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Chawwersuch-Uraufführung „Braun werden“: Vom Wohnzimmeridyll auf die Terror-Terrasse

15. November 2015 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße, Kultur
Wohnzimmer-Idyll mit neuer Mitbewohnerin: Alles ändert sich. Fotos: Kunze

Wohnzimmer-Idyll mit neuer Mitbewohnerin: Alles ändert sich.
Fotos: Pfalz-Express/Kunze

Herxheim – Am 13. November wurde das Stück „Braun werden – Eine kippende Komödie“, im Chawwerusch Theatersaal in Herxheim aufgeführt.

Es war die zweite Produktion der jungen Sparte des Theaters. Und eine Gelungene.

Ein junger Mann, Konrad, lebt noch bei seiner „Mutti“. Eigentlich ist er in einem Alter, in dem man das nicht mehr tut. Doch die Beiden sind ein eingespieltes Team und leben fast paarähnlich zusammen. Natürlich will Mutti, dass er die geeignete Freundin findet und eine Wohnung. Doch direkt eilig hat sie es damit nicht.

So haben sie eine Beziehungsstruktur zueinander entwickelt, die Halt und Sicherheit gibt.

Braun werden – eine doppelbödige Komödie könnte man auch sagen.

Überall wurden Anspielungen, Hinweise, neudeutsch „Links“, versteckt und enthüllen sich nach und nach dem aufmerksamen Zuschauer. Bald wird dem Publikum klar, dass in dieser heiter daherkommenden Komödie ein Unterton mitschwingt, der schreckliches erahnen lässt.

Und dieser Aufbau der Dramaturgie ist absolut gelungen.

Konrad (Stefan Wriecz) und seine Mutti (Monika Kleebauer) leben in einem bürgerlichen Wohnzimmeridyll. Da hängt der Zinnteller an der Wand und dort stehen die Pantoffeln unter dem Tisch. Eingerahmt von braunblumigen Tapetenwände, kann sich der Zuschauer der heilen-Welt Atmosphäre kaum entziehen.

Die überzeichnete Darstellungsweise der Charaktere zeigt Alltagssituationen in überhöhter Deutlichkeit und erzeugt sehr witzige Situationen.

Die wartende Mutti, die ihren Sohn in Empfang nimmt, wenn er von der Arbeit kommt. Die gluckenhafte Mutti, in deren Leben sich alles um ihr heißgeliebtes „Konrädel“ dreht und – um Bräune.

Wenig Ansprüche an das Leben hat die Mutti. Aber braun werden, das ist ein Ziel, für das sie eisern spart. Ein Solariumgerät Marke „Brat-Maxe 3000“. Die Mutter-Sohn-Beziehung mutet ödipushaft an, sicher und warm. Meinungsverschiedenheiten werden eher vermieden.

Die Darsteller spielen ihre Rollen sehr glaubhaft und fast wäre man als Zuschauer versucht, sich in jene heile Welt sinken zu lassen. Doch dann gibt es einen „Break“.

Bea, die neue Nachbarin, taucht auf und möchte sich einen Bohrer borgen – oder bergen?

Das Aufeinandertreffen der drei Protagonisten fühlt sich an, als würde ein Rad angehalten werden und dann die Richtung wechseln.

Miriam Grimm verzaubert als „Bea“ mit einem „Kerzenständertanz“ Mutti und Konrad. Sie erweckt Muttis braun gewordene Pflanze zu neuem Leben und ein frischer Wind haucht dem eingefahrenen Duo neues Leben ein.

Braun werden Chawwerusch 3

Als dann Bea auch noch einzieht, verändert sich alles. Aufgeregt wird auf der Bühne umgeräumt und neue Möbel eingeräumt und ein neuer – brauner – Teppich ausgerollt.

Die Spielgeschwindigkeit der Darsteller verändert sich entsprechend vom „groovigen Alltagstrottrhythmus“ (musikalisch entsprechend unterlegt) zum schwungvollen Funk.

Zunehmend verwandelt sich die Beziehung der einzelnen Personen zueinander. Konrad tritt immer mehr in den Hintergrund. Mutti und Bea bauen zusehends eine absonderliche Beziehung zueinander auf. „Ein Herz und eine Seele. Eine Zunge, eine Flamme“.

Erst sind es nur Beas Äußerungen, die aufhorchen lassen.

Von eingeschleppten Pflanzen, die hier nicht hingehören. Vom Schlüsselmann aus Muränien, der sicherlich klaut. Aber Mutti und Konrad überhören geflissentlich die damit verbundenen Botschaften. Schließlich ist die neue gewonnene „Frische“ zu schön, um sie wieder aufzugeben.

Als Muttis „Negerfigur“ aus ihrem Gärtchen plötzlich weg ist, kippt die Komödie immer weiter ab ins Skurrile.

Die nutzlose Figur wird eh bald durch einen deutschen Gartenzwerg ersetzt. Kriegsspiele, Überwachungskameras, den Worten folgen Taten und bald ist nichts mehr so, wie es einmal war.

Muttis braune Brille wird immer dunkler und letzten Endes geht es dann ans „Eingemachte“. Das steht übrigens im Keller, oder, wenn man so will, im Untergrund.

Konrad kommt irgendwann an einem Punkt, an dem er sich fragen muss, ob er das alles noch weiter mitmachen kann.

In diesem Bühnenstück wurde nichts dem Zufall überlassen. Jede Geste, jedes Wort, sogar Beas Klingelton (Wagners Wallkürenritt), weisen die Richtung, in die es geht: In Beas Ideologie von einer besseren Welt.

Einem freien Tal, mit echten, aufrechten Menschen – ohne „Schädlinge“. Ein Stück, das zutiefst nachdenklich stimmt und dabei witzig und temporeich ist.

Der Zuschauer kann sich sofort öffnen durch die einfallsreiche Darbietung der überzeugenden Darsteller.
Die zunehmende Dramatik wird dadurch abgemildert und macht es dem Publikum leichter, sich mit diesem brisanten und hochaktuellen Thema zu befassen: Wo und wann beginnt Faschismus?

„Braun werden“ wurde gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt und eigens für die Expedition Junges Chawwerusch geschrieben.
Die Idee dazu stammt von Michael Bauer, der auch für die Dramaturgie verantwortlich ist.

Das Bühnenbild wurde von Jörn Fröhlich gestaltet. Buch und Regie  Esther Steinbrecher. (Gabi Kunze)

Braun werden Chawwerusch 4

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2 Kommentare auf "Chawwersuch-Uraufführung „Braun werden“: Vom Wohnzimmeridyll auf die Terror-Terrasse"

  1. GGGGGGKKKKKEEEE sagt:

    Nach Jahrzehten kommunistisch Herrschaft, waren die Menschen Osteuropas dankbar, dass sie von solch einem Belehrungs- und Indoktrinjtionstheater endlich verschont waren – nun breitet sich vergleichbares in der ehemals „Freien Welt“ aus …

  2. GGGGGGKKKKKEEEE sagt:

    In seiner Rede bei der Verleihung des Goehtepreises, 1982, nannte Ernst Jünger es das Zeitalter der „Anbräuner“. Diese Zeiten halten offenbar noch an …