Alles unfair!? Soziale Gerechtigkeit auf dem Prüfstand – „SWR 1 – Leute spezial“ diskutiert im Europa-Gymnasium Wörth

15. November 2018 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

Podiumsgäste (v.li.:) Claudia Cornelsen (Autorin, mein-grundeinkommen.de) / Maurice Beck (Schüler MSS 12 EGW) / Moderatorin Claudia Deeg (SWR1 Rheinland-Pfalz) / Shamila Borchers (Landeskoordinatorin, ArbeiterKind.de) / Sabine Altmeyer-Baumann (Landesvorsitzende der Tafeln Rheinland-Pfalz /Saarland) und Prof. Stefan Sell (Sozialwissenschaftler, Hochschule Koblenz).
Fotos: Pfalz-Express/SEK

Wörth – Gut gefüllt zeigte sich das Foyer im Europa-Gymnasium in Wörth, wo am Mittwoch SWR1 mit seinem „Leute spezial“ zur öffentlichen Podiumsdiskussion eingeladen hatte.

Schüler, Lehrer, Eltern und weitere interessierte Besucher waren der Einladung des Europa-Gymnasiums und des SWR1 gefolgt. Die Idee hinter „Leute spezial“ besteht darin, aus aktuellen Themen, den Schülern einen Einblick in die journalistische Arbeit zu bieten mit dem Ergebnis einer öffentlichen Podiumsdiskussion.

Unter dem Titel „Alles unfair!? Soziale Gerechtigkeit auf dem Prüfstand“ diskutierten unter der Moderation von Claudia Deeg von SWR1 Rheinland-Pfalz, Prof. Stefan Sell, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, Sabine Altmeyer-Baumann, Landesvorsitzende der Tafeln Rheinland-Pfalz/Saarland, Claudia Cornelsen, Autorin / mein-grundeinkommen.de und Shamila Borchers, Landeskoordinatorin von ArbeiterKind.de sowie der Schüler Maurice Beck aus der MSS 12 des Europa-Gymnasiums.

Die Schüler der Oberstufe hatten die vergangene Woche bereits im Unterricht das Thema behandelt, denn – wie Birgit Weisser, Schulleiterin des Europa-Gymnasiums, betonte – kam der SWR recht spontan vorbei: „Für die Schüler ist das interessant, sowohl von der Arbeit der Journalisten her als auch von der technischen Seite mit den Kameras und der Ausrüstung.“ Auch im Radio war berichtet worden und das Team von OK-TV (Offener Kanal Mainz) zeichnete die Podiumsdiskussion auf.

Rektorin Birgit Weisser

Das Thema „Gerechtigkeit“ sei auch ein großes Thema in der Schule, so Weisser, denn die Schüler fragten sich oft „Ist diese Note gerecht?“ Moderatorin Claudia Deeg griff das Thema Noten auf und leitete weiter dazu über, dass auch Geld, Bildung, Geschlechterrollen und Generationen unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit betrachtet werden können.

Eigens für diese Veranstaltung hatte Marie Leitmann, Schülerin der MSS 12, einen Poetry Slam kreiert, trug ihn gelungen vor und endete mit „würde man soziale Gerechtigkeit überall sehen, dann würde ich hier nicht stehen!“

Marie Leitmann

Eingeleitet von Claudia Deeg berichteten die Teilnehmer von ihren Erfahrungen mit dem Thema. Oberstufenschüler Maurice Beck startete mit einem Beispiel aus der Schule: Einkommensschwache Haushalte hätten oft nicht das Geld, ihr Kind auf eine Klassenfahrt mitzuschicken. Da zeige sich die Solidarität etwa durch einen Kuchenverkauf, um Geld zu sammeln, damit jeder mitfahren könne.

In ihrem Beispiel betonte Autorin Claudia Cornelsen „wer will, der kann auch“ – und erzählte von einer Frau mit drei Jobs, die trotzdem wisse, dass sie bis zum Lebensende arbeiten müsse.

Stefan Sell zeigte sich berührt von Lebensgeschichten über Altersarmut, die ihm sehr zu Herzen gingen und sagte, dass er es empörend finde angesichts der Lebensleistung gerade vieler älterer Frauen, die gelebt hätten, wie es die Gesellschaft verlangt habe und nun im Alter nicht genug Geld hätten.

Von ihrer Arbeit bei der Tafel in Bad Kreuznach erzählte Sabine Altmeyer-Baumann von einer jungen, alleinerziehenden Frau, die nur Minijobs bekäme, da die Arbeitgeber nichts anderes vergeben würden und Shamila Borchers von ArbeiterKind berichtete ebenfalls von einer jungen Frau, die wegen der Scheidung ihrer Eltern Schwierigkeiten mit dem Bafög-Antrag hatte und Angst hatte, nicht studieren zu können.

Zunächst wurde – ganz nach Schulmanier – die Definition von Gerechtigkeit von Prof. Sell genannt. Relative Gerechtigkeit sei, wenn die Unterschiede ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Eine hundertprozentige Gerechtigkeit könne es nicht geben, aber die Ungleichkeit dürfe nicht zu groß sein. Auch Cornelsen sagte, dass Transparenz wichtig sei, quasi ein „ich kann damit leben“.

Borchers betonte die Ungerechtigkeit in der Bildung, denn die soziale Herkunft bestimme oft den Schul- und Berufsweg. Dies bestätigte auch Maurice Beck.

Sell hinterfragte, wie sich die Herkunft auf die sogenannte Humankapitalbildung auswirke. Cornelsen ging von der Grundidee aus, dass jeder Mensch selber wisse, was er brauche. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen sollten sich die Talente des einzelnen entfalten, wichtig sei lebenslanges Lernen. Mit dem Experiment von 1.000 Euro im Monat würde dies durchgespielt. Sell konnte sich zwar eine Umsetzung in dieser Art für später eventuell vorstellen, denn er sei „mit dem Herzen dafür, aber mit dem Kopf dagegen.“

„Bildung als Schlüssel gegen die Armut?“, fragte Moderatorin Deeg und Sabine Altmeyer-Baumann sprach sich dafür aus, dass das Bildungssystem in diesem Land frei sein müsse. Die Diskussion reichte über Jobcenter, die Tafeln – die nicht als Entlastungsprogramm für die Politik herhalten sollten – und Essensausgabe, den Sozialstaat, den für Kinder zu niedrigen Regelleistungen, Harz IV, Steuerfreibeträgen, unbezahlter Arbeit, Minijobs und Altersarmut besonders bei Frauen.

Auch Schüler und das Publikum beteiligten sich rege mit etlichen Fragen an der lebhaft geführten Diskussion über Verteilungs- und Chancengerechtigkeit.

So konnten in der Podiumsdiskussion alle etwas lernen, wie auch die Oberstufenschüler betonten: „Ich fand, dass ich viel gelernt habe heute, aber manches erscheint mir fragwürdig, aber da kann man lange diskutieren und nicht auf eine Lösung kommen“, fasste es ein 16-jähriger Schüler passend zusammen. (SEK)

 

 

 

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