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Neustadt feiert „50 Jahre Eingemeindungen der Stadtdörfer“ – Dr. Bernhard Vogel: „Die Wunden sind geheilt“

8. September 2019 | Kategorie: Neustadt a.d. Weinstraße und Speyer, Regional

In der Neustadter Stiftskirche gab es einen Gottesdienst und Festakt.
Fotos: Pfalz-Express/Ahme

Neustadt. Neustadt feiert. OB Weigel erklärte heute (8. September) bei einem Festakt in der Neustadter Stiftskirche, was da genau gefeiert wird. Nicht die Kreisfreiheit, denn Neustadt war schon früher kreisfrei. Bis 1969 gab es den Landkreis Neustadt an der Weinstraße – Sitz der Kreisverwaltung war die Stadt Neustadt an der Weinstraße, früher Neustadt an der Haardt.

Sie feiert aber ein halbes Jahrhundert, in dem die neun Weindörfer Diedesfeld, Duttweiler, Geinsheim, Gimmeldingen, Haardt, Hambach, Königsbach, Mußbach und Lachen-Speyerdorf mit der Kernstadt zu einer Einheit zusammengewachsen sind.

Anlässlich dieses Jubiläumsfestes „Rund um das Rathaus“ vom 6. bis 8. September 2019, lud Oberbürgermeister Marc Weigel heute zunächst zum ökumenischen Gottesdienst in die Stiftskirche ein. Der Festakt, der ursprünglich auf dem Marktplatz geplant war, fand dann ebenfalls aufgrund des schlechten Wetters in der Stiftskirche statt.

Die ehemaligen Neustadter OBs Ohnesorge (l.) und Weiller (r.) mit Dr. Bernhard Vogel, dem jetzigen OB Weigel (Mitte) und Malu Dreyer.
Foto: Pfalz-Express/Ahme

Doch zunächst zum ökomenischen Gottesdienst: Der evangelische Dekan Jung und sein katholischer Kollege Michael Janson begrüßte die Ehrengäste, allen voran Malu Dreyer, Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident a.D., den Frankenthaler Bürgermeister Hebich, Stadträte und viele andere Personen, die mit Neustadt und seinen Stadtdörfern verbunden sind.

Die Stiftskirche mit einem katholischen und evangelischen Teil, sei zwar durch eine Mauer getrennt. Aber: „Wo es eine Mauer gibt, kann man eine solche auch überwinden“, so Jung. Der gebürtige Saarländer erinnerte sich an das Jahr 1969: „Wir waren damals bei einem Jugendzeltlager in Dahn und haben uns über Neustadt lustig gemacht, denn jedes Stadtdorf bekam eine Nummer. Gut, dass die Dörfer damals ihre Namen trotzdem behalten konnten und sie haben auch nicht ihren Charakter verloren“.

Dekan Janson hatte sich so seine ganz eigenen Gedanken dazu gemacht. Die neun Stadtdörfer Gimmeldingen, Mußbach, Haardt, Lachen-Speyerdorf, Duttweiler, Königsbach, Geinsheim, Hambach und Diedesfeld unterschieden sich wie ein guter Wein durch ihr Terroir, also den Boden.

Dekan Jung (links) und sein katholischer Kollege Michael Janson.
Foto: Pfalz-Express/Ahme

„Vieles ist da durch dieses Terroir-Bewusstsein vorhanden“, so Janson. Nicht jedes Dorf sei damals vor 50 Jahren glücklich über seine Eingemeindung gewesen, hatte schon Dekan Jung gesagt.

Janson führte das in seinen kleinen Dorfbeschreibungen weiter aus. So sei Königsbach einstimmig für eine Eingemeindung gewesen. Geinsheim sei in einem Altstadtlauf mit einem Transparent gelaufen „Goise first“. „Ich konnte sie aber nur überholen, weil sie mit dem Transparent nur noch gehen konnten“, so Janson schmunzelnd.

Die Haardt sei schon immer ein störrisches Bergdorf gewesen, bringt Janson einen Spruch des ehemaligen OB Löffler in Erinnerung. Dafür war das Dorf schon zwei Mal „Schönstes Dorf Deutschlands“.

In Mußbach war man vor 50 Jahren schuldenfrei und habe dadurch der Kunst breiten Raum geben können – Beispiel der Herrenhof, ehemals ältestes Weingut der Pfalz – jetzt Kulturstätte.

