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„Kleine Frau – was nun?“ – Chawwerusch Premiere löst Begeisterungsstürme im Hambacher Schloss aus

11. Juni 2018 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße, Kultur, Neustadt a.d. Weinstraße und Speyer

Zeitkolorit auf dem Hambacher Schloss.
Fotos: Chawwerusch

Herxheim/Hambach – Der Festsaal im Hambacher Schloss hatte kaum mehr einen freien Platz zu bieten. Donnerstagabend (7. Juni) fand dort die Premiere des Freilichttheaterstücks „Kleine Frau – was nun?“ statt, die wetterbedingt nicht wie vorgesehen im Schlosshof aufgeführt wurde.

Wo kann besser Geschichte erzählt werden, als an einem so geschichtsträchtigen Ort, einem Ort, der als „Wiege der Demokratie“ in Deutschland gilt?

In der Neuproduktion des Herxheimer Theaters wird aus dem Leben einer jungen Frau namens Luise erzählt, dargestellt von Miriam Grimm.

Im Jahr 1918, also vor einhundert Jahren, herrschen chaotische Zustände in Deutschland. Der Krieg ist endlich vorbei und die Monarchie gestürzt.

Die unterschiedlichsten Kräfte im Land ringen miteinander, um ein neues Deutschland zu erschaffen. Die einen wollen „Frieden, Freiheit und Brot“, die anderen „mehr Demokratie“. Unter den scharfen Augen der OHL, der Obersten Heeresleitung, wird strengstens darüber gewacht, dass deren Macht gesichert bleibt und damit ihre preußisch-militärischen Werte.

Der Krieg ist zu Ende, die Hoffnung auf Frieden groß – es ist der Weg Richtung „Weimarer Republik“ und damit der ersten parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden.

Walter Menzlaw, Autor und Regisseur des Theaterstücks, hat geschickt die historischen Ereignisse mit dem Leben von Luise verwoben. So ist die Geschichte in der Zeit rund um die Weimarer Republik fassbarer, lebendiger und menschlich erfühlbar geworden.

Luise’s Heimat ist die Pfalz. Es ist ein einfaches Leben auf dem Land. Die Menschen und so auch ihre Familie sind geprägt von den traditionellen Werten: Gehorsam, Ordnung, Disziplin. Die Männer sind entweder im Krieg gefallen oder schwer traumatisiert. So auch ihr Vater (Ben Hergl) und ihr Bruder (Stefan Wriecz), die völlig im Wesen verändert heimkehren.

Luise’s Mutter (Monika Kleebauer) wünscht sich ihren Kaiser zurück, ihre alte Weltordnung und hat Angst vor den Franzosen, die die Pfalz besetzt haben: „Werden wir alle Franzosen oder bleiben wir Pfälzer?“ Damit verkörpert die Mutter eine der vielen Ängste, die in der Bevölkerung vorherrschen.

Jeder der Protagonisten steht für die Strömungen und Gefühle, die in jener Zeit die Gesellschaft durchwandern und die Menzlaw zu einem Bild zusammengefügt hat.

Luise muss nach einem tragischen Unglücksfall, aufgrund dessen sie von den Franzosen gesucht wird, aus der Pfalz fliehen. Sie taucht bei Tante Berta in Berlin unter. Dort findet sie eine völlig andere Welt vor als jene, die sie aus ihrer Heimat kennt.

In Berlin verdichten sich die Ereignisse und stürmen auf das Mädchen vom Lande geballt ein, sie, die von Politik keine Ahnung hat und sich plötzlich im pulsierenden Großstadtleben zurechtfinden muss.

Tante Berta, die Luise Obdach bietet, ist eine „Lebedame“. Sie wirkt abgeklärt und weiß, wie die Welt tickt. Luise bekommt über sie eine Arbeit in der Fabrik vermittelt und wird mit „guten Tipps“ versorgt: “Finger weg von Revoluzzern!“. Denn Berta weiß alles. Felix S. Felix füllt die Rolle der Tante Berta hinreißend komisch aus, divenhaft und leicht verrucht, gerissen und berechnend.

Luise trifft auf Paula, eine resolute Frau, die tatkräftig mehr Rechte für die Frau erstreiten will und später den Aufbau einer Volksküche antreibt, um den vielen Hungernden und Armen zu helfen. Monika Kleebauer verkörpert die aufrichtige und durchsetzungsfähige Frau sehr authentisch und kraftvoll. Sie wird Luise entscheidend prägen und ist die erste Begegnung mit einem Menschen aus der Stadt.

Und dann gibt es noch „Willi“. Einen jungen, sympathischen Mann, der zu „keener Partei“ gehört, weil der nämlich, „Freidenker, friedlich und Pazifist ist“. Stephan Wriecz mimt die Figur des Willi – warmherzig und voll von Träumen für die Zukunft.

Doch, was ist mit Frieder? Frieder (Thomas Kölsch) ist der Verlobte von Luise und vom Krieg noch nicht zurückgekehrt. Ihre Zukunftspläne wurden durch den Krieg über den Haufen geworfen, eine Zukunft, die nun ungewiss geworden ist.

