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Flüchtlingsproblematik in Neustadt: Bürgermeister Röthlingshöfer gibt einen Überblick

3. November 2015 | Kategorie: Neustadt a.d. Weinstraße und Speyer, Politik regional, Regional
Bürgermeister Ingo Röthlingshöfer. Foto: Pfalz-Express/Ahme

Bürgermeister Ingo Röthlingshöfer.
Foto: Pfalz-Express/Ahme

Neustadt. Das große Thema zurzeit ist die Unterbringung von Flüchtlingen in den Kommunen. Auch in Neustadt arbeitet man fieberhaft daran, die Situation für alle Beteiligten möglichst gut zu lösen. Bürgermeister und Sozialdezernent Ingo Röthlingshöfer hat dem Pfalz-Express einen Überblick über den Stand der Dinge gegeben.

421 Flüchtlinge sind zur Zeit (Stand Oktober) in Neustadt und seinen Weindörfern untergebracht. Bis Ende des Jahres wird sich die Zahl voraussichtlich verdoppelt haben. Sie kommen zu einem großen Teil aus Syrien, aber auch ein Drittel aus dem Westbalkan und Eritrea.

Untergebracht sind die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften im Gewerbegebiet Naulott und auf der Haardt in einer ehemaligen Klinik. Rund die Hälfte der Personen fand zudem bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (WBG) oder bei Privatvermietern ein Dach über dem Kopf.

„Wir hatten eine gute Resonanz auf unsere Appelle, Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, sagt Röthlingshöfer erfreut über die Mithilfe der Bevölkerung. Aber auch hier ist nach wie vor Bedarf vorhanden.

In Lachen-Speyerdorf werden Mobile Homes mit 50 Plätzen eingerichtet. In Hambach (Andergasse – der Pfalz-Express berichtete) sei der vorgeschriebene Brandschutz noch ein Hindernis, da sei nur die Einliegerwohnung belegt.

Brandschutz bei Sonderformwohnungen wie im Krankenhaus oder Seniorenheim gilt auch bei einer Flüchtlingsunterkunft: „Da hat man den höchsten Standard zu erfüllen“, so Röthlingshöfer.

Man benötigt zum Beispiel zwei Treppenhäuser, umfangreiche Brand- und Rauchmeldeanlagen sowie einen nichtbrennbaren Putz. Und damit muss die ehemalige Pension noch ausgerüstet werden.

„Wir brauchen monatelang, bis ein Standort in Betrieb genommen wird. Wir müssen einerseits die Bürger frühzeitig informieren, und dann dauert alles wieder viel zu lange bis zur Inbetriebnahme“, erklärt der Bürgermeister, der auch noch drei weitere Standorte aktuell im Umbau hat.

Insgesamt acht bis zehn Projekte habe man in der Pipeline, erfährt der Pfalz-Express.

„Das Projekt mit dem größten Aufsehen ist sicherlich der Umbau der Schöntal-Hauptschule. Da werden bis zu 100 Flüchtlinge erwartet, dann die Mobile Homes in Lachen-Speyerdorf sowie die Nutzung der Schulturnhalle Mußbach für den absoluten Notfall.“ Aber man probiere, Hallenunterbringung wenn irgendmöglich zu vermeiden. Deshalb wurde zwischenzeitlich zum Beispiel auch das Mehrgenerationenhaus belegt.

PEX: Und in der Stadt selbst?

„Wir haben noch Standorte in der Entwicklung. In der Landwehrstraße laufen gerade die Bagger, um Module bis Juni 2016 zu installieren. Dann gibt es das alte Finanzamt (Konrad-Adenauer Straße/Karl-Helfferich-Straße), ein Haus in der Landauer Straße und das alte Zollamt (Amalienstraße). Zudem wird in der Böhlstraße von der WBG eine größere Einheit gegenwärtig geplant.“

Die Stadt erwartet in der nächsten Zeit 25 Zuweisungen pro Woche („mit Luft nach oben“).

Doch nicht nur der Wohnraum wird knapp, sondern auch die Materialien: „In Deutschland kann man zeitweise fast keine Betten, insbesondere aus Metall, mehr kaufen“, so Röthlingshöfer. Bettwäsche, Kochgeschirr, Matratzen werden benötigt.

