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Goethe Gymnasium Germersheim: 10y trifft Shoah-Überlebende Henriette Kretz im Landtag

23. November 2021 | Kategorie: Kreis Germersheim

Henriette Kretz mit Alexia Rudi, Laura Götz und weiteren Schülern. 
Foto über GGG

Germersheim/Mainz – „Wie meinen Sie das, dass die Täter die Opfer seien?“ fragt Miriam Malthaner nach. Die Schülerin der 10y ist erstaunt und blickt von ihrem Sitz, auf dem normalerweise der Rülzheimer CDU-Landtagsabgeordnete Martin Brandl Platz nimmt, in Richtung der Stühle, die eigentlich der SPD-Fraktion vorbehalten sind.

Dort sitzt jedoch kein Sozialdemokrat, sondern eine Überlebende der Shoah. Die 87-jährige Henriette Kretz erklärt, dass die Nationalsozialisten ein Leben lang an ihren Taten litten. Sie müsse zwar jeden Tag an ihre erschossenen Eltern denken, deren Ermordung sie im Alter von zehn Jahren auf der Flucht habe mitanhören müssen. Doch sei es einfach unglaublich, was ein Mensch ertragen könne und sie habe gelernt, mit dem riesigen Verlust zu leben. Die Nationalsozialisten hätten Schuld auf sich geladen, mit der man schwer leben könne. Sie verspüre keinen Hass gegenüber den Nazis. Dies bringe überhaupt nichts. Vielmehr setze sie auf Versöhnung.

Nicht nur die Klasse 10y des Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasiums Germersheim, begleitet von ihrem Geschichts-und Sozialkundelehrer Dirk Wippert und Schulleiterin Ariane Ball, war am 12. November 2021 erstaunt über die nachsichtigen Worte der starken Holocaust-Überlebenden, sondern auch eine weitere Klasse, die auf Einladung des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Bildung den frisch renovierten Landtagsaal bewundern und an der faszinierenden Veranstaltung „Dem Hass begegnen – Antisemitismus entgegentreten – Handlungsfelder in der Schule“ teilnehmen durfte.

Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), die von ihrem Besuch im Konzentrationslager Auschwitz anlässlich des 9. November erzählte, lauschte ebenso aufmerksam den Ausführungen von Henriette Kretz und spannte gekonnt den Bogen zur heutigen Situation der Juden in Deutschland in Zeiten eines wiedererstarkten Antisemitismus.

Hierzu sprach die 21-jährige Mainzer Studentin Chana Marks klare Worte, indem sie schilderte, wie sie sich in der gymnasialen Oberstufe öffentlich zu ihrem jüdischen Glauben bekannt und sich nach zuerst sehr positiven Erfahrungen auch mit Vorurteilen konfrontiert sah, die während der Studienzeit auf der Straße auch in offene Anfeindungen mündeten, da sie eine Tasche mit hebräischen Schriftzeichen getragen habe.

Dieter Burgard, der Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen, den die Klasse 10y bereits vier Tage zuvor zum Tag des historischen Gesprächs am Goethe-Gymnasium anlässlich des 9. November getroffen hatte und der hierbei das Engagement des GGG für die Verlegung von Stolpersteinen im Februar 2022 sehr gelobt hatte, bereicherte die Diskussion mit wichtigen Statistiken und Analysen zur Ausprägung des Antisemitismus in Rheinland-Pfalz und Deutschland und forderte, der Geschichtsunterricht solle das Thema Nationalsozialismus und Antisemitismus ausführlicher behandeln. Es sei wichtig, Adolf Hitler gründlicher zu behandeln als Karl den Großen.

Der Autor Reiner Engelmann berichtete, wie er Henriette Kretz mit Aussteigern aus der Neonazi-Szene zusammengebracht habe und wie daraus das Buch „Hass und Versöhnung“ entstanden sei.

Neben Miriam Malthaner beteiligten sich zahlreiche weitere Schüler der Klasse 10y an der Diskussion mit der im Dezember 2020 durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Jüdin. Jasmin Schaaf wollte wissen, ob die im belgischen Antwerpen wohnende gebürtige Polin, als sie sich mit ihren Eltern vor den Nationalsozialisten verstecken musste, die politische Lage angesichts ihres jungen Lebensalters verstehen konnte. Henriette Kretz unterstrich, dass die Kinder der damaligen Zeit aufgrund der heftigen Erfahrungen ganz schnell zu Erwachsenen wurden.

Die politischen Zusammenhänge habe sie damals nicht gänzlich durchblickt, wohl aber die eindeutige Gefahr, die für ihre Familie bestand und auch die aussichtslose Situation, die sich nur durch Flucht lösen ließ, sobald die Nationalsozialisten ihr Versteck aufgespürt hatten.

Sinthu Paramanantham erkundigte sich, wann Henriette Kretz gefühlt hatte, dass sie außer Gefahr sei. Die Zeitzeugin entgegnete, sie habe dies sofort nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur gespürt, jedoch sei die Judenfeindlichkeit leider von einem Teil der Bevölkerung beibehalten worden.

Im Anschluss an die Diskussion nutzten einige Klassenmitglieder die Möglichkeit, im persönlichen Gespräch Worte und Fragen an Henriette Kretz zu richten.

Das Goethe-Gymnasium freut sich, wieder Klassen in das frisch gestaltete Parlament schicken zu dürfen. Zuletzt war die ehemalige Klasse 10a im September 2021 zu Gast im Ausweichgebäude („Steinhalle“) gewesen, da im Bildungsausschuss im Rahmen des Schülerlandtags ihr Antrag, Microsoft Teams auch für das Schuljahr 2022/2023 an Schulen zuzulassen, diskutiert wurde.

Vor dem Lockdown war der Leistungskurs Sozialkunde (ebenfalls in der „Steinhalle“) Teil der sehr interessanten Debatte „Politik ohne Frauen?“ mit der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth. Während des Lockdowns konnte das GGG digital mit dem Landtag zusammenarbeiten, am äußerst spannenden Workshop „Parlamentarische Demokratie heute und morgen. Erwartungen, Herausforderungen, Ideen“ mitarbeiten und hierbei mit der programmatischen Vordenkerin der Grünen, Marina Weisband, sowie mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte und Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) diskutieren. (Dirk Wippert/red)

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