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AfD: Corona-Zahlen stimmen nicht – Kreisverwaltung erklärt Vorgehen

27. Juni 2020 | Kategorie: Kreis Germersheim, Politik regional

Foto: dts Nachrichtenagentur

Kreis Germersheim – Ende Mai hat die AfD-Kreistagsfraktion „erhebliche Widersprüche bei SARS-COV-2-Zahlen im Kreis Germersheim“ kritisiert.

Gerd Unterforsthuber, verkehrs- und wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Kreistag Germersheim, hat die für den Kreis Germersheim seit dem 4. März 2020 kommunizierten SARS-COV-2-Zahlen der Kreisverwaltung Germersheim und des Landes Rheinland-Pfalz analysiert.

Laut Unterforsthuber traten erhebliche Abweichungen zwischen den unterschiedlichen Datensätzen auf, die sich „nicht durch Melde-Verzüge erklären lassen.“ Sowohl bei den „Derzeit SARS-COV-2-Infizierten“ als auch bei den „Genesen SARS-COV-2-Infizierten“ seien erhebliche Differenzen zwischen Landes- und Kreiszahlen festgestellt worden: „So wurden zum Beispiel am 11.05.2020 vom Kreis 25, vom Land jedoch nur sechs „Derzeit-SARS-COV-2-Infizierte“ gemeldet.“ Entsprechend verhalte es sich bei den „Genesenen-SARS-COV-2-Infizierten“: Kreis 128, Land:117.

„Generell lässt sich sagen, dass die Daten zwischen Land und Kreis zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen. Gerade bei grundrechtseinschränkenden Maßnahmen müssen sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können, dass die Datenbasis stimmt. Offensichtlich ist dem nicht so“, meint Unterforsthuber.

Bei näherer Betrachtung der Daten werde auch ersichtlich, dass schon vor der Einführung der Maskenpflicht am 27.4.2020 die Infizierten-Zahlen schon stark zurückgingen. Die Kurve flache schon vor dem 27.4.2020 merklich ab. Dierbei sei zu berücksichtigen, dass „eine Infektion bis zur Diagnose schon mehrere Tage zuvor erfolgt ist.“ Insgesamt sei das Infektionsgeschehen im Kreis Germersheim als minimal zu bewerten, so Unterforsthuber.

Die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen im Kreis solle man bei einer so geringen Zahl von Infizierten zumindest zu hinterfragen (Aktueller Stand zum 26. Juni hier). Am 25.05.2020 hat die AfD-Fraktion deshalb eine Anfrage an Landrat Dr. Brechtel gerichtet.

„Mit dieser Anfrage wollen wir Klarheit über die Arbeitsweise und Entscheidungsbasis der Verantwortlichen bringen. Es kann nicht sein, dass Einschränkungen der Grundrechte auch nur einen Tag länger als notwendig aufrechterhalten werden.“, so Andreas Wondra, Sprecher der AfD-Fraktion. „Gerade wenn es um das Wohl unserer Kinder und die Gefährdung von Existenzen geht. Als Opposition ist es unsere demokratische Pflicht, die Agierenden zu kontrollieren und ihr Handeln zu hinterfragen.“

Insbesondere wenn Beschränkungen laut Verordnung bei übersteigen der 50er-Kennzahl wieder verstärkt werden müssten, müsse die Datenbasis stimmen. „Nach unseren Auswertung der Infizierten-Zahlen wurden seit dem Ausbruch der Corona-Krise im Kreis Germersheim zu keinem Zeitpunkt die Anzahl von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern in 7 Tagen überschritten. Nicht annähernd wurde dieser Wert erreicht. Laut Landes-Daten war das Maximum am 29.03.2020 mit 26 Neuinfizierten erreicht, laut Kreis-Daten am 02./03.04.2020 mit 31 Neuinfizierten. Allein hieran sieht man wie unterschiedlich die Daten für den Kreis Germersheim von Land und Kreisverwaltung sind“, so Gerd Unterforsthuber.

Zum besseren Verständnis der Thematik veröffentlichte die AfD-Fraktion im Kreistag Germersheim die Auswertungen mit Stand 26.05.2020 für die Bürger. „Hiermit soll ein Beitrag zu mehr Verständnis und Transparenz der Thematik geleistet werden.“ Basis für die Auswertungen seien Pressemitteilungen des Landes Rheinland-Pfalz und der Kreisverwaltung Germersheim und Datenlücken wurden interpoliert.

Kreisverwaltung erklärt Zahlen und Gründe

Auf Nachfrage des Pfalz-Express bei der Kreisverwaltung dauerte es einige Wochen, bis die Antwort kam. Dafür fiel sie umso ausführlicher aus (im Wortlaut).