Man sei mit Kleiderspenden „überrannt“ worden. Kleider, die oft nicht passten, wenn sie direkt an Familien übergeben werden. Man solle deshalb Kleiderspenden an den Lichtblick und das Rote Kreuz übergeben, „die haben die Infrastruktur dafür“.

Dankbar sei man für Fahrräder, „um Mobilität herzustellen“. Dankbar auch für Personen, die sie reparieren können („die Räume dazu haben wir“) sowie für Reparaturmaterialien.

Gerne entgegengenommen werden auch Kinderfahrräder („der Anteil der Kinder wird steigen“) und Kinderwagen.

Und wie steht die Bevölkerung dazu?

„Wir haben in den letzten Tagen mit 1500 Bürgern bei verschiedenen Info-Veranstaltungen gesprochen. Der Anteil, der „deutlich emotionalisiert“ war, lag unter fünf Prozent. Der größte Teil der Bevölkerung hat Fragen, über die man unbedingt sprechen muss, aber versteht die Lage – das ist großartig.“

Der Staat sei am Rande der Leistungsfähigkeit. Aber die Bürger packten an, organisierten. „So was hat es sonst nur bei Naturkatastrophen gegeben. Eine großartige Hilfsbereitschaft – dies stellt man bundesweit fest. Mit bürgerschaftlicher Gesinnung ist es in Deutschland nicht schlecht bestellt. Darauf können wir stolz sein“, freut sich Röthlingshöfer.

Was empfinden die Menschen?

„Das Problem der Leute sind diffuse Ängste. Sie befürchten, dass Gefahren von Flüchtlingen ausgehen. Besonders stark sind die Bedenken im Umfeld der Schulen (Schöntal und Mußbach). Gerade auf der Haardt, wo sich Kita und Schule in unmittelbarer Nähe des Wohnheims befinden, gibt es bislang überhaupt keine Probleme.“

Und unter dem Dach der Schöntalschule seien jetzt schon in der ehemaligen Hausmeisterwohnung Flüchtlinge untergebracht. „Da wird sogar mittlerweile die Bitte an uns herangetragen, die Flüchtlinge dort zu lassen, weil sie mit den Schülern gut klar kommen. Je mehr die Menschen Kontakt haben, umso mehr eher verschwinden ihre Ängste. Es entsteht zunehmend ein realistisches Bild, das klar zeigt: Die überwiegende Mehrzahl der Flüchtlinge ist ok.“

Und was ist mit Sprachkursen? Das ist ja ein wichtiges Thema…

„Das machen wir über die VHS im Integrationsbereich. Die Stadt hat 60.000 Euro bereit gestellt, weil es zu wenig fremdfinanzierte Sprachkurse gab. Auch in der Moschee finden jetzt Sprachkurse statt.“

Das Problem: „Wir haben eine gute Weichenstellung durch den Stadtrat bekommen. Aber es fehlen zusehends qualifizierte Lehrkräfte, dadurch wird es immer schwieriger.“

Die VHS-Dozenten werden durch ehrenamtliche Deutschlernhelfer unterstützt. Aber der Bildungsstand der Leute sei sehr unterschiedlich: „Es gibt hochgebildete Syrer, aber Andere können unsere Schrift nicht, und es gibt Analphabeten.“

Röthlingshöfer lobt in diesem Zusammenhang auch die Zusammenarbeit mit dem Nachbarschaftsladen und dem AK Asyl.

Ein weiteres „Riesenproblem“ sieht der Sozialdezernent bei den 18 bis 25-jährigen Flüchtlingen – sie können keine Berufsbildende Schulen besuchen. In Bayern hat das Land ein Berufsvorbereitungsjahr mit Sprachkursen eingerichtet, aber in Rheinland-Pfalz unterliegen die Leute nicht der Schulpflicht. Damit kann sie die Schule nicht aufnehmen.

Der Arbeitskreis Asyl habe deshalb eine Aktion gestartet, Unterschriften gesammelt, um die BBS für sie zu öffnen.

„Das wäre ein hervorragender Lernort, da muss man politisch Druck aufbauen“, bekräftigt Röthlingshöfer. „Diese Klientel ist für uns doch so wichtig. Wir haben aktuell 35 Personen, die so etwas bräuchten; der Bedarf wird steigen. Das ist im Übrigen ein landesweites Problem- das Ministerium muss jetzt springen.“

Wie kann man soziale Spannungen verhindern?

