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Grüner Spitzenpolitiker Robert Habeck in Landau: „Ohne gemeinschaftliche Anstrengung ist die Gesellschaft am Ende“

2. September 2017 | Kategorie: Landau, Politik regional, Regional
V.li. Tobias Lindner, Robert Habeck und Lukas Hartmann. Fotos: Pfalz-Express/Licht

V.li. Tobias Lindner, Robert Habeck und Lukas Hartmann.
Fotos: Pfalz-Express/Licht

Landau – „Zeit zu Reden“ hieß die Veranstaltung der Landauer Grünen am Freitagabend im Gloria Kulturpalast.

Lukas Hartmann, der Vorsitzende der Grünen-Stadtratsfraktion, hatte den schleswig-holsteinischen Minister für für Energie, Umwelt, Klima, Landwirtschaft und Digitales und stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. Robert Habeck eingeladen.

Vor der Diskussion im Gloria fuhren Grüne und interessierte Bürger mit dem Fahrrad zum Wohnpark am Ebenberg (Name der Tour: „Radradau“), um an zwei Zwischenstationen über Radfahr- und Wohnraumpolitik zu sprechen. Der südpfälzische Grünen-Bundestagsabgeordnete Dr. Tobias Lindner war ebenfalls dabei und eröffnete später die Veranstaltung im Kulturpalast.

Habeck ist Autor des Buchs „Wer wagt, beginnt“ und „Patriotismus: ein linkes Plädoyer“ und seit Jahren ein Streiter innerhalb der Grünen für einen anderen Stil, der als „pragmatischer Idealismus“ beschrieben werden kann. Nach der Landtagswahl 2017 wurde er wieder zum stellvertretenden Ministerpräsident ernannt.

Der grüne Politiker gilt in der Tat als pragmatisch, was offensichtlich gut ankommt. Das hat sich am Wahlergebnis der schleswig-holsteinischen Landtagswahlen im Mai gezeigt. Die Grünen wurden dort bundesweit Spitzenreiter mit 12,9 Prozent. Insofern ist Habeck ein begehrter Gesprächspartner, denn bei der Landauer Veranstaltung drehte sich die Diskussion auch um die Frage, wie es sein könne, dass die Grünen in Umfragen bei „7,5 Prozent herumhängen“, wie es ein Zuhörer formulierte.

Robert Habeck, Grüne

„Vom Brüllen zum Diskurs“

Das große Thema des Abends war jedoch die Solidarität und Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Wie kann man mehr Gemeinwohl erreichen, wie eine Solidargemeinschaft in den Fokus des Denkens rücken und dabei die Individualität des Einzelnen bewahren? Das wurde ausgiebig diskutiert. Habeck ist ein Denker (er hat Philosophie, Germanistik und Philologie studiert und promovierte in Philosophie), seine starke Seite ist sicherlich, dass er echtes Verständnis für andere Positionen aufbringt.

„Wenn Menschen etwas abgeben sollen, damit es mehr Leuten gut geht, haben sie erst einmal Bedenken“, sagte Habeck. Das sei verständlich. Keiner wolle Privilegien aufgeben. Das Ziel sei dennoch, dass sich möglichst Viele selbst verwirklichen könnten, die Gemeinschaft dabei aber gefördert werde. Dafür sieht Habeck eine Neuausrichtung der Sozialstrukturen als notwendig an.

Viele verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen sei manchmal ein schwieriger Prozess: „Vom „Brüllen zu einem Diskurs zu kommen ist das Ziel“, sagte Habeck und nannte als Beispiel eine Diskussion um Stromtrassen in seiner Heimat. Nur durch Einbeziehung aller Beteiligten sei es möglich, das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln zu gewinnen. Kompromisse seien unumgänglich, wichtig sei ein Ergebnis: „Man muss sich am Ende des Tages einigen.“ Eine „Politik der Bescheidenheit“ nennt er das, und auch ein Handeln für eine „inklusive und integrative Gesellschaft“.

„Wurstigkeit gegenüber der Politik“

Ein Zuhörer beklagte die Politikverdrossenheit. Wörtlich sagte er, eine „Wurstigkeit gegenüber der Politik“ habe sich breitgemacht. Dass die Mehrheit angeblich mit der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel zufrieden sei, könne er sich nicht vorstellen: „Die Bürger haben einfach resigniert.“

Eine grüne Wahlkämpferin berichtete, dass sie häufig auf ein derzeit fehlendes Profil der Partei angesprochen werde. Ein anderer Teilnehmer vermutete, die meisten Wähler fühlten sich zur CDU hingezogen, weil sie am ehesten eine vermeintliche „Mitte“ repräsentiere und Viele Angst vor den „Rändern“ hätten oder ein Rot-Links-Bündnis befürchteten.

