Donnerstag, 25. April 2024

PEX-Interview mit der Europaabgeordneten Christine Schneider: „Wir vertreten unsere Nationalstaaten, haben aber Europa im Blick“

2. Mai 2020 | Kategorie: Allgemein, Leute-Regional, Politik, Politik regional, Regional

Christine Schneider sprach über ihre Arbeit als Europaabgeordnete.
Foto: Rolf H. Epple

Der Pfalz Express (PEX) traf die Europaabgeordnete Christine Schneider (CDU) bei einer Stippvisite im Landauer Zoo, bevor dieser wegen der Corona-Pandemie  geschlossen wurde.

PEX: Frau Schneider, natürlich müssen wir in Corona-Zeiten mit diesem Thema anfangen. Wie schätzen sie die Lage ein?

S: Es handelt sich hier um einen dynamischen Prozess. Vor Monaten hätten wir eine solche Pandemie vermutlich als Science Fiction abgetan. Keiner hätte es für möglich gehalten, was wir derzeit erleben. Unter dem Strich ist bisher sehr viel gut gelaufen, doch wir müssen am Ende aus der Situation lernen und sicherstellen, dass bei einer kommenden Pandemie die gemachten Fehler sich nicht mehr wiederholen.

Wir alle müssen vor allem folgende Erkenntnis aus dieser Situation mitnehmen: Systemrelevanten Berufen aus den Bereichen Kindererziehung, medizinische Berufe, Landwirtschaft, Pflege, – allen die tagtäglich für die Gesellschaft da sind – ob Kassenpersonal, Regalbestücker, LKW-Fahrer die uns versorgen… müssen wir die entsprechende Wertschätzung entgegenbringen, bis hin zu einer fairen und angemessenen Entlohnung.

Große Sorgen bereiten mir die vielen mittelständischen Unternehmen aus Gastronomie, Einzelhandel, Friseurhandwerk, Kosmetikbranche, Sportstudios, Vereine, Selbstständige, Künstler, Musiker etc., die vom Lockdown existenziell betroffen sind. Sie zu unterstützen und die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen, das wird die große Herausforderung der Zukunft sein.
Als Agrarpolitikerin wünsche ich mir, dass wir den Fokus wieder stärker auf die heimische Landwirtschaft richten, regional kaufen und zwar zu einem fairen Preis.

PEX: Wie wird das im europäischen Parlament gehandhabt?

S: Das europäische Parlament in Straßburg und Brüssel ist seit März für Besucher von außen geschlossen. Gespräche finden derzeit lediglich als Video- oder Telefonkonferenz statt. Alle Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice. Die Beschränkungen gelten derzeit bis September.

Trotzdem ist das Parlament weiter arbeitsfähig. Ausschüsse und Plenarsitzungen incl. Abstimmungen für die notwendigen Corona-Hilfspakete liefen reibungslos per Videokonferenz und gesichertem Abstimmverfahren ab.

Christine Schneider im Interview mit Desirée Ahme vom Pfalz-Express.
Fotos: Rolf H. Epple

PEX: Wie waren denn eigentlich die Anfänge für Sie in Brüssel?

S: Vom beschaulichen Mainz in die große Brüsseler EU-Struktur – das war schon ungewohnt. Am Anfang war es tatsächlich so, dass ich mich verlaufen habe. Es sind riesige Gebäude, die miteinander verbunden sind. Aber nach und nach haben sich mir die Strukturen erschlossen.

Dann gab es noch das Thema Sprache. Die Abgeordneten im Parlament sprechen in ihrer Muttersprache, aber fast alles außerhalb des Plenums und den Ausschusssitzungen wie Verhandlungen oder Gespräche, läuft nur auf Englisch.

In Sprache und Schrift muss man in Englisch firm sein. Deshalb habe ich gleich zu Beginn in den Sommerferien einen Intensivsprachkurs gemacht. Zunächst hatte ich Hemmungen in den Sitzungen zu sprechen, doch niemand spricht perfekt Englisch. Das italienische Englisch ist allerdings richtig schwierig zu verstehen (lacht!)