„Nun, die Menschen kommen aus anderen Wertvorstellungen. Man muss ihnen klar machen, dass sie grundlegende Werte akzeptieren müssen: Religiöse Toleranz, Gleichberechtigung der Frau, aber auch Verlässlichkeit und Pünktlichkeit.

Es gibt leider keine Konzepte, wie man ihnen das näherbringen kann. Einfach das Grundgesetz in die Hand drücken bringt nichts. Man muss klarmachen: So läuft es bei uns in Deutschland! Und klar Flagge zeigen, wo die Grundpfeiler der Gesellschaft liegen.
Wir brauchen deshalb außerdem in der Politik eine Wertediskussion, die ja immer abgewürgt wurde.“

Wie kann man Zuzug bremsen?

„Wir haben aktuell keine wirksamen Instrumente, um die Menschen aus Deutschland oder Europa fernzuhalten. Das absolut sichere Grenzsystem ist nicht realistisch, weil wir uns im Informationszeitalter befinden. Lücken werden einfach sofort entdeckt und weiter verbreitet.

Wenn die Menschen in einer Situation sind, die ihnen aussichtslos erscheint, ist die Verlockung auf ein besseres Leben zu groß. Aufklärung bewegt da wohl recht wenig. Wir würden uns auch dorthin begeben, wo die Lebensperspektive am besten ist.

Und es gibt für sie überall Informationen, die die wahnsinnige Anziehungskraft Deutschlands auch noch befördern. Aktuell weiß keiner wirklich, wie die Situation in Bahnen gelenkt werden kann, die für uns noch verkraftbar sind. Ohne ein Bündel von Maßnahmen unterschiedlicher Art wird es wohl nicht gehen“, ist sich Röthlingshöfer sicher.

Beispielsweise notwendig sei eine konsequente und schnelle Abschiebung: Nur zwei Prozent werden als Asylberechtigte anerkannt, insgesamt 45 bis 50 Prozent erhalten einen Schutzstatus und dürfen in Deutschland bleiben. Der Rest müsste eigentlich gehen, notfalls auch mit staatlichem Zwang.

Abschiebungen seien aber sehr schwierig, erzählt Röthlingshöfer und nennt Beispiele dafür.

Fehlende Pässe des Herkunftslandes müssen zum Teil langwierig beschafft werden. Ein Land muss bereit sein, die Menschen aufzunehmen. Familien kann man nur abschieben, wenn alle da sind. Ist Jemand selbstmordgefährdet, kann er ohne ärztliche Begleitung vom Anfang bis Ende nicht zurückgeführt werden.

„Wenn ich da nicht konsequent die Einhaltung des Rechts durchsetze, dann vermittle ich, wer da ist, kann bleiben. Auch solches verstärkt den Sog weiter.“

Wie sollte man also vorgehen?

„Leute aus sicheren Herkunftsstaaten bleiben in Aufnahmeeinrichtungen. Man muss dort zügig die notwendigen Verfahren durchführen, nach rechtskräftiger Ablehnung auf Sachleistung umstellen und Transportkapazitäten für die Abschiebung schaffen, gegebenenfalls auch unter Nutzung der Bundeswehr.

Wir müssen ein System entwickeln, das effektiv ist. Damit bekommen die Schutzbedürftigen aus Kriegsgebieten schnell effektiven Schutz. Und die anderen müssen Deutschland ebenso schnell wieder verlassen. Das ist sicherlich menschlich hart, aber mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Systems unvermeidbar.

Es gibt zig-Baustellen. Vieles ist versäumt, manches auch gar nicht gesehen worden. Aber Fakt ist auch: Mit den riesigen Flüchtlingsmassen hat niemand gerechnet. Es gibt noch ganz, ganz viel zu tun.

2007 habe es sieben Flüchtlinge in Neustadt gegeben. Als sich das Problem abzeichnete, sei weder auf europäischer noch auf Bundes- wie Landesebene angemessen reagiert worden: „Das kann schon ein Stück weit erschrecken. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die damaligen Flüchtlinge „Horden aus dem Osten“ genannt.

Es habe große Widerstände in der Bevölkerung gegen ihre Aufnahme und Integration gegeben. Das sei insgesamt eher unfreundlich gelaufen. „Und das soll sich heute nicht wiederholen“, so Röthlingshöfer abschließend.

