Demo für buntes Kandel mobilisiert 2000 Menschen – Krawalle auf Nebenschauplatz

24. März 2018 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

Ministerpräsidentin Dreyer hielt eine flammende Rede.
Fotos: Pfalz-Express/Licht

Kandel – Etwa 2.000 Menschen waren am Samstagnachmittag auf den Bahnhofsvorplatz gekommen, um das Bündnis „Wir sind Kandel“ zu unterstützen.

Das Bündnis aus Bürgern, Politik, Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden setzt sich für ein „offenes und vielfältiges Kandel“ ein und will den Demonstrationen von „Kandel ist überall“ entgegentreten.

Das war dieses Mal augenscheinlich gelungen –  der Bahnhofsvorplatz in Kandel wimmelte von Menschen. Zudem war fast die komplette Spitze des rheinland-pfälzischen Landtags dabei: Wirtschaftsminister und FDP-Landeschef Dr. Volker Wissing, CDU-Landtagsfraktionschef Christian Baldauf, Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun waren vor Ort.

Ebenfalls auf der Bühne: Der CDU-Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart, Landrat Dr. Fritz Brechtel und die Bürgermeister Volker Poß (Verbandsgemeinde) und Günther Tielebörger (Stadt, beide SPD).

Die Protestantische Kirche war mit Kirchenpräsident Christian Schad und das Bistum Speyer mit Generalvikar Franz Jung vertreten. Der rheinland-pfälzische DGB-Vorsitzende Dietmar Muscheid und weitere Gewerkschaftsvertreter nahmen ebenfalls an der Kundgebung teil.

„Ich stehe mit meiner Landesregierung an der Seite der Bürger, die für ein weltoffenes, liberales und gewaltfreies Miteinander eintreten. In unserem Land leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionen oder Weltanschauungen friedlich und tolerant zusammen. So soll es auch in Zukunft bleiben“, erklärte Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

„Die anderen sind laut – wir sind mehr“

Dreyer hielt eine flammende Rede und wandte sich auch an die Menschen, die „vielleicht im Herzen nicht ganz rechts sind“, sich zu besinnen, mit wem sie da marschierten.

Demo des Bündnisses „WIR sind Kandel“ auf dem Bahnhofsvorplatz…

„Fremdenhass und rechtsextremes Gedankengut haben keinen Platz in Deutschland. Die richtige Antwort darauf ist der Zusammenhalt der Mitte unserer Gesellschaft. Wir müssen gemeinsam für Demokratie, Respekt und Vielfalt einstehen. Was viele Menschen in Kandel seit der schrecklichen Gewalttat erleben müssen, ist eine Welle des Hasses.“ Gegenüber Gewalt und Hass gebe es eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber allen Menschen, „egal woher sie kommen“, betonte die Ministerpräsidentin.

Wer Straftaten begehe werde mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt, sagte Dreyer mit Blick auf den afghanischen Flüchtling, der die 15-jährige Mia im Dezember erstochen hatte. Kandel dürfe deswegen aber nicht zu einem Ort der „demokratiefeindlichen Propaganda“ gemacht werden.

Die Landesregierung werde alles dafür tun, damit sich Menschen in Rheinland-Pfalz weiterhin sicher fühlen können. „In der Arbeit gegen Gewalt werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir eine Politik der inneren Sicherheit verfolgen, die nicht populistisch, sondern realistisch ist“, so Dreyer. „Die anderen sind laut – aber wir sind mehr“, rief sie. Tosender Beifall begleitete die Rede.

Thomas Gebhart und der DGB-Vorsitzende Dietmar Muscheid riefen zu Zusammenhalt und Menschlichkeit auf.

Gebhart nannte die „Instrumentalisierung“ des Todes der jungen Schülerin durch rechtsgerichtete Demonstrationen „unerträglich für die ganze Stadt und die Region.“ Er sprach sich sowohl gegen rechte als auch gegen linke Gewalt aus, woraufhin zum letztgenannten ein paar Pfiffe ertönten – unverständlicherweise.

