Samstag, 20. April 2024

Leserbrief: Unser Gesundheitsministerium: Ein nicht lernfähiges Ministerium

5. April 2018 | Kategorie: Elsass Oberrhein Metropolregion, Kreis Bad Dürkheim, Kreis Germersheim, Kreis Südliche Weinstraße, Landau, Leserbriefe und Kommentare, Neustadt a.d. Weinstraße und Speyer, Nordbaden, Rhein-Pfalz-Kreis, Rheinland-Pfalz, Südwestpfalz und Westpfalz

Foto: red

Was hat man uns Bürgerinnen und Bürger vor der Wahl alles versprochen um die Situationen der Pflege zu verbessern. In zahlreichen Fernsehauftritten haben die Politiker ihr Bestes gegeben. Mittlerweile steht die Regierung und es ist mal wieder nichts Großartiges zu erwarten.

Ich war beruflich über 35 Jahre im Pflegemanagement tätig und habe das klägliche Versagen aller Gesundheitsminister live erlebt. Jahrzehnte tat sich fast gar nichts und dann in den letzten zwei drei Jahren eine kleine Reform nach der anderen.

Gebracht hat es dem Pflegepersonal nichts. Ganz im Gegenteil. Anstatt die Pflegekräfte zu unterstützen -die bis an den Rand der Erschöpfung und darüber hinaus arbeiten – erhielten keine Hilfe, sondern es wurden mehr Kontrollen der Heime gefordert eingeführt.

Dazu kommt der ständig hohe Belegungsdruck seitens des Trägers der wirtschaftlich arbeiten möchte. Stirbt da ein naher Angehörige im Heim, bleibt schon mal die Pietät auf der Strecke: Guten Tag, ich bin hier Pflegedienstleiter, mein Beileid zum Tode ihrer Mutter, bitte nehmen sie Ihre verstorbene Mutter gleich mit, ich muss morgen früh nachbelegen.“ Dies ist 2018 noch immer Pflegerealität in Deutschland.

Auch der neue Minister Jens Spahn wird sich in die Reihe der versagenden Minister einstellen und er hat schon damit begonnen. 8000 neue Pflegestellen sollen eingerichtet werden. Es fehlt aber schon heute gut und gerne die dreifache Anzahl.

Spahn denkt darüber nach Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben. Dabei müsste er es doch besser wissen, dass solche Vorschläge mehr schlecht als recht funktionieren.

Wo sollen den die 8000 Kräfte herkommen und sollte man sie tatsächlich bekommen, werden sie bei unseren Rahmenbedingungen auch bleiben, oder werden sie in die skandinavischen Länder oder England abwandern, weil einfach die Wertschätzung ihrer Arbeit ein bessere ist.

Noch attraktiver wäre die Schweiz zu benennen. Dort erhält eine Pflegefachkraft gut und gerne das dreifach an Gehalt. Fatal ist die Abwerbung von Fachkräften aus anderen Ländern in jedem Fall. In ganz Europa herrscht ein Mangel an Fachkräften. Selbst in China herrscht ein Mangel. Dennoch reisen die Pflegemanager mittlerweile bis nach China um Pflegekräfte zu rekrutieren.

Was wir in den all den bisherigen Versuchen ausländische Kräfte anzuwerben gelernt haben ist schnell gesagt. Einfach ist das nicht, andere Ausbildung, andere Kultur und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten sind hohe Barrieren.

Ich kann mich noch gut an die erste spanische Pflegefachkraft erinnern. Dieses Ereignis wurde von einem großen Presserummel begleitet und so mancher Politiker sonnte sich in der Aktion. Nicht länger als ein halbes Jahr, dann zog es den Spanier wieder zurück in die Heimat. Liebeskummer und fehlende Siesta und dazu die sonstigen Rahmenbedingungen der Pflege in Deutschland führten ihn in seine Heimat zurück.

Was hat die Politik daraus gelernt. Gar nichts. Wir hatten die Kosten der Ausbildung, aber nicht den Nutzen. Was die Abwanderung von Pflegefachkräfte für die Herkunftsländer und die Menschen selbst bedeutet, verschweigt uns die Politik.

Unser Bundeswirtschaftsministerium hilft bei der Abwerbung von Pflegefachkräften aus allen Ländern der Welt. Selbst Pflegekräfte aus Ländern wie Vietnam werden beworben, obwohl gerade Vietnam selbst einen erheblichen Mangel an Fachkräften hat.

