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Dr. Dieter Luppert erinnert sich: Vortrag über 40 Jahre Verbandsgemeinde Hagenbach

18. März 2013 | Kategorie: Kreis Germersheim

Dr. Dieter Luppert schrieb unter anderem den Gedichtband „Charly un sei Vädderle“. Foto: Licht

Hagenbach – Rechtsanwalt Dr. Dieter Luppert ist vielen Südpfälzern wohlbekannt. Durch sein Talent und seine Lust am Dichten und Fabulieren entstanden zahllose Gedichte, die hiesige Persönlichkeiten auf´s Korn nahmen, menschliche Stärken und Schwächen pointierten und Erlebnisse in gefälligen Reimen mitteilten. Ein großer Erfolg war sein Buch „Charly un sei Vädderle“, in dem es unter anderem um´s Reisen, Schnarchen und „Brotwurschd“ geht – meist aus Sicht von Charlie, dem zwischenzeitlich verstorbenen Dalmatiner der Familie Luppert.

Unlängst nun hielt Luppert anlässlich des vierzigjährigen Bestehens der Verbandsgemeinde Hagenbach einen Vortrag – nicht in Gedichtform dieses Mal, dafür einen humorvollen und informativen Überblick über die Schwierigkeiten und Lösungen zur Geburtsstunde von Hagenbach.

Der Vortrag im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Landrat, meine Herren Bürgermeister, liebe Gäste, liebe Hagenbacher,

Ihr Bürgermeister, Herr Scherrer, hat mich gebeten, als einstiger Zeitzeuge zum heutigen Abend ein Grußwort zu sprechen. Diesem Wunsch entspreche ich gerne. Und so möchte ich mich bei Ihnen, Herr Bürgermeister Scherrer, bedanken, dass Sie mich zum heutigen Abend eingeladen haben.

Als Fraktionsvorsitzender der CDU habe ich damals sowohl die Geburtswehen als auch die Geburt der Verbandsgemeinde unmittelbar miterlebt. 40 Jahre sind inzwischen vergangen. Und dennoch sind die Erinnerungen noch sehr lebendig. Fast 30 Jahre sind vergangen, seit ich aus beruflichen Gründen von meiner Heimatgemeinde Hagenbach weggezogen bin.

Und doch: Mit Fug und Recht kann ich sagen, dass ich Hagenbach stets treu geblieben bin. Den Kontakt zu meinem Heimatort habe ich nicht verloren. Immerhin bin ich. nach wie vor in 2 Gesangvereinen meine Mitgliedschaft beibehalten. Ihr Stadtbürgermeister, mein Freund F. X., mein Kampfgefährte aus alter Zeit, lädt uns, meine Frau und mich, noch immer zu vielen wichtigen Veranstaltungen ein. Auf diese Art und Weise geht der Kontakt nie verloren. Abgesehen davon: „Einmal Hagenbacher, immer Hagenbacher!“

Hermann Hesse hat dieses Gefühl der Verbundenheit zu seiner eigenen Heimatgemeinde wunderschön formuliert, indem er schreibt: „Ich fühle tief und mit Ergriffenheit, wie schön und merkwürdig das Erlebnis für mich war, einmal Heimat gehabt zu haben. Einmal an einem kleinen Ort der Erde alle Häuser und ihre Fenster und alle Leute dahinter gekannt zu haben. Einmal an einem bestimmten Ort dieser Erde gebunden gewesen zu sein….“

Auch in meiner Kindheit und Jugend war es so, dass jeder jeden im Dorfe kannte; selbst die Pferde und Kühe der Bauern, die mit ihren Wagen durchs Dorf fuhren, kannte man. Diese Erinnerungen und Episoden gehören zum Begriff „Heimat“.

Aber jetzt zum eigentlichen Thema: Was waren zu Beginn der 70 er Jahre die Beweggründe, Verbandsgemeinden zu gründen? Den einen zur Erinnerung, den andern zum vielleicht besseren Verständnis möchte ich Ihnen in wenigen Bildern die Situation vor deren Gründung  schildern:

Die sechziger Jahre waren nicht nur stürmisch, sie verliefen in weiten Bereichen geradezu revolutionär. Es rumorte überall: mit aller Macht, ja, teilweise mit roher Gewalt wollte man so genannte alte Zöpfe abschneiden. Die wilden 68 er, versuchten alles umzuändern, ja umzustürzen.