„Die unterschiedlichen gemeldeten Infektionszahlen für den Landkreis Germersheim zwischen der des Landes Rheinland-Pfalz und der Kreisverwaltung Germersheim sind so zu erklären:

Das Land definiert so:

*    Genesen wurde wie folgt definiert:

  1. a) nicht-verstorben, nicht-hospitalisiert und vor mehr als 21 Tagen ab Datenstichtag erkrankt
  2. b) nicht-verstorben, hospitalisiert gemeldet und vor mehr als 28 Tagen ab Datenstichtag erkrankt
  3. c) nicht-verstorben, Hospitalisierung unbekannt und vor mehr als 28 ab Datenstichtag Tagen erkrankt

Sterblichkeit

Zuständigkeit beim Ministerium bzw. Statistischen Landesamt, welches die Totenscheine RP zentral auswertet.

RP- Zahlen sind Schätzungen

Den Meldetatbestand „Genesen“ gibt es nicht. Er kann auch wegen des erheblichen Aufwands nicht landesweit zufriedenstellend von allen Gesundheitsämtern recherchiert und übermittelt werden.

Das Gesundheitsamt Germersheim schätzt nicht, sondern ermittelt und lässt untersuchen. Durch die unterschiedliche Betrachtungsweise kommt es leider zwangsläufig zu Diskrepanzen bei den gemeldeten Zahlen.

 Zur Hinterfragung der „grundrechtseinschränkenden Maßnahmen im Kreis“/Ausgangssperre:

 Die Allgemeinverfügung des Kreises vom 20.03.2020 orientiert sich an der Vorgabe der Landesregierung, die sich u.a. auf die RKI-Modellierungen stützt.

Es handelte sich um eine Risikoeinschätzung, die aus möglichst vielen Quellen generiert wird. Hauptquelle ist die wissenschaftliche Ergebnissammlung und Information durch das hierfür zuständige staatliche Robert Koch Institut (RKI).

Datenquelle waren die die Informationen des staatlichen Robert Koch Institut (RKI) (s.u.) in Zusammenhang mit den bis dahin ermittelten Krankheitsfällen. Zusätzlich haben berichtete Verläufe aus dem benachbarten Ausland bei der Risikowahrnehmung eine Rolle gespielt.

Informationen zur Formel zum exponentiellen Verlauf:

Die Dynamik der Lage und die rasche Änderung der getroffenen Maßnahmen führten zu einer Komplexität, die rechnerisch nicht durch die logistische Wachstumsgleichung, die von konstanten Umweltbedingungen ausgeht, zutreffend abgebildet werden kann.

Für die Richtigkeit der Formelergebnisse auf die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen gilt das Maß und der Zeitpunkt der Änderung der Determinanten bzw. „Stellschrauben“.

Bei der SARS-COV 2 Pandemie wären als Determinanten zur Zeit einzig Maßnahmen, die auf die Kontaktrate zielen wie Quarantänen, Schulschließungen, Lock down maßgeblich, da die Immunität in der Bevölkerung noch sehr gering ist.

Auch andere Maßnahmen wie Impfung oder Medikamente, die auf die Übertragungswahrscheinlichkeit und die Dauer der Infektiösität zielen, stehen aktuell nicht zur Verfügung.

Die Epidemiologie rechnet grob folgendermaßen: R0=D*c*p

R0 = Reproduktionsrate bei Abwesenheit von Maßnahmen und 100% empfänglicher Population

R(t) = effektive Reproduktionsrate bei gegenwärtigen Maßnahmen

D = Dauer der Infektiosität

c = Kontaktrate (wer hat wen wie oft getroffen)

p = Transmissionswahrscheinlichkeit Infektiöse Person > Empfängliche Person

Laut frühen RKI-Modellierungen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Modellierung_Deutschland.html) vom 20.3.2020 wurde für die Basisreproduktionszahl R0 ein bundesweiter Wert von 2 angenommen, also mit einer exponentiellen nicht logistischen Verdoppelung der Fälle alle 4 Tage (=serielles Intervall) gerechnet. Tatsächlich bestand ein Schätzwert zwischen 2 und 3.

Solange R0 über Eins liegt, wird davon ausgegangen, dass die Epidemie exponentiell wächst. Es kommt dann zur Anwendung der exponentiellen Wachstumsgleichung N(t) = N0 x R^t  .

  • t: aktuelle Generation (eine Generation entspricht dem seriellen Intervall von 4 Tagen),
  • N0: infektiöse Population zum Generationspunkt 0,
  • N(t): infektiöse Population zum Generationspunkt t,
  • R Reproduktionszahl, Annahme: sie ist von t0 bis t konstant geblieben

Die Allgemeinverfügung des Kreises orientiert sich an der Vorgabe der Landesregierung, die sich u.a. auf die RKI-Modellierungen s.o. stützt.