In Berlin selbst herrschen teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände. Es fallen Schüsse, es finden zahlreiche Demonstrationen statt, es gibt eine Zersplitterung der Parteien, Linken und radikalen Linken, Rechten und radikalen Rechten, gemäßigten Gruppierungen, Arbeiter und Soldatenräte. Und über allem wacht, in Pappfiguren veranschaulicht, die Oberste Heeresleitung. Karikaturen von Hindenburg, Ludendorff und Groener, die immer mal wieder hinter der Kulisse auftauchen, um für Recht und Ordnung zu sorgen.

Luise lernt die schwere, monotone Arbeit in der Fabrik kennen. Sie sieht die Massenverelendung um sich herum und das Leid der Menschen, die ohne die Volksküchen nicht überleben könnten. Zugleich wächst in ihr die Sorge um ihre Familie zuhause in der Pfalz und um ihren geliebten Frieder.

Durch das Stück führt als Erzähler Ben Hergl, mal mit schelmischen Blick, mal mit dem wissenden Zeigefinger.

Er stellt aber auch das gedankliche Gegenüber von Luise dar, mit dem sie Zwiesprache hält, ihre Ängste und Hoffnungen teilt. Hergl spielt zudem nicht nur den Vater von Luise, sondern füllt, wie alle Darsteller, mehrere Rollen aus.

Nur Miriam Grimm bleibt Luise, um die sich die Welt sprichwörtlich dreht. Grimm spiegelt die Entwicklung, die sie durch die Ereignisse und Begegnungen an sich selbst erfährt, berührend und einfühlsam wider. Sie lässt den Zuschauer teilnehmen. Doch auch Frieder, ihr Verlobter, hat eine Entwicklung durchgemacht, die Thomas Kölsch dynamisch darzustellen weiß.

Die Schauspieler überzeugen ebenso mit ihren Tanzeinlagen wie Liedvorträgen und schaffen dadurch eine Atmosphäre, durch die das Berlin der Zwanzigerjahre vor den Augen des Publikums sehr lebendig wird.

Der aus Moskau stammende Dmitrij Koscheew, ein international anerkannter Pianist, hat eigens für das Chawwerusch Theater die Bühnenmusik komponiert und das Stück am Piano musikalisch begleitet. Diese Verquickung der schauspielerischen Darstellungen mit den wunderbaren Kompositionen waren grandios und erinnerten ein wenig an die Stummfilmzeit.

Die Dialoge sind gespickt mit Texten von Dichtern, wie Christian Morgenstern: „Küss mir den Schädel, mein Mädel“, Aussprüchen des Schriftstellers Ernst Toller:

„Wer keine Kraft hat zum Traum, hat keine Kraft zum Leben“ und natürlich Kurt Tucholsky und dessen Wiegenlied über die die neu geborene deutsche Republik.

Das kubistisch anmutende Bühnenbild, das ständig in Veränderung ist und damit sofort den gegenwärtigen Situationen angepasst wird, ist außergewöhnlich gut durchdacht worden. Auch die Kleidung, ob die der armen Mutter, der glamourösen Tante Berta, der Arbeiter oder der wie im Varieté tanzenden Darsteller – die Bühnen- und Kostümbildnerin Franziska Smolarek hat die passende Kulisse für diese Aufführung geschaffen.

„Kleine Frau – was nun?“, in Anlehnung an Hans Falladas Buchtitel „Kleiner Mann, was nun?“, ist nicht nur eine Produktion, welche die Geschichte lebendig werden lässt. Es fordert in unterhaltsamer und äußerst lebendiger Art und Weise auch dazu auf, sich Gedanken zu machen. Es lädt dazu ein, über eine uns heute selbstverständlich gewordene Demokratie einen anderen Blickwinkel zu erhalten und die Historie erzählt, wie es werden könnte, wenn kein „vernünftiger“ Weg gefunden wird und radikale Kräfte die Oberhand gewinnen.

Immer wieder sind die Farben Schwarz, Rot, Gold in der einen oder andern Kostümierung zu finden, kleine versteckte Hinweise.

Foto Chawwerusch

Die visionären Aufbruchstimmungen, die verzweifelten Momente, der Hunger nach Frieden und Ordnung, die gesellschaftlichen Umwälzungen bis zum Erstreiten des 8-Stunden-Arbeitstags und des Frauenwahlrechts, die massiven Veränderungen in jener Gesellschaft nach dem 1. Weltkrieg, all das hat der Autor Walter Menzlaw in ein 2 ¼ stündiges (inkl. Pause) Bühnenstück gepackt.

Das lustvolle Erzählen Ben Hergls, die fantastische Darstellungsweise der einzelnen Protagonisten in Verbindung musikalischer Klangerlebnisse, ließen am Ende das Publikum frenetisch Beifall klatschen. Es war eine brillante Darbietung des Chawwerusch Theaters.

Schirmherr der Veranstaltung ist Prof. Dr. Konrad Wolf, Minister für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. (Gabi Kunze)

Dramaturgie: Sieglinde Eberhart

Regieassistenz: Angelika Drexler-Ferrari

Kostümassistenz: Sofie Schröer

Verantwortlicher Techniker: Kim Acker

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