Umsturz und Erneuerung waren die Schlagworte. Die staatiche Gesellschaftsordnung wurde weit gehend infrage gestellt. Selbst die Kirche drängte auf Erneuerung; sie berief in Rom ein Konzil ein. Tabuthemen gab es ab sofort keine mehr: ich erinnere an die sexuelle Revolution. Oswald Kolle, die Pille kam auf den Markt, Schulmädchenreport, Sexualkundeatlas, lustvolle Sexualität, um nur einige Stichworte auf diesem Gebiet zu nennen.

Auch Rheinland-Pfalz drängte auf Reformen. Ich zitiere aus der neuesten Kohl-Biografie von Hans-Peter Schwarz den entsprechenden Passus: „ Kohls 2. Baustelle ist die Gebietsreform. Dort sind die Widerstände noch viel größer als beim Umbau des Schulwesens. Eines Tages überrascht der sehr mächtige Fraktionschef die Öffentlichkeit im Juli 1968 mit einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU, FDP und SPD, in dem eine fast bedingungslose Gebietsreform gefordert wird.Ihm gelingt das Kunststück, sich in dieser Angelegenheit sogar mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans König zu verbinden. Die Auseinandersetzungen eskalieren. Kohl, immer noch nicht Ministerpräsident, muss im Spätherbst und Winter 1968 zur Abwehr einer Welle von Bürgerprotesten von Gemeinde zu Gemeinde ziehen,  um die Ziele der Reform zu erläutern, um dem Volkszorn entgegenzutreten. Ein Pfarrer von Meyern schleuderte ihm ins Gesicht: „Sie sind ein Luzifer!“

Heute müssen wir sagen: „Die Politiker hatten recht!“ Uns Südpfälzer überraschte zusätzlich eine weitere Sensation, ja, ich nenne es sogar eine Revolution, die alles bisher Dagewesene total verändern sollte: Zu Beginn der Sechzigerjahre kam eines Tages das Gerücht auf, Daimler Benz wolle in Wörth ein Lkw Werk ungeahnter Größe errichten. Man sprach von 5000 Mitarbeitern und mehr, die eines Tages hier arbeiten sollten – und nicht genug, auch Mobil Oil wollte sich in Wörth ansiedeln. Hirngespinste!? Keineswegs! Unter nichts zu unterschätzender Mitwirkung des Hagenbacher Ehrenbürgers Albert Leicht wurde aus dem Gerücht von heute auf morgen Wirklichkeit. Unglaublich!

Das hatte Konsequenzen: Von unseren Gemeinden wurde zwangsläufig ein völliges Umdenken verlangt: Beschauliche landwirtschaftliche Strukturen und Fischerdörfer verwandelten sich schlagartig in Industriegemeinden. Fremde kamen in unsere Dörfer. Diese plötzlichen Veränderungen verlangten ihre Tribute:  Mit der Industrialisierung der Südpfalz kamen plötzlich auf die Gemeinden die vielfältigsten neuen Aufgaben zu, die nur von einer leistungsfähigen Verwaltung erledigt werden konnten. Die Ortschaften erlebten gerade durch die Industrialisierung eine enorme Wesensveränderung. Nochmals gesagt, aus bäuerlichen Strukturen wurden blitzartig Industriegemeinden; diese Gemeinden platzen aus allen Nähten: Die Bevölkerung Hagenbachs und in noch stärkerem Maße die Gemeinden Wörth und Maximiliansau verdoppelten und verdreifachten sich. Diese Fakten erforderten Konsequenzen.

Ich nenne nur einige sehr wichtigen neuen Aufgabenbereiche: Infrastruktur, Sozialbereich, Umweltschutz etc. Da waren Fachleute gefordert. Eine Kreisverwaltung, die alle diese Aufgaben zugefallen wären, wäre ein fürchterlicher Wasserkopf geworden. Dies galt es zu vermeiden. Heute wissen wir, dass die Schaffung der Verbandsgemeinden somit eine dringende Notwendigkeit war.