Gesundheitsminister Phillip Rösler (FDP) rief das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege aus. War da was? Hermann Gröhe wollte die Pflege stärken mit mehreren Pflegestärkungsgesetzen. Gebracht hat das den Pflegekräften den berühmten Tropfen auf den heißen Stein.

Für die zu pflegenden Menschen gibt es nun erstmals neben einer körperlich begründeten Pflegebedürftigkeit auch Leistungen, wenn die Bedürftigkeit kognitiv oder psychisch bedingt ist, wie z.B. bei einer Demenz. Dafür mehr Fachkräfte in den Heimen? Fehlanzeige!! Auch der Minister Herrmann Gröhe hat es versäumt für den Pflegeberuf deutliche Akzente zu setzen. Außer ein paar Kampagnen für den Pflegeberuf ist nichts passiert.

Der Pflegenotstand ist eingetroffen und die Situation wird sich weiter verschärfen. Die demografische Entwicklung ist nicht mehr zu stoppen. Da helfen uns auch nicht die eingewanderten muslimischen Migranten die ohnehin die Pflege als reine Frauensache ansehen. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt den Bedarf an Pflegekräften in den kommenden Jahren bis 2025 auf ca. 200.000.

Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Mit der Einführung der Pflegeversicherung hat der damalige Minister Norbert Blüm dafür gesorgt, dass sich private Anbieter in der Pflege etablieren konnten. Es entstand eine Konkurrenzsituation zwischen den etablierten, gemeinnützigen Trägern wie Caritas, AWO und ASB und den privaten Unternehmen, oft betrieben in Form einer GmbH oder Aktiengesellschaft.

Nochmals ganz klar: Die privaten waren ein Gewinn für unser Land, die Pflege in den Heimen hat sich verbessert. Viele alte Zöpfe wurden abgeschnitten. Es wurde aber immer mehr kommerzialisiert, ganz im Interesse der Politik und zum Leidwesen der Pflegekräfte.

Die gemeinnützigen Einrichtungen verloren an Boden – sie waren eingekesselt in Tarifverträge – die privaten Anbieter wuchsen und wurden zu einer Marktmacht. Wir stellen fest, dass die privaten Anbieter hohe Gewinne erzielen, die caritativen Einrichtung mit besseren Löhnen kommen kaum über die Runden.

Der Einzug in ein Pflegeheim ist in der Regel kein frei gewählter Wohnsitz. Gut und gerne 2 Drittel aller Pflegebedürftige werden zuhause gepflegt. Doch wie aufwendig und anstrengend die Pflege auf Dauer ist, wird oftmals von den Angehörigen unterschätzt.

Abhilfe schafft da eine Hilfe die oftmals aus osteuropäischen Ländern kommt. Man schätzt, dass bis zu 250.000 Frauen aus Osteuropa mit niedrigen Gehältern hier arbeiten. So droht einigen osteuropäischen Ländern ein ausbluten eigener Pflegekräfte.

Was tun: Endlich muss die Attraktivität der Pflegeberufe in Deutschland nachhaltig gestärkt werden. In der Altenpflege kann dies beispielsweise erreicht werden durch:

  1. deutliche Verbesserung der Löhne, der Mindestlohn in der Pflege ist nicht ausreichend. Dies gilt besonders für die teilzeitbeschäftigten und alleinerziehenden in der Pflege. Gerade diesem Personenkreis droht die Altersarmut.
  2. die Entwicklung eines für alle Pflegeheime geltenden Tarifvertrages.
  3. neue familienfreundliche Dienstzeiten und garantiert zwei freie Wochenenden im Monat.
  4. völlige Aufgabe der Heimmindestpersonalverordung.
  5. Aufwertung der Fachkraft in den Heimen, weg von Tätigkeiten die auch von Nichtfachkräften erledigt werden können.
  6. Qualifizierung der Fachkräfte und Übernahme von vertretbaren ärztlichen Leistungen auch mit Blick auf den Ärztemangel.
  7. Absenkung des wirtschaftlichen Drucks auf die bestehenden Einrichtungen.
  8. finanzielle Stärkung der Pflegeforschung
  9. keine Genehmigung mehr von Neubauten in der gewohnten Form. (Wohnfläche 14m² bedeutet Käfighaltung von Menschen)

10. Stärkung der ambulanten Dienste und Förderung von Quartierskonzepten, neue Wohnformen zulassen gefördert durch Steuermittel.

11. tatsächlich stattfindende komplette Entbürokratisierung der Pflege

Fazit im Jahr 2018 in Deutschland: Ein künftiges Leben in einem Pflegeheim bedeutet für die meisten Menschen eine Horrorvorstellung. Sicherlich sind die Heime bei uns zweifelsfrei besser als ihr Ruf.

