landwirt – Winzer).
Fotos: Pfalz-Express/Licht

Kandel – Bundesweit haben sich am Mittwoch Landwirte eine halbe Stunde lang mit Traktoren und Schildern an Brücken positioniert, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Mit dem „Schlepper-Flashmob“ wollte man einerseits Solidarität mit den Demonstrationen in den Niederlanden zeigen und andererseits darauf aufmerksam machen, dass die deutsche Agrar- und Wirtschaftspolitik nicht von einem gesellschaftlichen Grundkonsenz getragen werde, so die Organisation „Land schafft Verbindung Deutschland“.

Auch in Kandel nahmen Landwirte am Flashmob teil und standen mit ihren Traktoren bei Minderslachen auf der Brücke über der A 65. Auf fast jeder Brücke bis Ludwigshafen ging es weiter, auch auf Brücken über der B9 haben sich viele Landwirte zusammengefunden. Man wolle gesehen werden, begründeten die Landwirte den Standort für die Aktion. Tatsächlich ernteten sie jede Menge ermunterndes Hupen von den Autofahrern.

Weder die Politik in Berlin noch in Brüssel habe sich ausreichend bewegt, um Lösungen zu erörtern, so „Land schafft Verbindung“: „Alle wünschen sich eine regionale, nachhaltige Landwirtschaft, die Agrarpolitik der Bundesregierung wird aber mit der Flut der Forderungen dafür sorgen, dass kleine und mittlere Familienbetriebe aufgeben müssen, und sich die Konzentrierung auf wenige Großbetriebe in industrieller Hand schneller als bisher fortsetzen wird. Wir wollen auch weiterhin eine bäuerlich geprägte Landwirtschaft.“

„Alles wird den Landwirten angelastet“

So sehen es auch die Kandeler Landwirte. Alles werde den Landwirten angelastet – von der Nitratbelastung in den Böden bis hin zum Insektensterben. Dabei sei die Sache aber bei weitem nicht so simpel, sagt Christoph Blankenburg (Schweinehalter).

Man habe beispielsweise bei den Honigbienen eine enorme Zunahme, im Bienwald einen Maikäferbefall, ansonsten gebe es noch den Borkenkäfer und rund 40 neue Insektenarten, die im Zuge der Globalisierung eingeschleppt worden seien. Über den Winter raffe allerdings eine spezielle Milbenart 20 Prozent der Honigbienen dahin: „Das hat aber mit der Landwirtschaft rein gar nichts zu tun“, so Blankenburg. „Und wer schützt die Wildbienen vor der Milbe?“

Auch seien die heutigen Insektenvernichtungsmittel „selektiv und kurzfristig wirksam“ im Gegensatz zu denjenigen, die man früher verwendet habe. „Da haben wir DDT gestaubt gegen den Kartoffelkäfer.“

Alle anwesenden Landwirte hätten ihren Beruf erlernt und besäßen eine gute fachliche Praxis, betonen sie. Man kenne sich aus im Metier. Dennoch seien die Landwirte bei Entscheidungen der Ministerien nicht wirklich eingebunden worden und stehe nun vor Verordnungen, die im Grunde unmöglich umzusetzen seien.

Beispiel Düngeverordnung: „Wir tun seit Jahren, was gefordert wird“, sagt Landwirt Stefan Bohlender. „Nun sollen wir nochmals um 20 Prozent reduzieren und zwar jeweils in Bezug auf das Vorjahr.“ Damit aber sei man nicht mehr fähig, normales Brotgetreide zu produzieren, da dieses Proteine ausbilden müsse – und das gehe nur mit eine Grundmenge an Stickstoff. Wenn man die Düngung noch mehr absenke, eigne sich das Getreide in zwei Jahren lediglich noch für Viehfutter.

Nitrat-Messstellen fragwürdig

Kritik gibt es auch an der Praxis der Nitrat-Messstellen. Die Pfalz sei als „Rotes Gebiet“, gekennzeichnet, erklärte Bohlender, obwohl der Nitratgehalt beispielsweise in Kandel um die 3 mg pro Liter liege. Der Grenzwert liegt laut Trinkwasserverordnung bei 50 mg.

Eine Stelle gibt es mit einer Messung von 45 mg im sogenannten Grundwasserkörper, der von Kandel bis Bad Bergzabern reicht. Diese befände sich in einem Waldstück, das viel Humus produziere und einen Sandboden habe, erläuterten die Landwirte auf der Brücke. Das habe ebenfalls nichts mit der Landwirtschaft zu tun. Falls aber nun gerade diese Messstelle an die Behörden gemeldet worden sei, kämen natürlich höhere Werte zustande. Auch Messstellen bei Friedhöfen oder Mülldeponien hätten meist höhere Nitratwerte. „Und die werden dann für alle Menschen herangezogen.“ Und ob andere EU-Länder mit besseren Werten stets die richtigen Angaben machten, sei unklar.

Früher habe man der Dreifache gedüngt („wir haben das damals so gelernt“), deshalb seien die Messwerte teils auch alt, sagen die Landwirte. Heute dünge man mit viel weniger Dünger deutlich größere Flächen, aber: „Das, was wir heute düngen, kann erst viele Jahre später – in bis zu 30 Jahren – gemessen werden.“

Deshalb ist es für Gemüsebauer Michael Zapf ein Witz, dass er jedes Mal vor der Aussaat und nach der Ernte die Messwerte abliefern muss. „Wir Landwirte denken in Generationen“, betont Zapf. Die Regierung stattdessen denke in Wahlperioden und die EU im siebenjährigen Finanzrahmen. So könne nichts Gescheites zustande kommen, sind sich die Landwirte einig. Auch Bio-Bauern und Winzer litten unter den Vorgaben.

Die finanziellen Einbußen durch die neuen Verordnungen, aber auch das Preisdumping sind ein Problem: „Würde ein Brötchen nur einen Cent mehr kosten, könnten wir alle besser von unserem Beruf leben und ordentliche Löhne zahlen.“

„Bauern sorgen für das Essen“

„Niemand soll es je vergessen, Bauern sorgen für das Essen“, stand auf einem der Traktoren geschrieben. Eine nicht zu bestreitende Tatsache – und das, obwohl nur noch 1,6 Prozent der Bevölkerung als Landwirte tätig sind und das Höfe-Sterben weitergeht. Kaum einer der Nachfolgegeneration hat noch Lust, die beschwerliche und betriebswirtschaftlich oft unrentable Arbeit zu tun.

Aufgeben wollen sie dennoch nicht: „Wir werden weiterkämpfen“, versichern die Kandeler Landwirte. (cli) 

 

 

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