Und dennoch: Wie heftig waren auch bei uns die Aufschreie, als diese Pläne der Landesregierung bekannt wurden. Die Kommunalpolitiker befürchteten den Untergang der Selbstständigkeit ihrer Gemeinden.

Noch schlimmer war die Befürchtung, dass Gemeinden zusammengelegt werden sollten, die bisher wahrhaftig nichts miteinander zu tun hatten und auch nichts zu tun haben wollten. Und nicht zu vergessen: die Eifersüchteleien, – welche Gemeinde sollte den Sitz erhalten?

Fangen wir beim dritten Punkt an:

Nennen Sie mir eine Gemeinde der Südpfalz, die als Sitz einer Verbandsgemeinde prädestinierter wäre als Hagenbach: welche Gemeinde hat eine reichere Geschichte? Ich nenne nur einige Daten und Namen: 1281 Verleihung der Stadtrechte durch Rudolf von Habsburg; 1146 besucht Bernhard von Clairvaux unsere Gemeinde. Und nun ganz wichtig: schon 1353 wurde Hagenbach Sitz eines Kurpfälzischen Unter- Amtes, zudem unter anderem die Orte  Hagenbach, Pfortz und später noch Neuburg, Neuburgweiher und Wörth gehörten.

Offensichtlich gab es damals schon kluge Leute, die Hagenbachs Bedeutung klar erkannt hatten. Warum sollte es diesmal anders sein? Und so geschah es auch.

Zur 2. Frage:

Welche Gemeinden sollten in die Verbandsgemeinde Hagenbach aufgenommen werden? Berg, ja; Scheibenhardt, ja; Neuburg, ja.

Was aber war mit Büchelberg und Schaidt? Gographisch hätten sie auch Hagenbach zugeschlagen werden müssen – aber:dann hatten plötzlich die Parteienstrategen das Sagen: Es musste sichergestellt werden, dass die Verbandsgemeinde Wörth weiterhin von dem so erfolgreichen Bürgermeister Stöffler  regiert werden kann. Er hatte schließlich unbestritten größten Anteil an der Industrialisierung der Südpfalz. Und so kam es, dass die beiden CDU-Gemeinden der künftigen Verbandsgemeinde Wörth zugeschlagen wurden.

Das 3. und größte Problem waren die Eifersüchteleien der einzelnen Gemeinden: Konnte es gelingen die viele Gemeinden zu einer Einheit in Form einer Verbandsgemeinde zusammen zu schmieden?

Mit Berg und Neulauterburg gab es die geringsten Meinungsverschiedenheiten. Bürgermeister Fried aus Berg und Raimund Carl aus Scheibenhardt waren CDU- Leute wie Karl August Vogel in Hagenbach. Deren Augenmerk richtete sich lediglich darauf, dass die Sitzgemeinde nicht übermächtig wird und die andern Gemeinden letztendlich am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Diese Absicht bestand jedoch nie.

In unseren Fraktions-Sitzungen wurden wir uns immer sehr schnell handelseinig. Länger dauerten allerdings die Nachsitzungen, die oft zu Nachtsitzungen wurden. Aber das schweißte zusammen. Eine kleine Episode: unser Stammlokal war der „Grüne Baum“. Eines Abends wollten wir dort wieder einkehren. Der Wirt, Erich Metz, erklärte uns lapidar, er habe morgen Ruhetag und deshalb nichts zu essen für uns.

Werner Newill aus Neuburg fragte, ob wir wenigstens die Küche benutzen dürften. Was diese Frage bedeuten sollte, verstand ich nicht gleich. Aber: Der brave Mann hatte eine Hühnerfarm und deshalb immer genügend Eier im Kofferraum. Seine Frage wurde bejaht. Daraufhin ging er an sein Auto und brachte 3 Lagen Eier herein, die er sodann in die Pfanne klopfte. 90 Eier für maximal 10 Mann. Gott sei Dank gab es etwas zu trinken. Am Ende haben wir es geschafft. Was in der Nacht oder am nächsten Tag passiert ist, erspare ich mir zu schildern.