Hambach sei die „reichste Braut“ des Kreises gewesen, glänzte durch ein Schwimmbad und großes ehrenamtliches Engagement. „Die Diedesfelder haben lange mit der Eingemeindung gehadert. Erst vor 10 Jahren haben sie ihren Dorfplatz bekommen“.

Unter den Dörfern war man sich oft nicht grün. Früher habe es zwischen Diedesfeld und Hambach regelmäßig kleine Schlachten gegeben in denen man sich gegenseitig mit Steinen beworfen habe. „Das ist Gottseidank vorbei“. In Lachen-Speyerdorf war man auch sehr skeptisch: „Wir sind vergewaltigt worden“, lautete dort das Statement.

„Duttweiler war ein Spätzünder und ist erst fünf Jahre später dazu gekommen“, so Janson. „Eigentlich dürften die gar nicht mitfeiern“.

„DIE Stadt Neustadt gibt es streng genommen nicht“, nahm Dekan Jung die Überlegungen nochmals auf. Winzingen, Branchweiler, Hambacher Höhe, die „Vorstadt“ Richtung Tal, das „Afrikaviertel“, das Schöntal – früher eigenständig, aber dennoch zu Neustadt gehörig und die Kernstadt, die kürzlich erst das ZDF sehr begeistert habe: „Kann daraus eine Einheit entstehen?“ Ja, ist die Antwort. Dekan Janson unterstreicht dies mit einem Gleichnis aus dem Galaterbrief und dem Vergleich Leib und Glieder.

In der sich anschließenden Pause konnte man sich mit Getränken versorgen. OB Weigel hatte sich als Gesprächspartner Malu Dreyer und Dr. Bernhard Vogel auf die Bühne geholt.
Vogel war als Ministerpräsident sehr oft in Neustadt und konnte die Stimmung seinerzeit immer noch gut beschreiben. Die Reformen seien nötig geworden um das Land besser zusammen zu führen. Es habe sicherlich heftige Diskussionen gegeben, erinnert sich Vogel.

Aber Helmut Kohl habe die Reformen durchgesetzt. In Speyer habe Niemand Eingemeindungen gewollt, auch nicht der dortige OB. „Nirgendwo hat es so viele Eingemeindungen gegeben wie in Neustadt. Beeindruckt war ich von einem Schild in Geinsheim „Geinsheim-Speyer 12 Kilometer; Geinsheim Neustadt-13 Kilometer“. Nach 50 Jahren seien die Wunden aber geheilt, so Vogel.

Die Neustadterin Malu Dreyer war acht Jahre alt als die Dörfer eingemeindet wurden: „Das war kein Thema für ein Kind“. Neustadt habe sich sehr gut entwickelt, sei Bildungsstandort und Weinstandort durch seine Weindörfer.

OB Weigel nutzte die Gelegenheit und sprach die Beibehaltung der Kreisfreiheit für Neustadt an: „Wir sind schlagkräftig genug für die Eigenständigkeit!“ Dreyer ließ sich keine Zusage dafür entlocken. „Bleiben Sie entspannt“, sagte sie. Es gebe Gutachten aber noch keine politischen Festlegungen. „Wenn die Gutachten vorliegen, diskutieren wir.Das geht nur mit der Opposition und kommunalen Spitzenverbänden“.

Für Neustadt wünsche man sich, dass „alle Rückwärtsgewandten hier keine Rolle spielen“ (Vogel) und „die Menschen weiter für Toleranz stehen“ (Dreyer).

Bei einer Reise durch die vergangenen fünf Jahrzehnte kamen noch einige Zeitzeugen zu Wort: Wie zum Beispiel die Alt-OBs Weiller und Ohnesorge, der frühere Stadtfeuerwehrinspekteur Winkelmann, der den Brand des Saalbaus beschrieb, Gustav-Adolph Bähr für den Herrenhof oder auch der damalige Baudirektor Münch. Dieser erzählte Einiges über die Baupolitik in den 70ern unter dem damaligen OB Dr. Brix.

Die Tanzschule die tanzmanufaktur, Simon Reichert an der Orgel sowie Gitarrist und Kulturamtsleiter Wolfgang Dinges umrahmten die gut besuchte Veranstaltung. (desa)

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