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„Dutschki vom Lande“ oder die 68er in der Provinz – Eine Matinée mit großartigem Nachklang

27. November 2018 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße, Kultur

V.li.: Benno Burkhart, Giorgina Kazungu-Hass und Michael Bauer.
Fotos: Pfalz-Express/Kunze

Herxheim – Autor Michael Bauer aus Herxheim hat ein neues Buch veröffentlicht: Dutschki vom Lande. Es ist der erste Roman des Heimatpoeten und Dichters, der unter anderem durch seine „Winzlyrik“ und „De klääne Pälzer“ bekannt geworden ist.

Am Sonntagvormittag (25.11.) fand ein Gastspiel im Chawwerusch Theatersaal statt, in dem Michael Bauer Passagen aus seinem Buch vortrug. Doch war es mehr als eine Lesung. Musikalisch begleitet wurde er von dem Jazzgitarristen Benno Burkhart und der Sägerin Giorgina Kazungu-Hass.

Mit Benno Burkhart hatte Bauer schon etliche gemeinsame Auftritte. Zum ersten Mal stand nun die Jazz- und Bluessängerin Kazungu-Hass mit auf der Bühne. Die Landtagsabgeordnete (SPD) begeisterte das Publikum mit ihrer kraftvollen, souligen Stimme. Das Trio ergänzte sich in ihren Darbietungen hervorragend.

Mit Musik in die 68er

Als Benno Burkhart zu Beginn mit einer seiner außergewöhnlichen Gitarrenkomposition eine Mischung verschiedener Stilrichtungen erklingen ließ, zog er damit die Zuhörer in die musikalische Zeit der 68er. Dies hatte schon fast eine erzählerische Tendenz. Daher meinte Bauer, Benno Burkhard habe damit eigentlich schon alles gesagt. Natürlich war noch lange nicht alles gesagt. Zwischen den einzelnen Textpassagen wurde durch Gitarre und Gesang die passende Stimmung geschaffen.

Giorgina Kazungu-Hass konnte mit Liedern wie „When the moon is in the seven house“, „Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz“ oder „Blackbird fly“ das Publikum entflammen.

Michael Bauer schildert in seinem Roman die Vorgänge und Umwälzungen jener Zeit, in der sich aus studentischen Kreisen ein gesellschaftlicher Umbruch entwickelte – die 68er: weg vom Kapitalismus, weg mit den Altnazis, Hitlersöhnen- und Schwestern.

Weg mit dem verklemmten Biedermeiertum, hin zur gesellschaftlichen und sexuellen Revolution. Gleichheit für alle, Erhebung der Arbeiter, Verehrung kommunistischer Führer. Bauer führt mit der Figur Thomas, kurz Tom, in seinem Roman durch die Geschehnisse jener Zeit. Allerdings nicht in den großen Städten wie Berlin, sondern auf dem Land und in Mainz, wo Tom studieren möchte.

Nachkriegsgeschichte aus anderer Perspektive

Bauer betont, es wäre kein autobiografischer Roman, die Geschichte ist frei erfunden. Doch die Vorgänge und Figuren haben sicherlich ihre Vorbilder. Die eine oder andere Begebenheit könnte sich so zugetragen haben.

Humorvoll, mit satirischen Elementen und Ironie gewürzt, schildert Bauer, wie Tom den heimatlichen Bahnhof in Kaiserslautern verlässt, um nach Mainz zu fahren. Seine Mutter ist sehr katholisch, Kaiserslautern eingebettet im Pfälzer Bergland, ein wenig abgeschieden von der Welt. Der Vater war, laut den Schilderungen seiner Mutter, ein verdienter Soldat bei der Schlacht von Verdun 1916 gewesen.

In Mainz kommt Tom bei einer gestrengen Zimmerwirtin unter, die äußerste Anständigkeit einfordert. Die Uni erweist sich als Sammelsurium unterschiedlichster „Revoluzzer“. Vor allem „Adi“, mit dem er sich anfreundet und der allerlei Ideen entwickelt, um die Revolution vor Ort voranzutreiben. Dann gibt es noch Maria, in die er sich verliebt. Im Radio kommt die Nachricht über das Attentat an Rudi Dutschke. Der Vietnamkrieg nimmt kein Ende und der amerikanische Präsident John F. Kennedy ist wenige Jahre zuvor ermordet worden.