Ja, die Pfälzer verstehen zu genießen, manchmal auch etwas darüber hinaus. Vorbild ist da kein geringerer als unser Ex-Bundeskanzler. Sein Hoffotograf Müller schildert im jüngsten „Cicero“ sein Erlebnis mit ihm:

„Als ich ihn einmal in St. Gilgen am Wolfgangsee fotografiert habe, waren wir zusammen wandern und gingen in eine Waldwirtschaft.In wenigen Minuten hatte Kohl seinen Teller leer gegessen, während bei mir doch mehr als die Hälfte auf den Teller lag. Da hat er sofort gesagt: „Na, Meister essen Sie noch weiter?“ Das war das Zeichen, dass ich ihm meinen Rest rüberschieben sollte. Allerdings hat er bei solchen Gelegenheiten immer selbst bar bezahlt aus seinem eigenen Portmonaie….“

Jetzt aber schnell zurück zum Dritten Punkt:

Wie konnten wir mit den Neuburgern klar kommen ?

Und in der Tat, hier lauerten Fallstricke und Animositäten. Das Verhältnis zwischen Hagenbach und Neuburg war wohl noch nie besonders herzlich; dabei spielten auch die Religionsunterschiede eine Rolle, vor allem aber die unterschiedlich ausgeprägte Mentalität. Schon die Sprachen waren sehr verschieden. Ich erlaube mir dieses sagen, weil schließlich meine beiden Eltern aus Neuenburg stammen. Ich wurde auf diese Weise als Kind sozusagen zweisprachig erzogen.

Am entscheidendsten war allerdings die Tatsache, dass in Neuburg Bürgermeister Vollmer mit seiner Wählergruppe regierte; und daneben eine sehr starke SPD.

Dann kam die alles entscheidende konstituierende Sitzung: Sie fand in der Mehrzweckhalle in Hagenbach statt; die Halle war bis auf den letzten Platz besetzt. Einer der Hauptpunkte war die Wahl des Bürgermeisters, des Verbandsbürgermeisters. Die CDU schlug selbstverständlich Karl August Vogel vor; seine Wahl stand auf ehernen Füßen. Die CDU hatte 9 Stimmen; die SPD 5 und die Wählergruppe Vollmer ebenfalls 5 Stimmen. Eine Stimme brauchten wir also unbedingt. Ferdinand Scherrer, ein alter erfahrener und nicht nur bei seinen Parteifreunden angesehener SPD Mann, war bereits Beigeordneter der Gemeinde Hagenbach, obwohl auch dort die CDU die Mehrheit hatte. Er sollte und musste das Zünglein an der Waage sein.

Also bot ihm unsere Fraktion den Beigeordneten an, falls er im Gegenzug unserem Kandidaten seine Stimme zu geben bereit war. Nochmals gesagt: die beiden Karl August Vogel und er arbeiteten bereits innerhalb der Gemeinde Hagenbach erfolgreich zusammen. Ungeheuere Spannung lag in der Luft. Was würde geschehen? Hoffentlich fällt er unter dem Druck der Öffentlichkeit und seiner anwesenden Parteifreunde nicht um! Eine schwere Last für ihn. Man sah es ihm förmlich an.

Und siehe da: Ferdinand Scherrer stand zu seinem Wort. Karl August Vogel wurde gewählt. Der Saal tobte, allerdings in zweierlei Richtungen. Die Einen jubelten vor Glück, die anderen waren außer sich vor Zorn. Nun, so war es und so ist dies eben in einer Demokratie.

Später wurde sogar im Landtag ein Untersuchungsausschuss gebildet, in dem wir als Zeugen aussagen mussten. Man hatte unlautere Machenschaften unterstellt; dies galt nicht nur für Hagenbach.

Und zu welchem Ergebnis kommen wir heute nach 40 Jahren?

Nach anfänglichen Geburtswehen zeigte es sich, dass das Kind sich gut entwickelte und prächtig gedieh. Und so ist es bis auf den heutigen Tag. Und somit wünsche ich der Verbandsgemeinde ein weiteres erfolgreiches Blühen, Wachsen und Gedeihen. (red)

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