Dringend sei man weiterhin auf das ehrenamtliche Engagement der Bürger angewiesen. Und so verweist er abschließend auf die städtische Homepage www.neustadt.eu, die einfach erreichbar, weitere Infos rund um das Thema Asyl bereithält. (desa)

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2 Kommentare auf "Flüchtlingsproblematik in Neustadt: Bürgermeister Röthlingshöfer gibt einen Überblick"

  1. Ambrosia sagt:

    Sehr guter sachlicher Artikel und alle Achtung vor Herrn Röthlingshöfer .
    Offene Gespräche mit der Bevölkerung sind immer noch das Beste.

    Vergiftet wurde die Atmosphäre in der Bevölkerung eben auch durch die Verschleierung der Nachrichten aus der Presse. Kriminelle Geschehnisse von Asylanten dürfen nicht mehr berichtet werden. Keine Namen, keine Hinweise auf z.B. Hautfarbe, die auf Ausländer schließen lassen. Das macht die Menschen zu Recht misstrauisch. Kommentare sind nicht mehr erlaubt. Frau Merkel hat die Presse gleichgeschaltet und damit die Demokratie mit den Füßen getreten. Fast alle machen mit. Bildzeitung, Spiegel etc. Das ist Zensur!!
    Man soll sich nicht wundern, wenn die Menschen sich verarscht fühlen und „aus Protest“ die AfD wählen.
    Ein Wort an Frau Dreyer. Liebe Frau Dreyer Herr Röthlinghöfer hat weit mehr Mut als Sie. Er spricht sich für schnellere Abschiebungen aus, aus seiner Position eines betroffenen Bürgermeisters.
    SIe halten die SPD Position gegen Transitzonen aufrecht um ihren Wahlerfolg zu sichern und verursachen damit das Gegenteil. In so einer Kriese braucht man ehrlich, mutige Menschen.
    Sie dürfen sich jetzt aber auch wieder drehen. Ihr großer Vorsitzender lenkt ja ein. Ha,ha, was ein Kasperle Theater. Und da soll es Leute geben sich wundern weshalb die Menschen in diesem Land immer misstrauischer werden. Freie Meinungsäußerungen wurde von Frau Merkel und Herrn Gabriel ausgesetzt. Jede Kritik wird von den sogenannten Superdemokraten und Gutmenschen niedergeschrien und alle Kritiker sofort in die rechte Ecke gestellt. Meine Damen und Herren Gutmenschen und liebe Presse, sie machen nichts anderes als die Leute von Pegida.
    Ich finde das gleichermaßen dumm und undemokratisch.

  2. Ich bin begeistert!

    Nicht nur das die Problematiken erkannt wurden, sondern auch das Rücksicht auf die Bewohner genommen wird.
    Das Ohr sollte für die Bevölkerung immer offen sein. Finde ich sehr gut das die Fragen der Bevölkerung gehör finden.

    Was die Sprachkurse in der VHS angehen muss ich sagen das ich schwer entäuscht bin. Meine Verlobt ist selber Flüchtling und auch in der VHS im Sprachkurs.

    Dort wird lari fari unterrichtet von manchen „Lehrern“. Ebenso wird es nicht als notwendig erachtet von manchen auf die Lektüren einzugehen.

    Beispiel:

    Eine Dozentin sagt das in der kommenden woche über das Lehrbuch B2 eine Prüfung stattfindet.

    Die Klasse ist aber erst bei der Hälfte vom Buch angekommen.

    Meine Verlobte fragt demnach über was genau geprüft wird.

    Die Dozentin sagt „über das gesamte Buch“

    Auf die Frage wie das denn gehe da ja das ganze Buch noch nicht durchgenommen wurde antwortet die Dozentin „das ist euer und nicht mein Problem“

    Eine Frechheit meines Erachtens!
    ——————————————-
    Anderer Seits möchte ich aber auch andere Dozenten loben die Ihre Arbeit SEHR GUT machen und auch die Klassen in den Griff bekommen, sich respekt verschaffen und den Lernstoff gut vermitteln.
    ——————————————-
    Ich hoffe das die „Flüchtlingsproblematik“ bald kein „Problem“ sondern eine „Lösung“ darstellt.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Bardya D. Zanjani