
Symbolbild: Pfalz-Express
Oberrhein-Region – Eine aktuelle Studie der RPTU Kaiserslautern-Landau zeigt, dass Pestizide nicht nur auf landwirtschaftlichen Flächen verbleiben, sondern sich weit in die Umgebung ausbreiten.
Vom Oberrheingraben* bis in den Schwarzwald und Pfälzerwald sind Rückstände nachweisbar – selbst in Schutzgebieten. Die Wissenschaftler fordern eine drastische Reduktion des Pestizideinsatzes.
Umfassende Beprobung der Umwelt
Das Forschungsteam um Carsten Brühl untersuchte während der Spritzsaison im Juni und Juli 2022 verschiedene Umweltproben entlang von sechs Untersuchungstransekten – jeweils 30 Kilometer lange Messpfade von der Tiefebene bis in die Mittelgebirge. An 78 Standorten wurden Boden, Vegetation sowie Gewässer auf 93 gängige Pestizide getestet.
Das Ergebnis: 63 verschiedene Pestizide konnten nachgewiesen werden, nahezu alle Messstellen waren betroffen. In 97 Prozent der Boden- und Vegetationsproben fanden sich Rückstände – oft in komplexen Mischungen. Selbst abgelegene Gebiete wiesen eine erhebliche Belastung auf.
In landwirtschaftsfernen Regionen wie dem Nationalpark Schwarzwald oder auf dem Feldberg (1.494 Meter) wurden mehrere Pestizide gemessen. Besonders betroffen sind intensive Anbaugebiete wie die Südpfalz und der Kaiserstuhl, wo bis zu 20 verschiedene Pestizide in Boden und Vegetation vorkommen.
In ihrer Modellierung haben die Forscher auch Berechnungen für das Naturschutzgebiet „Kleine Kalmit“ bei Landau angestellt. Mittels Vorhersagekarte wurden bis zu 15 verschiedene Pestizide in Boden und Vegetation prognostiziert – ein Befund, der durch Messungen in einer weiteren Studie bestätigt wurde.
Gefahr durch Pestizidcocktails
Besonders alarmierend ist die gleichzeitige Belastung durch mehrere Pestizide: 140 verschiedene Kombinationen von Wirkstoffen wurden gefunden. Diese sogenannten „Pestizidcocktails“ sind problematisch, da Wechselwirkungen auftreten und sich Effekte verstärken können. „Im Zulassungsverfahren werden Pestizide nur einzeln bewertet, doch in der Realität treten sie fast immer als Mischungen auf“, warnt Ökotoxikologe Brühl. Studien zeigen, dass solche Kombinationen die Eiablage von Insekten um mehr als 50 Prozent reduzieren können.
Ein weiteres Problem ist das weit verbreitete Fungizid Fluopyram, das in über 90 Prozent der Proben nachgewiesen wurde. Es gehört zur Gruppe der PFAS, sogenannter „Ewigkeitschemikalien“, die kaum abbaubar sind und das Grundwasser belasten können.
Auch Schutzgebiete betroffen
Die Studie zeigt, dass auch Naturschutzgebiete vor Pestiziden nicht sicher sind. Besonders heikel ist dies für geschützte Arten in Biosphärenreservaten oder Nationalparks. Selbst im Naturschutzgebiet „Kleine Kalmit“ bei Landau konnten bis zu 15 verschiedene Pestizide vorhergesagt werden – ein Befund, der durch Messungen bestätigt wurde.
„Schutzgebiete liegen oft in der Nähe von Agrarflächen und weisen deshalb eine erhöhte Pestizidbelastung auf. Pestizidfreie Übergangsbereiche könnten helfen, diese Gebiete besser zu schützen“, so Erstautor Ken Mauser.
Forderung: Pestizideinsatz drastisch reduzieren
Angesichts der weitreichenden Belastung fordern die Forscher eine drastische Reduktion des Pestizideinsatzes. Ihr Modell zeigt, dass sich Pestizide über große Entfernungen verbreiten und nicht nur landwirtschaftliche Flächen betreffen. „Pestizide begegnen uns beim Spazierengehen, auf Spielplätzen oder im eigenen Garten“, erklärt Mauser. Besonders gefährdet seien Landwirte, Kinder, Schwangere und ältere Menschen.
Die Wissenschaftler schlagen vor, großflächige Pilotprojekte mit pestizidfreier Landwirtschaft im Maßstab von 10 x 10 Kilometern zu etablieren. „Nur so lassen sich die positiven Effekte nachhaltiger Anbaumethoden messen. Die Politik muss jetzt handeln, um den Wandel zu einer pestizidfreien Landwirtschaft voranzutreiben“, betont Brühl.
Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin Communications Earth & Environment veröffentlicht. (cli)
*Die Oberrhein-Region umfasst das Gebiet entlang des Oberrheingrabens, der sich über etwa 300 Kilometer von Basel (Schweiz) über Freiburg, Straßburg, Karlsruhe, Mannheim/Ludwigshafen bis nach Bingen am Rhein erstreckt.
Info:
Die Studie: Ken M. Mauser, Jakob Wolfram, Jürg Spaak, Carolina Honert & Carsten A. Brühl 2025. Current-use pesticides in vegetation, topsoil and water reveal contaminated landscapes of the Upper Rhine Valley, Germany. Communications Earth & Environment. https://www.nature.com/articles/s43247-025-02118-2
Weitere Studie:
Carolina Honert, Ken Mauser, Ursel Jäger, Carsten A. Brühl. 2025. Exposure of insects to current use pesticide residues in soil and vegetation along spatial and temporal distribution in agricultural sites. Scientific Reports.https://doi.org/10.1038/s41598-024-84811-4