Habeck gestand freimütig ein, dass es für die CDU derzeit „wirklich gut“ laufe und fand in seiner ausgleichenden Art auch positive Ergebnisse der Merkel-Regierung. In zahlreichen Punkten habe sie sogar Grüne Politik gemacht. Das zuzugeben, würde „keinem Grünen einen Zacken aus der Krone brechen.“ Unbedingt verbesserungswürdig sei allerdings die Geschwindigkeit der Änderungsprozesse, die wären „deutlich zu langsam“.

„Klimaschutz ist Kampf für Demokratie“

Beispielsweise sei der Klimaschutz ein solcher Prozess – eine gemeinschaftliche Anstrengung. Die beinhalte eben auch persönliche Abstriche für die Gemeinschaft (Beispiel EEG): „Aber wenn das nicht mehr passiert, ist die Gesellschaft am Ende.“

Habeck bezeichnete den Kampf gegen den Klimawandel als einen „Kampf für die Demokratie“. Er zitierte Zahlen der Weltbank, wonach sich bis zum Jahr 2030 rund 100 Millionen Klimaflüchtlinge auf dem Weg in reichere Länder machen würden. Das habe zweifelsohne kriegerische Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe zur Folge. „Wenn wir da versagen, versagen wir in einer zentralen Frage unserer Zeit.“

„Wahlkampf hauptsächlich Show“

Besprochen wurde auch der Wahlkampf. „Wahlkämpfe haben leider nichts mit politischen Inhalten zu tun“, meint Habeck. Hauptsächlich gehe es dabei um Identifikation mit Personen, der Rest sei Show: „Wer hat die besseren Sprüche. Das ist leider die verflucht brutale Wahrheit. Sehr ätzend.“

Angela Merkel habe es geschafft, rechtzeitig wieder in die Erfolgsspur zu kommen. „Die Person ist die gleiche geblieben, aber sie konnte sich wieder gut darstellen. Erfolg macht erfolgreich.“

Die Grünen seien eine Konzeptpartei, man wolle mit Inhalten punkten, deshalb habe es zuerst keine Personen auf Wahlplakaten gegeben. Mittlerweile haben auch die Grünen Gesichter auf ihren Plakaten.

Die Umfragewerte hätten jedenfalls nichts damit zu tun, das grüne Inhalte schlecht oder die der AfD so gut seien. Dennoch müsse man sich als Grüner „an die eigene Nase fassen, denn es kann nicht sein, dass wir nur bei Katastrophen erfolgreich sind.“ (Fukushima).

Die Grünen in Schleswig-Holstein sind Teil der Jamaika-Koalition. Darauf angesprochen sagte Habeck, erste Schlüsse könne man noch nicht ziehen, die Koalition laufe gerade erst richtig an. Dennoch könne eine große Koalition nicht jedes Mal die Lösung sein, wenn die SPD schwächle. „Man kann nur in eine Regierung gehen, wenn man jederzeit bereit ist, auch wieder in die Opposition zurückzukehren. Koalitionsverhandlungen sind ein bisschen wie Armdrücken.“

„Zentralisierung der Bildung birgt Gefahren“

Beim Thema Bildung vertritt Habeck das föderalistische Modell. Zwar sei es wichtig, Bücher und Lerninhalte der verschiedenen Bundesländer aneinander anzupassen. Ein zentrales Agieren sei aber eine Gefahr. Als negatives Beispiel nannte Habeck Polen. Es sei sehr viel einfacher bei einer zentralisierten Bildung, Meinungen und Inhalte zu steuern. „Da ist der Bildungsföderalismus ein ganz guter Puffer.“

Auf die Frage zu einer bessere Bezahlung im Gesundheits- und Pflegesystem antwortete Tobias Lindner. Er schlug vor, intensiv nach unnötigen und versteckten Kosten zu suchen. So könne man Gelder für höhere Löhne freisetzen.

In Zusammenhang mit dem Klimawandel kam auch die Elektro-Mobilität zur Sprache. Es mache keinen Sinn, dass man letztendlich denselben Stau mit E-Autos produziere, meinte Habeck dazu. Seine Vision ist ein aus vielen Verkehrsträgern zusammengesetztes System, bei dem man irgendwann in der Zukunft nicht mehr selbst fahren muss „und die Zeit für wichtige und angenehme Dinge nutzen kann.“

Trotz der derzeit eher schlechten Umfragewerte sind die Grünen zuversichtlich, es doch noch auf 10 Prozent zu schaffen. Es seien immerhin noch dreieinhalb Wochen bis zur Bundestagswahl, motivierte Habeck seine Zuhörer.

Lukas Hartmann, der den Abend moderiert hatte, sagte zum Abschluss: „Mehrheiten kann man verändern – kämpft um viele Wählerstimmen, es ist eine gute Entscheidung für die Welt.“ (cli)

Vor der Radtour.

Vor der Radtour.

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