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Ein König namens Blutwurst und summenden Bienen – starker Chawwerusch Auftakt bei der Neujahrsmatinee

16. Januar 2019 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße, Kultur

König Blutwurst…
Fotos: Pfalz-Express/Kunze

Herxheim – „Jenseits von Gut und Böse“. So lautet das Spielzeitmotto 2018/19 des Chawwerusch Theaters in Herxheim.

Am Sonntagvormittag (13. Januar) war im Theatersaal kein freier Platz mehr zu finden. Bei Kaffee und Croissants wurden die Zuschauer in das diesjährige Programm eingeführt.

Und das hat es in sich. „Jenseits von Gut und Böse“. Schwarz oder weiß, richtig oder falsch? Die Theaterleute beschäftigen sich in ihren Darbietungen mit Lebenswegen, mit Rechten, die erkämpft wurden, mit zerstörerischen menschlichen Einflüssen und der Frage, wie entscheiden wir uns letztendlich? Temperamentvoll wurde die Matinee von dem russischen Pianisten Dmitrij Koscheew begleitet. Er hat bereits in dem Stück „Kleine Frau – was nun?“ das Publikum für sich einnehmen können. Seine Gabe, über die Tastatur auf musikalischer Art Geschichten zu erzählen, zu untermalen, Atmosphäre zu schaffen, ist außerordentlich. Das Publikum war begeistert.

Vom jazzigen „Blue Lou“ von Sampson & Mills über Mozarts „Fantasie d-Moll“, hatte er ein stimmungsschaffendes Repertoire zu bieten. „Kleine Sittenlehre“, von Heimo Wisser. Damit stellte sich das Ensemble auf: „Die Tüchtigen und Fleißigen, die neue Zeit Verheißenden…, die Guten und die Sauberen, an einen Gott glauberen…“.

Wortspiel und Klangspaß mit Tiefgang. Davon sollte noch so einiges folgen. Wie der Text „Hymnus an die Dummheit“ von Peter Hille oder „Die Maßnahmen“ von Erich Fried: „Die Feinde werden geschlachtet, die Welt wird freundlich. Die Bösen werden geschlachtet, die Welt wird freundlich.“

Große Lacher forderten Lieder wie Bidla Bu von Georg Kreisler ein. Stephan Wriecz sang und tänzelte diese bitterböse Musikcomedy im Stil der 20er, 30er Jahre. Es geht um einen liebeshungrigen Mann, der sich durch die Ermordung seiner Liebsten deren Zuneigung auf ewig sichern möchte: „Lustig ist die Jägerei, Lotte war im Weg dabei.“

So soll die Liebe nicht erkalten, wird sogar noch stärker nach dem Tod. Doch flugs – muss eine Neue her. Die szenische Vorschau „Summ Summ“ ließ ebenso kein Auge trocken. Wie aus dem Kinderlied entlehnt, „Bienchen summ herum“, flatterten und hüpften drei künstlerisch begabte Bienen auf der Bühne umher.

Die Schauspieler Ben Hergl, Monika Kleebauer und Stephan Wriecz überzeugten in ihren Bienenoutfits und sangen sich mit dem Lied „Biene Maja“ direkt in die Herzen des Publikums.

Allerdings war das Lied eher eine Kampfansage an die berüchtigte Varroamilbe, die die Bienenvölker zerstört. Neben dem Menschen, der auch sein übriges dazu beiträgt. Eine fröhlich-lustige Vorschau mit erstem Hintergrund, die mit einem Gedicht von Jan Wagner (Felix S. Felix) eingeleitet wurde: „Selbstporträt mit Bienenschwarm“. Premiere ist am 15. November 2019.

Breites Theaterangebot

Breitgefächert ist das Themenangebot des Herxheimer Theaters. „Heimwärts in die Fremde.“ Ein Auswandererstück vom Hausregisseur Walter Menzlaw, das als stationäres Sommertheater auf dem Geilweilerhof bei Siebeldingen am 16. August 2019 seine Premiere haben wird. Dabei werden nicht nur die Theaterprofis, sondern Amateure, Geflüchtete und Musiker bei der Neuinszenierung von Heike Beutel dabei sein.

Hochinteressant dürfte das Theaterstück „Rosa B.“ von Rosa Tritschler werden. Nach Recherchen von Gabriele Bußman, die dem Leben ihrer Großmutter nachspürte. Es spielen die Theaterfrauen „WeibsBilder“ des Herxheimer Dorftheaters. Die besagte Großmutter ist mit 19 Jahren Lehrerin geworden und gründete sogar in Bad Bergzabern eine Privatschule.

Sie lernte ihre große Liebe kennen, bekam einen Sohn, folgte ihrem Mann nach Amerika, kehrte zurück und verstarb 1946 in der Klinik Klingenmünster. Was ist mit Rosa B. passiert? Am 20. September 2019 hat dieses Stück Premiere und der Zuschauer kann mehr über jene ungewöhnliche Lebensgeschichte erfahren.

