Donnerstag, 02. Mai 2024

Berlin ist aufgescheucht: Angst vor Trump – wo bleibt die Rationalität?

10. November 2016 | Kategorie: Nachrichten, Politik, Politik Ausland
Donald Trump bringt alle durcheinander. Foto: dts nachrichtenagentur

Donald Trump bringt alle durcheinander.
Foto: dts nachrichtenagentur

Berlin – Nach dem Erfolg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl suchen deutsche Politiker – allesamt „besorgt“ – hektisch nach Gründen und Ursachen für den Wahlsieg des Geschäftsmanns und Milliardärs.

In Berlin herrscht Ratlosigkeit – man war auf einen Präsidenten Trump nicht gefasst.

Wie es „so weit“ kommen konnte, ist allenthalben zu hören. Nicht einmal eine Telefonnummer hat die Regierungskoalition, um sich direkt beim Trump-Team melden zu können, so sicher war man über einen Sieg Hillary Clintons.

Die Reaktionen aus Berlin wirken wie hilfloses Geflatter in einem aufgescheuchten Hühnerhaufen. Dabei sollte doch eigentlich klar sein, dass selten etwas so heiß gegessen wie es gekocht wird. Auch der neue Präsident wird sich dem Pragmatismus beugen müssen – wie alle anderen vor ihm, man denke nur an Ronald Reagan.

Dennoch reißt die Flut der Mahnungen über den Atlantik nicht ab. Nachdem schon Bundeskanzlerin Merkel den künftigen US-Präsidenten indirekt gemahnt hatte, sich an demokratische Spielregeln zu halten, zieht fast die gesamte Polit-Elite nach.

Ein Warnschuss war die Wahl in den Staaten allemal – dass es auch in Deutschland und Europa nicht weitergehen kann mit der Schrumpfung und der Verarmung des Mittelstands, Altersarmut, der Marktbeherrschung einiger weniger Konzerne und Bankenzockern scheint man nun – zumindest im Augenblick – verstanden zu haben.

US-Filmemacher Michael Moore, erklärter Trump-Gegner, hatte dessen Wahlsieg sogar als das „größte Fuck you allerzeiten“ gegenüber dem Politik-Establishment bezeichnet.

Nichtsdestotrotz – heute fühlte sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) befleißigt, Donald Trump zur Bündnistreue in der Nato zu mahnen und ihn zu einer harten Haltung gegenüber Russland aufzufordern. „Was ihm hoffentlich seine Berater sagen und was er lernen wird, ist, dass die Nato kein Geschäft ist. Das ist kein Unternehmen“, sagte die Ministerin am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. Mit „Deals“ regiere man kein Land.

Zugleicht warnte von der Leyen den künftigen Oberbefehlshaber der USA vor einem „Kuschelkurs“ gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin.

SPD-Chef  Sigmar Gabriel hatte den Sieger der US-Präsidentenwahl, Donald Trump, als „Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen“ kritisiert und zu einem politischen Kurswechsel aufgerufen, um die „freien und sozialen Gesellschaften“ in Deutschland und Europa gegen den „Rollback“ zu verteidigen. „Trump ist auch eine Warnung an uns“, sagte Gabriel.

Der SPD-Vorsitzende mahnte einen Kurswechsel an: „Unser Land und auch Europa müssen sich ändern, wenn wir der autoritären Internationalen den Boden entziehen wollen.“ Es müsse Schluss sein mit Angela Merkels Forderung nach „marktkonformen Demokratien“, stattdessen würden wieder demokratiekonforme Märkte gebraucht mit steigenden Einkommen und fairen Renten für alle.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) indes ist besorgt über die Art der politischen Auseinandersetzung – auch in Deutschland: „Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas. Auch anderswo im Westen sind die politischen Debatten in einem besorgniserregenden Zustand“, schreibt Schäuble in einem Namensbeitrag für die „Bild“.

Vor allem im Internet sei inzwischen „völlig egal, ob Behauptungen wahr sind – Hauptsache, der Empörungsgrad stimmt“. Schäuble weiter: „Vereinfachung hat eine Untergrenze.“ Als Ursache des zunehmenden Populismus nannte der Minister auch, „dass die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer ein gutes Bild“ abgeben würden. Zudem seien Entscheidungsprozesse häufig kaum noch nachvollziehbar.

Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) fürchtet einen „Trump-Effekt“ und das Erstarken von „Populisten“ in Deutschland. „Trump ist der Ausdruck des Willens der Amerikaner, über ihr Land selbst zu bestimmen. Und diesen Wunsch haben erkennbar auch immer mehr Menschen in Deutschland und Europa“, sagte Friedrich der „Bild“. „Viele Menschen fühlen sich fremdbestimmt – von der EZB, von EU-Technokraten, von TTIP und von den Folgen der unkontrollierten Zuwanderung. Wenn sie von den Volksparteien keine Antworten bekommen, werden sie sich auch bei uns den Populisten zuwenden.“

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), derzeit in fast jeder Talkshow vertreten, verlangte eine gemeinsame europäische Kraftanstrengung, um „die in Europa seit vielen Jahren grassierende Jugendarbeitslosigkeit als gemeinsames Problem zu erkennen und zu bekämpfen“. Raten zwischen 25 und über 50 Prozent erwerbsloser Jugendlicher führten dazu, „dass halbe Generationen von jungen Menschen das Gefühl bekommen: Diese Gesellschaft, diese Marktwirtschaft braucht mich nicht, es gibt keinen Platz für mich.“

Man müsse „endlich den Ernst der Lage erkennen und Schluss machen mit `business as usual`. Nichts ist mehr normal. Wir müssen das, was viele Menschen deprimiert und ihnen das Gefühl gibt, alleingelassen zu sein, ins Zentrum von Politik rücken.“

Bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnisse eine Weile vorhalten und vielleicht irgendwann Ergebnisse produzieren. (cli/ dts Nachrichtenagentur).

Print Friendly, PDF & Email
Zur Startseite

Abonnieren Sie auch unseren Pfalz-Express-Kanal bei YouTube

Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken

Kommentare sind geschlossen