Schutz und Sicherheit für Frauen gefordert

Das Bündnis „Kandel ist überall“ hielt seine Kundgebung auf dem Marktplatz ab. Unter anderem sprachen die frühere rheinland-pfälzische AfD-Vize Christiane Christen und  Myriam Kern, die „Schutz und Sicherheit“ (vor „kriminellen Migranten“, Anm.d.Red.)  forderte und die Politik kritisierte, die diese Anliegen mit „Nazi-Keule und Hass-Hetze niederknüppeln“, was mit lautstarkem „Volksverräter-Rufen“ quittiert wurde.

Helfer der Politik seien zudem die „linken Schläger der Antifa“ und die „Systempresse“, was wiederum „Lügenpresse-Rufe“ zur Folge hatte.  Die Kundgebung war unter dem Motto „Meinungsfreiheit“ angemeldet worden. 

„Kandel ist überall“ wendet sich gegen „illegale Massenimmigration“ und die Flüchtlingspolitik der Regierung.

 

…während das Bündnis „Kandel ist überall“ seine Kundgebung auf dem Marktplatz durchführte.

Später bewegten sich die Teilnehmer mit zirka 1000 Personen, Schildern und Sprechchören durch die Kandeler Innenstadt. Nach dem Umzug trafen sie wieder auf dem Marktplatz ein, um die Veranstaltung dort fortzusetzen. Die Kundgebung verlief friedlich.

Währenddessen hatten sich Teilnehmer der zweiten Demo vor Verbandsgemeindeverwaltung versammelt.

Dort sprachen der Abgeordnete und SPD-Fraktionchef im Landtag, Alexander Schweitzer, Christian Baldauf, CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag, Staatssekretär Andy Becht (FDP), Grünen-Landesvorsitzende Jutta Paulus und die Landesvorsitzende der Linken, Katrin Werner. Am Montag dazu mehr.

Polizeibeamte angegriffen

Demonstranten aus dem linken Spektrum bekamen indessen einige Zeit später von der Polizei ein Platzverbot für ganz Kandel ausgesprochen. Teilnehmer hatten im Vorfeld aus einem Block von etwa 250 Personen heraus in der Bahnhofstraße Polizeibeamte mit Böllern und Stangen angegriffen, wie ein Polizeisprecher dem Pfalz-Express sagte. Es gab mehrere Verletzte, darunter drei Polizisten. Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein.

Die Situation war eine Zeit lang relativ unübersichtlich, ein Hubschrauber kreiste über der Szenerie. In den von der Polizei eingekesselten Block waren auch einige Bürger geraten, die von der Polizeikette nicht wieder herausgelassen wurden. Auch Michael Gebhardt, Gemeinderatsmitglied aus Minfeld, war darunter, dazu eine weitere Gemeinderätin aus der Nähe von Heidelberg und ebenso ein Mitarbeiter des Pfalz-Express. Gebhardt will bei der Polizei Beschwerde einlegen.

Letztendlich – nach über einer Stunde – drängte die Polizei den Block zurück zum Bahnhofsvorplatz, nachdem der Versammlungsleiter die Kundgebung offiziell für beendet erklärt hatte.

Fünf Personen wurden vorläufig festgenommen, teilte die Polizei später mit. Vier Personen müssen sich wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Würfen mit Pyromaterial, Beleidigung und weiteren Delikten verantworten.

Gegen einen Mann wurde Strafanzeige erstattet, weil er den sogenannten Hitlergruß zeigte.

Laut Polizei musste zudem nach einem Kabelschachtbrand an der Bahnstrecke zwischen Wörth und Kandel die Bahnstrecke von 14.40 Uhr bis gegen 16.35 Uhr gesperrt werden. Betroffen war auch ein Zug, der mit Versammlungsteilnehmern besetzt war.

Nach einer ersten Zwischenbilanz zeigte sich Einsatzleiter Polizeidirektor Martin Kuntze insbesondere darüber zufrieden, dass die Versammlungsfreiheit unter diesen Umständen bestmöglich gewährleistet werden konnte. Dabei zeige sich der hohe Wert frühzeitiger und aktiver polizeilicher Kommunikation vor Ort, so Kuntze. Insgesamt waren etwa 1000 Beamte eingesetzt. (cli/mli)

Mehr Infos und Videos in Kürze.

 

 

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