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Weihnachtspredigt im Speyerer Dom: Bischof Wiesemann mahnt zu Stille und Achtsamkeit – Digitale Steuerung „freiwillige Form der Diktatur“

25. Dezember 2018 | Kategorie: Kreis Bad Dürkheim, Kreis Germersheim, Kreis Südliche Weinstraße, Landau, Ludwigshafen, Neustadt a.d. Weinstraße und Speyer, Regional, Rhein-Pfalz-Kreis, Südwestpfalz und Westpfalz

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann.
Foto (Archiv): Klaus Landry

Speyer – Zahlreiche Gläubige besuchten im Speyerer Dom und im gesamten Bistum die festlich gestaltete Weihnachtsgottesdienste an Heiligabend.

Im Dom feierte Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann die Christmette und predigte über die Sehnsucht nach „ein bisschen Frieden“. Dabei nahm er Bezug auf den Text des gleichnamigen Lieds, mit dem die Sängerin Nicole 1982 den Eurovision Song Contest gewonnen hatte.

Der große, zunächst nicht absehbare Erfolg des Liedes zeige, dass es hier nicht um Kitsch und Sentimentalität gehe, sondern eine tiefliegende menschliche Sehnsucht. Diese Sehnsucht, so Wiesemann, sei in einen großen politischen Horizont hineingesungen worden. Damals hätten das Wettrüsten und der Falklandkrieg diese Sehnsucht befeuert.

Heute seien Klimawandel und soziale Ungleichheit die Zeichen eines Unfriedens. „Es braucht die Mutigen, die ihre Sehnsucht in die Welt hinausrufen“, so der Bischof. So wie es der Astronaut Alexander Gerst vor wenigen Tagen in seiner Botschaft aus dem Weltraum zum Ausdruck gebracht habe: „Wie wundervoll ist das fragile Lebenssystem unseres blauen Planeten, und wie schuldig werden wir heute an den kommenden Generationen! Beides, Staunen und Erschrecken, vollziehen sich im Raum der Stille.“

Die musikalische Gestaltung übernahmen das Vokalensemble der Dommusik und das Domorchester unter der Leitung von Domkapellmeister Markus Melchiori. Die Orgel spielte Domkantor Joachim Weller.

„In der Stille das lebenswichtige Aushalten und Durchtragen lernen“

Beim Pontifikalamt am ersten Weihnachtstag stellte Bischof Wiesemann die Erfahrung der Stille in den Mittelpunkt seiner Predigt.

„Manchmal meine ich, die Menschheit verliere die Fähigkeit zum Staunen“, so der Bischof. Wenn den Menschen etwas Unbekanntes begegne, dann zögen sie die Smartphones heraus und googelten im Netz, das „die Stelle der göttlichen Allwissenheit“ angetreten habe.

Mit dem Staunen verliere der Mensch auch die Fähigkeit zum Erschrecken. „Wenn aber die Menschheit das Erschrecken verliert, wie will sie dann noch umkehren können für die Zukunft unseres Planeten und seines ökologischen Gleichgewichts, für die Humanität und menschliche Freiheit inmitten digitaler Überwachung und Steuerung, für die umfassende Gerechtigkeit inmitten Algorithmen-berechneter Suggestionen und Interessen?“

Umkehren zu können, sei das „Privileg der Menschheit“ und der „stärkste Ausdruck von Freiheit“. Er beobachte einen internationalen Trend, soziale Probleme durch Technologie und Kontrolle lösen zu wollen, so der Bischof. „Wenn dadurch die Verbesserung der Menschheit erzielbar wäre, dann müssten wir ja bei den heutigen Möglichkeiten kurz vor der Vollendung des Weltfriedens stehen.“ In Wirklichkeit aber werde die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie nach und nach unterhöhlt.

Nur in der Stille lerne der Mensch das lebenswichtige Aushalten und Durchtragen, das seinem Leben einen roten Faden gebe. „Nur wenn er noch still sein kann, vermag er zu staunen und zu erschrecken und so seine Freiheit und Verantwortung zu entdecken.“  Es sei wichtig für die alles vermarktende Welt, einmal still zu werden – wenigstens zu Weihnachten. „Unsere Welt fürchtet die Stille. Alles wird ständig kommentiert, alles wird bewertet – durch jeden“, so der Bischof.

Smartphones zur „Dressur“

In den Krisen des Lebens hänge alles davon ab, „vom Redenden zum Hörenden“ zu werden. „Der Schwerpunkt des Lebens müsse sich verlagern „von mir, meiner Selbstrechtfertigung, meinem Selbstschutz weg hin zur Wirklichkeit, die mir gegenüber tritt und der ich mich stellen muss.“

Statt dessen würden Menschheit durch Belohnungssysteme gesteuert. „Schon mein Smartphone versucht mich ständig durch kleine Belohnungen, Sternchen, Likes und ähnliches zu dressieren. „Soft governance“, sogenannte „sanfte Steuerung“ von Menschen – dafür wird in vielen Ländern schon viel Geld ausgegeben.“

Dass das nicht unbedingt „soft“ bleibe, könne man aktuell in China sehen. Dort würden derartige Belohnungsmechnismen als staatliche Erziehungssysteme öffentlich installiert, überwacht und ab 2020 flächendeckend eingeführt werden.

„Was so nett spielerisch zum guten Verhalten animierend aussieht, wie das Sammeln von Bonuspunkten, um Vorteile im Alltag zu erhalten, das entpuppt sich als grausames soziales Ranking“, warnte Wiesemann.

Es öffne einer „ungehemmten Beinflussbarkeit“ des Menschen, sei es aus wirtschaftlichen, sei es aus ideologischen Interessen, Tür und Tor – „bis hin zu einer neuen, sehr effektiven, weil zum großen Teil freiwillig eingegangenen Form von Diktatur. Warum machen Menschen das so einfach mit, und geben sie auch bei uns nicht selten völlig unbedarft ihre Daten preis? Die spielerischen Belohnungssysteme wirken wie Drogen.“

Bischof Wiesemann benannte auch den Schmerz, „was gerade auch im Raum der Kirche mit der Verletzbarkeit und Schutzbedürftigkeit des Kindes getan wurde, mit der Botschaft von dem Perspektivenwechsel im Reich Gottes und seiner Option für die Armen und Kleinen.“

Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst am ersten Weihnachtsfeiertag vom Mädchenchor, den Domsingknaben, dem Domchor und den Dombläsern mit der „Missa octo vocum“ von Hans Leo Hassler.

Eine besondere Attraktion war für viele Gläubige in diesem Jahr die neu gestaltete Weihnachtskrippte im Speyerer Dom, die noch bis zum 2. Februar zu sehen ist. (red)

 

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