Freitag, 19. April 2024

Zuzugssperre in Pirmasens kann nicht verlängert werden

Gesammelte Erfahrungen sollen in Modellprojekt einfließen

30. Mai 2021 | Kategorie: Allgemein, Regional, Südwestpfalz und Westpfalz

Pirmasens, Exerzierplatz mit Rathaus. Im Vordergrund Statue des Landgraf Ludwig IX. (Reg. 1768 – 1790)
Foto: Stadt Pirmasens / Lina Klug

Pirmasens (Südwestpfalz). Seit Ende März 2018 gilt für Pirmasens die Zuzugssperre für anerkannte Asylbewerber und subsidiär geschützte Flüchtlinge.

Mit der Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen nach Abschluss der Asylverfahren sowie einer verstärkten Integrationsförderung ist eine deutliche Verbesserung der Situation eingetreten.

Trotz dieser positiven Entwicklung wohnen nach wie vor überproportional viele Menschen mit Fluchthintergrund. Aktuell leben rund 1 300 Menschen mit Fluchthintergrund in der Siebenhügelstadt.

Mitte dieses Monats lief nun die „Zuzugssperre“ der Stadt Pirmasens aus.

Das zuständige Landesministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration in habe mit Verweis auf die „deutliche Verbesserung der Lage“ in Pirmasens den Antrag auf Verlängerung abgelehnt.

Der Oberbürgermeister dieser Stadt hätte hingegen begrüßt, wenn die landesweit einmalige Ausnahmeregelung bis Ende März 2022 verlängert worden wäre, teilte die Stadtverwaltung diesen Freitag mit. Jetzt sollen die gesammelten Erfahrungen in ein Pilotprojekt einfließen, heißt es weiter. Die begleitende wissenschaftliche Studie ziele auf eine Reform des Verteilverfahrens ab.

Der Ablehnung des Antrages aus Pirmasens soll seitens der Fachabteilungen eine jährliche Evaluation der erhobenen Arbeitsmarkt- und Migrationsdaten vorausgegangen sein.

In einem Schreiben habe das Ministerium der Verwaltungsspitze zugesichert, Pirmasens auch weiterhin mit Projekten zur Integration und zum Spracherwerb zu fördern. Oberbürgermeister Zwick kündigt an, die weitere Entwicklung „aufmerksam zu verfolgen“.

Sollte die Aufhebung der negativen Wohnsitzauflage erneut für einen ungebremsten Zuzug nach Pirmasens sorgen, wolle er unverzüglich den Dialog mit den Verantwortlichen suchen.

„Somit steht die Stadt auch in Zukunft vor große Herausforderungen, um die Maßnahmen zur sprachlichen, sozialen und beruflichen Integration erfolgreich zu meistern“, sieht Oberbürgermeister Zwick voraus.

Besonders Kindertagesstätten, Schulen und das Jobcenter seien auf längere Sicht stark gefordert. Noch immer gebe es eine erhebliche Anzahl von Flüchtlingen, die nicht an einem Sprachkurs teilnehmen konnten.

Hier bestehe weiterhin erheblicher Bedarf, der nur sukzessive abgearbeitet werden könne. „Die zielgerichtete Integration geflüchteter Menschen in die Stadtgesellschaft ist eine Generationenaufgabe, der wir uns im Schulterschluss mit der Bevölkerung stellen werden“, kündigt Markus Zwick an und lobt das herausragende Engagement der Pirmasenser, „die sich mit viel Herzblut in diesen Prozess einbringen“.

Modellprojekt geplant

Die Erfahrungen aus Pirmasens im Umgang mit Geflüchteten sollen in ein Modellprojekt einfließen, teilt die Stadtverwaltung weiter mit.

Oberbürgermeister Markus Zwick mache sich für die Teilnahme an einer auf drei Jahre angelegten Studie der Universitäten Hildesheim und Erlangen-Nürnberg beim Land Rheinland-Pfalz stark. Dazu sollen zusammen mit weiteren „Modellkommunen“ aus Hessen, Niedersachen und Nordrhein-Westfalen Methoden entwickelt werden um die Verteilung von Migranten zu optimierten.

Basierend auf einem Algorithmus, genannt „Matching-Verfahren“, sollen die Voraussetzungen und Bedürfnisse dieser Menschen sowie die vorhandenen Strukturen und Ressourcen der Kommunen in eine stärkere Übereinstimmung gebracht werden.

Zu den Kriterien auf Seiten der Zuwanderer sollen unter anderem Bildungsabschlüsse, Arbeitserfahrungen, Sprachkenntnisse, Führerschein sowie familiäre und persönliche Beziehungen zählen.

In den Kommunen soll ein Abgleich mit verfügbarem Wohnraum, Schul- und Kinderbetreuungsangeboten, der Arbeitsmarkt-Situation sowie die Erreichbarkeit relevanter Einrichtungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen.