Ich bin in den Fraktionsvorstand der EVP gewählt worden. Alle vier Wochen findet eine Klausurtagung in einem anderen Mitgliedsstaat statt. Das bedeutet, das eigene Leben neu zu organisieren. Ich lebe jetzt sehr viel aus dem Koffer. Das war eine ziemliche Umstellung. Um „anzukommen“ habe ich mir in Brüssel eine Wohnung angemietet. Freunde haben mir einen Weinkühlschrank geschenkt, damit das Heimweh nicht zu groß wird.

Ich habe mir ein neues Wahlkreisteam zusammengestellt, am 4. Mai kommt noch eine junge Kollegin zum Team dazu. Um auch im Wahlkreis präsent zu sein, habe ich noch ein Wahlkreisbüro in Gimmeldingen.

PEX: Was hat es mit dem ersteigerten SÜW-Kreisschild auf sich?

S: Beim Kreisjubiläum habe ich ein altes SÜW-Schild, welches an den Kreisgrenzen steht, ersteigert. Im Januar durfte ich dieses Schild endlich in meiner Brüsseler Büro aufhängen, damit ich immer an meine Heimat denke.

Christine Schneider in ihrem Brüsseler Büro.
Quelle: schneider privat

PEX: Gibt es einen Fraktionszwang?

S: In erster Linie sind wir alle Europäer und müssen unsere Entscheidungen am europäischen Mehrwert ausrichten. Natürlich haben wir bei Abstimmungen die Interessen unserer Heimat im Blick und ich suche mir dann über die Fraktionsgrenzen hinweg Verbündete für meine Anliegen.

PEX: In welchen Ausschüssen sind Sie?

S: Ich bin in drei Ausschüssen: Im ENVI (Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) Hier bin ich für alles zuständig, was mit Lebensmitteln zu tun hat (Lebensmittelkennzeichnung, Lebensmittelsicherheit, Verpackungen und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln). Im AGRI (Agrarausschuss) liegt mein Fokus auf den Weinbauthemen und Fragen rund um die Forstpolitik, also die Ausgestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik.
Und im FEMM (Frauenausschuss) bin ich für die Koordinierung der Position der CDU/CSU-Abgeordneten zuständig.

Foto: Rolf H. Epple

PEX: Was beinhaltet denn der Begriff „Gleichstellungsstrategie“?

S: Frauen sind in Europa gegenüber Männern nach wie vor benachteiligt – von geschlechtsbezogener Gewalt hin zu Unterschieden bei Beschäftigung, Bezahlung, Pflege und Renten. Die Kommission will mit der neuen Strategie gegen diese Benachteiligungen vorgehen. Wir sind zurzeit in der Abstimmungsphase zu diesem Vorschlag. Ich habe gerade meine schriftliche Stellungnahme eingereicht.

PEX: Aber wir Frauen haben doch viel erreicht?

S: Natürlich, doch wenn ich mir anschaue, dass die Anzahl der Frauen in der Politik rückläufig ist und die Anzahl der weiblichen Firmenchefs und Aufsichtsratsmitglieder überschaubar ist, dann gibt es noch viel zu tun.

PEX: In den Unternehmen fehlt es an Frauen, woran liegt das?

S: Frauen arbeiten oft in Teilzeit, weil sie sich um die Familie und die Kinder kümmern. Außerdem sind Frauen oft zurückhaltender, wenn es um den Kampf um die erste Reihe geht. Wir haben erfolgreiche Winzerinnen, Medizinerinnen etc., die drängen sich aber nun mal nicht in die erste Reihe.

Deshalb brauchen wir eine Quote als Brücke, um Unternehmen zu zwingen sich Gedanken zu machen, wie man Arbeitsplatzmodelle für Frauen integrieren kann. Es geht auch hier viel über Homeoffice, wie wir gerade sehen.

Übrigens: Wäre Heiner Geißler nicht ein Streiter für die Quote gewesen, wäre ich nicht in den Landtag gekommen.

