Türkisches Militär putscht gegen die Regierung – Kriegsrecht ausgerufen

15. Juli 2016 | Kategorie: Nachrichten, Weltgeschehen
Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde an einen sicheren Ort gebracht. Foto: dts Nachrichtenagentur

Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde an einen sicheren Ort gebracht.
Foto: dts Nachrichtenagentur

Ankara  – In der Türkei hat das Militär am Freitagabend überraschend gegen die Regierung geputscht und nach eigenen Angaben die Regierungskontrolle übernommen.

(Update 16. Juli, 12.15 Uhr: Türkei: Putsch niedergeschlagen – Regierung erwägt Einführung der Todesstrafe)

(Update 16. Juli, 11.17 Uhr: Gescheiterter Staatsstreich in der Türkei: Viele Tote – immer noch Gefechte)

(Update 16. Juli,  2.55Uhr: Türkische Regierung erklärt Militärputsch für beendet)

In einer verbreiteten Erklärung hieß es, damit solle die demokratische Ordnung erhalten und die Menschenrechte geschützt werden. Priorität habe die Rechtsstaatlichkeit. Auch die Beziehungen zum Ausland würden unverändert beibehalten. Regierungsmitglieder seien festgenommen worden.

Die Putschisten nennen sich Friedensrat und haben das Kriegsrecht ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt.

Präsident Erdogan meldete sich via Handy-Skype bei einer Fernsehmoderatorin des Privatsenders CNN Türk und rief   – vor einem Vorhang sitzend – die Menschen dazu auf, auf die Straße zu gehen und Widerstand zu leisten. Er sei an einem sicheren Ort. Den Putschisten drohte er Höchststrafen an.

Der Staatssender TRT wurde unterdessen vom Militär übernommen. Dort wurde eine Erklärung verlesen, wonach das Militär unter dem Motto „Frieden im Land“ die Macht übernommen habe. Der Sender hat mittlerweile den Betrieb eingestellt, soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sind nur eingeschränkt erreichbar.

In Ankara sollen Panzer des Militärs auf das Parlamentsgebäude geschossen haben. Auch Maschinengewehrschüsse waren zu hören. Angeblich soll es sich dabei um Gefechte zwischen Militärs und der Polizei gehandelt haben.

In Istanbul und Ankara sind viele Menschen dem Aufruf Erdogans gefolgt und haben sich versammelt. Vor der Bosporusbrücke fielen Schüsse, als Erdogan-Anhänger diese überqueren wollten, um zum Flughafen zu gelangen. Offenbar gab es einige Verletzte (Stand 1 Uhr).

Zuvor waren in Istanbul die Erste Bosporus-Brücke sowie die Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke vom Militär gesperrt worden. Auch mehrere große Flughäfen sollen gesperrt worden sein.

Gleichzeitig gab es einen Bericht, wonach der türkische Armeechef in Ankara festgesetzt worden sei – wobei unklar ist, ob dieser selbst am Putsch beteiligt war oder nicht. In Ankara sind zur Stunde tieffliegende Kampfjets und Hubschrauber in der Luft. Auch Schüsse aus Helikoptern sollen abgegeben worden sein. Die gesamte Situation ist noch unübersichtlich.

In kurdischen Städten war es laut Zeugenberichten am Freitagabend ruhig. Unklar ist noch immer, wer genau hinter dem Putschversuch steht. Der türkisch-deutsche Journalist Deniz Yücel schrieb auf Twitter, dass es sich um einen Putsch einer Gruppe von Offizieren aus Luftwaffe und Gendarmerie handele, aber nicht des Heeres.

Es sei offenbar nicht ein Putsch des Generalstabs, sondern von unteren Diensträngen. Dazu passt auch die Meldung, dass hochrangige Militärs in Ankara festgesetzt worden seien.

Aus Regierungskreisen wurden Spekulationen gestreut, wonach die Putschisten innerhalb des Militärs angeblich der sogenannten Gülen-Bewegung naheständen. Dabei handelt es sich um eine religiöse Bewegung, die vom türkischen islamischen Prediger Fethullah Gülen geführt wird, der aber seit Jahren im Exil in den USA lebt. Eine Bestätigung dafür gab es nicht.

Währenddessen soll ein Militärjet einen Militärhubschrauber abgeschossen haben. Das berichtet der Nachrichtensender CNN Türk. Demnach soll der Hubschrauber von Putschisten genutzt worden sein, während der Kampfjet offenbar von Gegnern des Putsches gesteuert wurde.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hatte am Freitagabend zunächst bestätigt, dass es einen Putschversuch „aus Teilen des Militärs“ gegen die Regierung gegeben habe. Dieser werde jedoch nicht erfolgreich sein, zitierte ihn unter anderem die Zeitung „Daily Sabah“. Die am Putsch Beteiligten würden „einen hohen Preis“ dafür zahlen.

Information:

Militärputsche haben in der Türkei Tradition: Bereits in den Jahren 1960, 1971 und zuletzt 1980 hatte das Militär in der Türkei die Regierung vorübergehend übernommen.

Beim letzten Putsch im Jahr 1980 verhängte Putschistenführer General Kenan Evren das Kriegsrecht über das Land und verbot alle politischen Parteien. Als Gründe wurden unter anderem Schutz der Einheit des Landes, Sicherung der nationalen Einheit, Verhinderung eines Bürgerkrieges und Wiederherstellung der Staatsautorität genannt. Die Regierung wurde des Amtes enthoben, Gewerkschaften, Vereine und Stiftungen wurden verboten und ihre Funktionäre wurden vor Gericht gestellt.

Nach dem Putsch wurden tausende von politischen Gefangenen gefoltert und zum Tode verurteilt. In Medienberichten war von 650.000 politischen Festnahmen und 50 vollstreckten Todesstrafen die Rede, in 171 Fällen sollen Menschen durch Folter gestorben sein.

Für Deutschland bewirkte der Putsch nach der türkischen Arbeitsmigration der 1960er und 1970er Jahre eine zweite große Einwanderungswelle, jetzt zahlreicher türkischer Regimegegner. Diese Einwanderung wirkte sich stark auf die demographische Struktur der in Deutschland lebenden Türken aus. (red/dts Nachrichtenagentur)

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