Trotz aller Bedenken werden bei uns weiter teure Pflegeheime gebaut. Andere Länder sind da viel weiter! Bei uns ziehen sie in ein Pflegeheim ein und müssen feststellen, dass noch nicht einmal Platz ist für ihre Stereoanlage.

Dazu kommen natürlich die durch die Presse geschilderten Vorgänge, dass Menschen in den Heimen oft mangelernährt sind, mache ins Krankenhaus kommen, weil sie ausgetrocknet sind, weil dem Personal die Zeit fehlt. Menschen werden im eigenen Kot liegen gelassen, weil gerade in der Nachtschicht zu wenig Personal vorgehalten werden kann.

Welcher Mensch kommt mit einem solchen Statusverlust zurecht?

Ich wette, dass in den kommenden 4 Jahren die GroKo an der Institution Pflegeheim nicht rüttelt. Die Lobby der Pflegeheimbetreiber ist zu stark. Mit Heimen lässt sich reichlich Profit machen. Manche bringen es auf über 6% Rendite.“

Hubert Keiber, Leimersheim

Langjähriger Geschäftsführer von Pflegeeinrichtungen und Verfechter einer menschenwürdigen Pflege im Alter zuhause.

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4 Kommentare auf "Leserbrief: Unser Gesundheitsministerium: Ein nicht lernfähiges Ministerium"

  1. Kai Schnabel sagt:

    Herr Keiber, ich stimme Ihnen zu! Sie haben einen leider wahren und interessanten Leserbrief geschrieben!
    Es ist traurig, wie armselig die Versorgung der alten Menschen in unserem reichen Land ist, der Menschen, die dieses Land nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Es ist oft eine menschenunwürdige Behandlung, weil den Pflegekräften die Zeit fehlt, um sich um die einzelnen Menschen kümmern zu können…
    Alexander Jorde, der junge Pfleger, der Frau Merkel in der Wahlarena im letzten Jahr mit der bitteren Wahrheit konfrontiert hat, dieser junge Mann hat es geschafft, durch seinen besonderen und couragierten Einsatz, eine Diskussion zum Thema Pflege in Gang zu setzen. Meine Hochachtung für Herrn Jorde!!!
    8000 Pflegekräfte, die man nicht hat, bedeuten pro Einrichtung 0,5 Pflegekräfte mehr.

  2. Steuerzahler sagt:

    An Alle CDU-FDP- und Privatisierungsgläubige.
    Im November 2010 schaffte die schwarz-gelbe Koalition unter Merkel die Wehrpflicht und damit auch den Zivildienst ab. Natürlich waren die ZiWi´s keine vollwertigen Pflegekräfte. Aber sie sorgten für Entlastung des Pflegepersonals.
    Wo ist die in Sonntagsreden so vielbeschworene politische Verantwortung? Wo die „Weitsicht“ der Politiker? Jeder normal denkende wusste damals, daß sich diese Aktion nur negativ auf Gesellschaft und Bundeswehr auswirken würde. Mir ist kein Fall bekannt bei, dem der Zivildienst oder der Dienst bei der Bundeswehr einem Heranwachsenden geschadet haben könnte. Zahltag? Quittung?

  3. Steuerzahler sagt:

    Teil 2

    Schaut man sich das letzte Wahlergebnis an, muß man feststellen – Fehlanzeige! Im Gegenteil! Jetzt sind die Autobahnen dran. Bravo Deutschland. Dein Ausverkauf ist Regierungsprogramm.

  4. Kai Schnabel sagt:

    WARUM werden bei uns Pflegekräfte nicht ordentlich und gut bezahlt mit einer normalen Arbeitszeit? WARUM sind die Heime nicht mit so viel Personal ausgestattet, dass eine menschenwürdige Pflege möglich ist? WARUM muss mit alten und kranken Menschen Geld verdient werden?
    Die nordischen Länder und Holland zeigen doch dass es geht, allerdings nicht auf Basis der Gewinnmaximierung sondern steuerfinanziert.
    Der grünen Vorsitzende Robert Habeck fordert ein Bleiberecht für Flüchtlinge, die in der Pflege arbeiten. Ob wir von Flüchtlingen gepflegt werden wollen, interessiert anscheinend von den etablierten Politikern keinen…..
    Die Politiker selbst in ihren Elfenbeintürmen werden immer in First-class-Heimen ihren Lebensabend, verbringen können, bestens versorgt!!