Zur Hinterfragung der Maskenpflicht, wie sich die am 27.04.2020 verfügte Maskenpflicht anhand des geringen Anstiegs der Infektionszahlen, der auch schon vor dem 27.04.2020 evident war, nach Meinung der Kreisverwaltung Germersheim rechtfertigen lässt.

Das Virus ist immer noch neu, weiterhin gibt es keine erfolgreiche Behandlung und keinen Impfstoff. Corona ist für Pfälzer, Südtiroler wie Elsässer in den Auswirkungen gleich. Wir befanden uns im engen Austausch mit der schwer betroffenen Region Grand Este.

Wer sehen will was geschieht, wenn man zunächst unbemerkt in die Krise laufen muss wie die zuerst betroffenen Nachbarländern, kann das anhand der Nachrichten aus der Nachbarregion oder auch aus Bergamo immer noch ansehen.

Bezüglich des Sachstandes wird weiterhin dynamisch aus den bisherigen Feststellungen dazugelernt. Was heute wahr ist kann und muss evtl. morgen durch neue Erkenntnisse wieder umgestoßen werden.

Zum geringen Anstieg der Infektionen:

Entgegen der Annahme vieler ist die Gefährdung durch das Virus noch nicht vorbei, denn aktuelle Betrachtungen hinken dem Geschehen bei Corona ca. 14 Tage hinterher. Die Zahlen von heute zeigen also das Bild von vor 14 Tagen und damit den Erfolg aller getroffenen Maßnahmen 14 Tage vor der aktuellen Datenerhebung.

Die effektive Reproduktionszahl R(t) hängt von den tatsächlich getroffenen Maßnahmen ab. Für Germersheim kann man sagen, dass die Maßnahmen noch im April lediglich zur Kapazitätsgrenze von 148 (=150) führten.

Wäre es also zu einem erneuten Eintrag von Fällen kommen, z.B eine Art „Pandemie Reset“ durch einzelne Sommerurlauber, dann entstünden daraus im Mittel 150 neue Fälle, wenn die Maßnahmen die gleichen wie im April verfügt blieben. Echte Ausbrüche sind nämlich nicht deterministisch, sondern stochastisch.

Es gab einen in der Bundesrepublik noch nie da gewesenen Lockdown und sich überschlagende Verordnungen und Maßnahmen. Damit reduzierte sich letztendlich die Weiterverbreitung des immer noch vorhandenen und gegebenenfalls auch wieder eingetragenen Virus.

Für die Wiedereröffnung und Aufhebung der Schutzmaßnahmen muss es einen Plan geben, um die Sicherheit der Bevölkerung auch unter den neuen geöffneten Bedingungen möglichst zu gewährleisten. Das Gesundheitssystem darf auch weiterhin nicht überflutet werden um die bisher guten Ergebnisse nicht zunichte zu machen. Vermeidbare Todesfälle sollen auch weiterhin tatsächlich vermieden werden. Stichwort: Ziel bleibt „flatten the curve“.

Ohne Interventionsmaßnahmen rechnet man bei Epidemien mit einer Reproduktionszahl von >1 mit einem exponentiellen Verlauf, Formel siehe oben.

Aus Sicht der Fachwelt muss ein statistischer R0- Wert (Basisreproduktionswert) von unter 1 angestrebt werden, um die Weiterverbreitung der Infektion zu stoppen.

Der viel zitierte R0- Wert beträgt schon ohne, oder mit kaum merklichen Symptomen bei den infizierten Personen R0= 1.

Das heißt eine Person aus der Gruppe der unmerklich Infizierten steckt statistisch gesehen eine weitere Person an. Damit kommt es allein dadurch zu einer Weiterverbreitung.

R0 ist dabei nur ein Mittelwert. Bei der Betrachtung müssen daher dringend die sogenannten Multispreader berücksichtigt werden, die im entsprechenden Setting (z.B. kleine, schlecht gelüftete Räume, Diskotheken, Karaokebars, Familienfeiern, Großveranstaltungen, Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln, etc.) allein nachweislich durchaus auch mehr als 10 Personen ansteckten.

Das Verwaltungshandeln erfordert ein situationsgerechtes und angemessenes Vorgehen. Die bisherigen Untersuchungen weisen auf eine hauptsächliche Übertragung via Tröpfchen und Aerosol (Tröpfchenkerne die länger in der Raumluft schweben) hin.

Es gibt auch Untersuchungen die belegen, dass ein einfacher Mund-Nasenschutz die Infektionsgefahr minimieren kann. Näheres kann aus den Veröffentlichungen des RKI entnommen werden.

Die Maskenpflicht ist eine Mitigationsmaßnahme bei gleichzeitiger Aufhebung der Bewegungseinschränkungen. Das Präventionsparadox beschreibt sehr gut, wie Maßnahmen mit nur geringem Nutzen für die Einzelperson einen großen Nutzen für die Gesamtbevölkerung bringen (https://www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/praeventionsparadox/).“

 

 

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