In hohen Ämtern und den Chefetagen, überall sitzen noch Altnazis. Die Vergangenheit, der Zweite Weltkrieg, wurde nicht aufgearbeitet. Die Söhne und Töchter jener Generation tragen noch an den „Altlasten“, sind in der einen oder anderen Form davon geprägt.

Zahlreiche Studenten möchten eine „Neue Welt“ erschaffen, in der so etwas nicht mehr geschieht und die Menschheit einen „Qualitätssprung“ macht. Der Glaube an ein kollektives Gedankengut zur Verbesserung der Welt herrscht vor. Dazu sollen alte, morsche Strukturen aufgerissen, ja, zerstört werden.

Tom möchte gerne Theater spielen. Doch, anstatt den Faust zu spielen, werden neue Stücke erarbeitet, die im Geiste der Revolution ihre Botschaft vermitteln sollen. Ein Stück über die Ermordung Kennedys, allerdings in stark veränderter Form, einer „Macbeth-Persiflage“. Doch der „Extremist“ Adi hat „größere“ Ideen und schreibt ein Anti-Springer-Stück aus aktuellem Anlass. Der Springerkonzern, der in seinen Blättern wie die Bild-Zeitung hetzerische Parolen druckt und dadurch zur Gewaltentfachung beiträgt, wie dem Attentat auf Rudi Dutschke, soll damit angeprangert werden. Die Hauptrolle: Tom, denn der hat schwarzes Haar.

Durch den Ausruf eines Kindes, das den Namen Dutschke in Dutschki umwandelt, passend verkleinert und verniedlicht, erhält Tom seinen Spitznamen, den er auch behält.

Äußerst fantasievoll schmückt Michael Bauer seine Geschichte über die Entwicklung von Tom aus. Tom, der jeden Tag einen Begriff in sein Vokabelheft einträgt, weil er ein „Wortsammler“ ist. Er, der Gedichte mag, einen erzkonservativen Bruder in Dörrenbach hat, im Wald auf sehr gesprächige Riesen trifft und zwischen Studentenprotest, Liebe und auch Unglück seinen eigenen Weg sucht.

Bauer bringt einen wichtigen Teil unserer Nachkriegsgeschichte aus einer völlig anderen Perspektive nahe. Leicht und unterhaltsam zu lesen ist sein Buch und doch spiegelt es die Umbrüche deutlichst wider.

Die Zeit der Wollpullover und schrägen Frisuren, der Joints und alkoholisierten diskussionsschwangeren Nächte. Der freizügigen Sexualitätsvorstellungen, die doch noch in gesellschaftlichen Normen gepresst sind und ein wenig verklemmt daherkommen. Die energiegeladenen Erneuerungsgedanken, intellektuell überbordend, das alles hat der Autor Michael Bauer wunderbar miteinander verwoben.

Eine vergnügliche Lektüre wäre zu kurz gefasst als Beschreibung. Es ist ein äußerst lesenswertes Buch, das dem jungen Leser die Zeit der 68er aus einer fassbaren Perspektive in Augenhöhe näherbringt und den Zeitzeugen erinnert.

Bauer spielt gerne kreativ mit Worten. Und auch, wenn er dies, was er in seinen Gedichten gekonnt und gerne auslebt, in seinem Buch heruntergedämpft hat, so hat er doch die ihm eigenen Marginalien gesetzt. Michael Bauer ist in seinem Roman gut erkennbar. Oder, wie er von sich selber sagt: „Seit ich nicht mehr an Wörter glaube, mach ich nach Herzenslust Worte.“

Beatles und Herzkekse

Das Publikum war durch und durch von dieser abwechslungsreichen Matinee begeistert und dankte es mit lang anhaltendem Applaus. Gemeinsam wurde noch das Lied „Hey Jude“ von den Beatles gesungen.

Am Schluss gab es einen großen Herzkeks für Michael Bauer und von Beginn an viele kleine Herzkekse für die Zuschauer, die die Bäckerei Kerner eigens gebacken hatte, Bezug nehmend auf Bauers CD „Herzkeks“. Für Michael Bauer war es die 13. Vorstellung seines Romans. (Gabi Kunze)

Termine

Am Donnerstag, 29. November, findet eine Lesung um 20 Uhr in der Uni Mainz statt. Am 4. Dezember wird er auf dem Uni-Campus in Landau lesen, am 27. Januar 2019 in der Buchhandlung Heimes in Koblenz und am 13. Februar in der Heilig Kreuz Kirche in Speyer.

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