Foto: Rolf H. Epple

PEX: Thema Osteuropa – was fällt ihnen dazu ein?

S: Das ist leider ein ganz schwieriges Thema. Um einen Weg aus dieser Krise zu finden, müssen wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Und um notwendige Einschränkungen zu beschließen, brauchen Regierungen etwas mehr Handlungsspielraum, um schnell reagieren zu können. Das darf aber nur befristet sein!

Unsere Grundprinzipien Frieden, Freiheit, Sicherheit und vor allem die Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht über ein notwendiges Maß beschränkt werden. Und die Nachrichten vor allem aus Ungarn machen mir große Sorgen.

Die Ermächtigung zu Notfallmaßnahmen darf nicht missbraucht werden. Es ist zwingend, dass das ungarische Parlament so schnell wie möglich seine Arbeitsfähigkeit wiederherstellt. Auch die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten, besonders Ungarn, bereits davor gewarnt, in der Bekämpfung des Coronavirus die Rechtsstaatlichkeit auszuhebeln. Wenn es hier zu Verstößen kommt, muss das finanzielle Auswirkungen haben.

PEX: Wie wird zum Beispiel Polen in die Parlamentsarbeit eingebunden?

S: Der Ursprung meines Europa-Engagements liegt ja in der deutsch-polnischen Freundschaft begründet. Meine Nachhilfelehrerin Hildegard Bals war in der Europaunion sehr engagiert im Polen- Austausch. Deshalb wurde ich bereits mit 14 Jahren Mitglied in der Europaunion.

Foto: Rolf H. Epple

PEX: Was beinhaltet die europäische Flüchtlingspolitik?

S: Wir brauchen eine gemeinsame, europäische Flüchtlingspolitik, die auf der einen Seite Grenzschutz beinhaltet und auf der anderen Seite eine solidarische Verteilung der Menschen, die unseren Schutz bedürfen. Die anhaltende Blockade im Rat (Regierungschefs der europäischen Mitgliedsstaaten) muss aufgelöst werden.
Wir dürfen die Augen nicht vor dem verschließen, was an unseren europäischen Außengrenzen passiert. Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht wiederholt werden. Wir müssen Hilfestellung leisten, damit die Menschen in ihrer Heimat bleiben wollen. Fluchtursachen begrenzen!

PEX: Stichwort Green-Deal. Wo steht die EVP? Sind die Ziele erreichbar?

S: Natürlich stehen wir zu dem von Ursula von der Leyen angekündigten Green Deal. Wir müssen alle gemeinsam unser Verhalten verändern und dürfen nicht mehr auf Kosten der kommenden Generationen und der Umwelt unseren Planeten weiter zerstören.

Die Politik europäische Politik muss hier die Rahmenbedingungen vorgeben. Europa hat die Verpflichtung und die Chance die Vorreiterrolle weltweit zu übernehmen. Dazu müssen wir es schaffen für unseren Industriestandort Klimaneutralität zu erreichen, damit wir gleichzeitig auch unsere Arbeitsplätze erhalten. Wir müssen alles daran setzen, die Vorgaben der Weltklimakonferenz zu erfüllen.

Letztlich ist jeder einzelne von uns gefragt. Das gilt für unser Konsum-, Reise-, und Freizeitverhalten. Ein Fehler der Vergangenheit in der europäischen Gesetzgebung bestand darin, dass wir Grenzwerte festgelegt haben ohne Zwischenschritte zu überprüfen. Das müssen wir ändern.

PEX: Leidiges Thema Düngemittelverordnung…

S: Wir alle wollen unser Grundwasser schützen. Deshalb wurde 1994 die Nitratrichtlinie eingeführt, in der die Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser festgelegt wurden. Leider wurde versäumt festzulegen, wo, wie und mit welchen Methoden gemessen werden soll. Somit fehlt uns eine europäische Vergleichbarkeit, die wiederum zu einer Benachteiligung unserer landwirtschaftlichen Betriebe führt.

PEX: Frau Schneider, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Desirée Ahme

Foto: Rolf H. Epple

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