Untersucht werden sollen außerdem die vorhandenen Unterstützungsstrukturen wie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Sprachkursangebote, zivilgesellschaftliche Organisationen und weiteres. Ziel des Projektes sei, „durch die bessere ‚Passung‘ zwischen den Voraussetzungen der zu verteilenden Personen und der aufnehmenden Städte, den Integrationsprozess nachhaltig zu stärken und der Vielfalt der Kommunen in Deutschland besser Rechnung zu tragen“.

Zuzugssperre seit März 2018

Auf Betreiben der Stadt Pirmasens hatten deren Verwaltung und das Land Rheinland-Pfalz seit Ende März 2018 gemeinsam einen Sonderweg beschritten. Ziel war die Integration der Neubürger in die Stadtgesellschaft zu gewährleisten.

„Dank der seinerzeit vom Integrationsministerium angeordneten ‚negativen Wohnsitzregelung‘ ist es gelungen, den bis dahin ungesteuerten Zuzug anerkannter Asylbewerber und subsidiär (behelfsweise) geschützter Flüchtlinge zu stoppen. Dadurch konnte im letzten Moment der drohende Kollaps funktionierender Hilfesysteme aus Haupt- und Ehrenamtlichen abgewendet werden“, zieht Oberbürgermeister Zwick Bilanz.

Der damalige Schritt sei richtig gewesen. Die „Zuzugssperre“ habe erkennbare Wirkung gezeigt. Erst diese Maßnahme habe ermöglicht, auch in der Bevölkerung vertrauensbildend wirken zu können, ist Markus Zwick rückblickend überzeugt.

Dennoch bestehe die grundsätzliche Problematik einer drohenden sozialen und gesellschaftlichen Ausgrenzung fort. So würden in Pirmasens immer noch fast doppelt so viele Flüchtlinge leben, als der Stadt nach Aufnahmequote (Königsteiner Schlüssel) zugewiesen wurden.

Ab dem Erlass der negativen Wohnsitzauflage seien zwar lediglich noch im Ausnahmefall Flüchtlinge zugezogen, allerdings habe sich deren Zahl nur unwesentlich reduziert, da zugleich verhältnismäßig wenige Wegzüge erfolgt seien. „Die Aufnahmequote ist somit nach wie vor überschritten“, stellt Markus Zwick fest.

Daten und Fakten
(Quelle: Stadtverwaltung Pirmasens)

Einwohner Stadt Pirmasens: 40.756
davon mit Migrationshintergrund: 8.568

Betreut wurden in Pirmasens zum Stichtag 30. April 2021 insgesamt 1.341 Menschen mit Migrationshintergrund, davon 824 anerkannte Asylbewerber, darunter 316 Kinder unter 15 Jahren sowie 158 Personen in laufenden Asylverfahren. Außerdem werden 143 abgelehnte Asylbewerber geduldet, die wegen fehlender Dokumente oder Krankheit nicht abgeschoben werden können.

Die anerkannten Asylbewerber stammen zum überwiegenden Teil aus Syrien (633), Afghanistan (106) und Somalia (108).

Die Zugzugsperre für anerkannte Asylbewerber und subsidiär geschützte Flüchtlinge war am 26. März 2018 in Kraft getreten und lief am 15. Mai 2021 aus. Diese hatte bedeutet, Flüchtlinge als Asylbewerber anerkannt sind und im Asylverfahren ursprünglich entsprechend dem „Königsteiner Schlüssel“einer anderen Kommune zugeteilt waren und, durften ihren Wohnsitz nicht nach Pirmasens verlagern.

Vom den dem Land Rheinland-Pfalz auf Grundlage des Königsteiner Schlüssels vom Bund zugewiesen 4,8 Prozent Asylsuchenden nimmt Pirmasens anteilig ein Prozent auf (rund jeden Fünften).

Flüchtlinge Leistungsempfänger im SGB II.: 704 (415 Erwachsene, 289 Kinder)

Aufnahmequote nach Landesschlüssel: 0,99 Prozent der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz

Tatsächliche Quoten:
2,23 Prozent der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz (2018)
2,18 Prozent der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz (2019)
1,84 Prozent der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz (2020)

Summe der Flüchtlinge im Transferleistungsbezug:
1.309 (Feb 2018)
1.249 (Feb 2019)
1.050 (Feb 2020)
848 (Jan 2021)

Sprachkurse Warteliste (Mai 2021): 159

Stichwort „Königsteiner Schlüssel“ (benannt nach Königstein im Taunus)

Regelt (unter anderem) die Erstverteilung Asylbegehrender auf die Bundesländer.

Stichwort „negative Wohnsitzregelung“

Auflage den Wohnsitz an einem bestimmten Ort nicht zu nehmen.
(Werner G. Stähle)

 

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