Die junge Sparte, Expedition Chawwerusch, gab den Zuschauern einen Vorgeschmack auf das kommende Stück „Decide! (Entscheide Dich). Ein Parzival-Projekt“: Der junge Parzival wird fern ab von jeglicher Zivilisation von seiner Mutter aufgezogen. Hinter dem Berg und den Wäldern. Die Vögel singen ein Lied von Freiheit. Doch die Übermutter möchte davon nichts hören. Sie tötet sogar die Vögel und bittet, extrem gläubig, Gott um Verzeihung. Denn Gott ist der Höchste und Größte.

Doch ein junger Ritter erzählt Parzival von einer ganz anderen Welt, die es auch noch gibt. Seiner Mutter zum Trotz macht sich Parzival auf die Reise. Premiere hat diese Aufführung mit 40 Mitwirkenden am 22. Juni 2019 auf dem Festwiesengelände in Rülzheim.

Aus Anlass der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren, am 19. Januar 2019, zeigten die Darsteller aus dem Sommerstück des letzten Jahres „Kleine Frau – was nun?“ einen prägnanten Ausschnitt. Mit welchen Argumenten die Männer das Wahlrecht zu verhindern suchten.

Die Familie würde gespalten werden, Frauen hätten zu kleine Gehirne und weitere haarsträubende Begründungen. Doch letztendlich konnten sich die Frauen durchsetzen. „Frauen, lasst euch nichts erzählen!“

Mit dem „Lied vom Wählen“ wurde sinnbildlich dagegen gehalten, gegen diese in jener Zeit vorherrschende Männerdominanz und Arroganz.

König Blutwurst I.

Doch was hat es mit König Blutwurst I. auf sich? Thomas Kölsch könnte blutwurstiger gar nicht daher kommen, als er es bei der Matinee als Königliche Hoheit getan hat. In seiner Leibesfülle die Gier, Geiz und Habsucht darstellend, kommt man bereits beim Anblick der gelungenen Kostümierungen nicht aus dem Lachen heraus. Als eine „bitterbös saukomische Comedia“ bezeichnet, von Walter Menzlaw sehr frei nach dem Stück von Alfred Jarrys „König Ubu“ inszeniert, sollte man sich diese Geschichte nicht entgehen lassen.

Felix S. Felix spielt die Frau von König Blutwurst I., intrigant und gewieft. Mit dabei Laura Kaiser, Absolventin der Theaterakademie Mannheim. Sie wird auch im Sommerstück „Heimwärts in die Fremde“ die Rolle der jungen Eva Rosina Frank spielen, die sich dazu gezwungen sieht, ihre südpfälzische Heimat zu verlassen. Ebenfalls von der Theaterakademie Mannheim mit dabei ist Yannick Rey. Damit hat das Chawwerusch Theater zwei weitere professionelle Schauspieler mit im Programm.

Der Text „my own song“ von Ernst Jandl, der von Mirjam Grimm rezitiert wurde, könnte die Grundlage vieler szenischer Darbietungen an diesem Vormittag gewesen sein:

„Ich will ich sein

Nicht wie ihr mich wollt will ich sein

Ich will sein.“

Bei Parzival, der seinen Weg sucht. Bei den Auswanderern, die ein neues Leben suchen. Bei den Frauen, die Gleichberechtigung suchen, eine eigene Identität.

Doch was hat es mit den Eseln auf sich, die hier auch ihre Erwähnung finden? „Buridans Esel“ ist das Gleichnis eines persischen Philosophen. Der rezitierte Text (Felix S. Felix, Walter Menzlaw) ist von Robert Eduard Prutz.

Das Tier kann sich nicht zwischen zwei gleichen Hauhaufen entscheiden und verhungert, weil eine menschliche Eigenschaft im Tier versinnbildlicht wurde: Überforderung mit der Freiheit. Damit, wählen zu können. Auf das eine zu verzichten, um das andere haben zu können. Das würde auch erklären, warum einige Menschen nach „starken Führern“ suchen. Selbst auf die Gefahr hin, dass so mancher dabei auf der Strecke bleibt.

Anregend, voll positiver Energie, lustig, satirisch, bitterbös und manchmal auch jenseits von Gut und Böse, so könnte man diese Matinee beschreiben. Es scheint so, als würde das Jahr 2019 kulturell recht spannend werden.

Zum Abschluss entließ das Chawwerusch Ensemble das begeisterte Publikum mit dem Lied „Fein sein“:

„Fein sein, beinander bleibn

Gscheit sein, Frisch sein, Treu sein…

denn die Liab‘ is so zart wie n’a Soafenblasen.“

Und dem Wunsch für ein „feines neues Jahr“.

Nicht gut, nicht böse, aber fein.  (Gabi Kunze)

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