Mittwoch, 08. Mai 2024

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck erhält „Hambacher Freiheitspreis“: Feierlicher Abschluss des dreitägigen Demokratiefests

Abgeriegelt: 3000 Weißgekleidete durften nicht aufs Schloss

30. Mai 2022 | Kategorie: Neustadt a.d. Weinstraße und Speyer, Regional

Bundespräsident a.D. Gauck trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Neustadt ein.
Quelle: nw

Neustadt. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck ist in Neustadt an der Weinstraße mit dem ersten „Hambacher Freiheitspreis 1832“ ausgezeichnet worden. Die Stadt würdigt damit Gaucks „unermüdliches Eintreten für die Werte der Demokratie“.

Oberbürgermeister Marc Weigel sagte, dass sich Gauck seit jeher in herausragender Weise für die Freiheit einsetze und mit Nachdruck für die große Errungenschaft unserer Demokratie werbe. Sein öffentliches Wirken sei dabei nicht hoch genug einzuordnen. „Für uns ist dies Ansporn, dass es im Bewusstsein der Ideen des Hambacher Festes Haltung, Stärke und Engagement braucht – heute mehr denn je“, erklärte Weigel.

Festveranstaltung auf dem Hambacher Schloss

Die Stadt hat den Freiheitspreis zum ersten Mal verliehen. Die Würdigung Gaucks fand am Sonntagabend bei einer Festveranstaltung im Hambacher Schloss statt. Sie markierte den Höhepunkt und zugleich den Abschluss des ebenfalls erstmals veranstalteten dreitägigen Neustadter Demokratiefests 1832, an dem tausende Bürger teilnahmen.

Gauck bedankte sich für die besondere Auszeichnung und sagte: „Das Hambacher Fest dient uns nicht nur als historische Erinnerung, sondern macht uns bewusst, dass wir uns heute mehr denn je für diese Werte stark machen müssen. Auch heute brauchen wir Mut, Haltung und Engagement. Mehr denn je ist unsere Gesellschaft herausgefordert, die Demokratie gegen ihre Feinde zu schützen – im Inneren wie im Äußeren. Wird uns doch zurzeit schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.“

190. Jahrestag des Hambacher Schlosses

Hintergrund des Demokratiefests samt Preisverleihung ist der 190. Jahrestag des Hambacher Fests, bei dem am 27. Mai 1832 etwa 30.000 Menschen die Einheit Deutschlands, ein konföderiertes Europa, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Gleichberechtigung der Frauen forderten. Außerdem wurde erstmals bei einer Großveranstaltung die schwarz-rot-goldene Fahne gehisst.

Wegen dieser Ereignisse wird das Hambacher Schloss als „Wiege der deutschen Demokratie“ sowie der europäischen Einigung bezeichnet.
In Neustadt an der Weinstraße sollen bis zum 200. Jubiläum des Hambacher Festes im Jahr 2032 weitere Demokratiefeste mit Preisverleihungen stattfinden. Seit 2020 positioniert sich Neustadt als „Demokratiestadt“.

Erstmals Verleihung „Freiheitspreis“ und „Johann-Philipp-Abresch-Preis“

Neben dem „Hambacher Freiheitspreis“ an Joachim Gauck hat die Stadt bei dem Festakt im Hambacher Schloss mit rund 170 geladenen Gästen zudem erstmals den lokalen, mit 2.500 Euro dotierten „Johann-Philipp-Abresch-Preis“ verliehen. Er ging an die Neustadter Schubert-Schule. Oberbürgermeister Weigel überreichte den Preis an Schulleiter Tammo Scherr. Die Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen leiste mit ihren Demokratieprojekten einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Demokratieförderung und Demokratieerziehung. „Das außerordentliche Engagement im Hinblick auf die politische Jugendbildung an dieser Schule und die engen Kooperation mit dem Schloss, der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt sowie der städtischen Jugendabteilung verdienen eine entsprechende Würdigung“, heißt es in der Begründung.

Jährliche Großveranstaltung für Schulgemeinschaft geplant

Nach Angaben von Schulleiter Scherr soll das Preisgeld für zukünftige Projekte verwendet werden. Scherr: „Wir planen eine jährliche demokratische Großveranstaltung für die gesamte Schulgemeinschaft, beispielsweise eine Exkursion in eine Gedenkstätte, Zeitzeugen-Projekte oder auch eine Fahrt für die alle 9. Klassen nach Berlin. Ideen haben wir genug. Wir freuen uns sehr über die Würdigung der Demokratieerziehung an der Schubert-Schule“.

Gauck sagte beim Festakt spontan zu, die Reisekosten nach Berlin zu übernehmen.

Benannt ist der Preis nach dem Neustadter Kaufmann Johann Philipp Abresch, der beim Hambacher Fest 1832 die schwarz-rot-goldene Fahne trug, die dann zum deutschen Nationalsymbol für Einheit, Freiheit und Demokratie wurde. Gestiftet wurden beide Preise von der Sparkasse Rhein-Haardt. Die Preisträger wurden von einer Jury ausgewählt, der unter anderem der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Hambacher Schloss, Rheinpfalz-Chefredakteur Michael Garthe sowie Dorothee Wüst, Präsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, angehörte.

Feierlicher Abschluss am Sonntagabend auf dem Hambacher Schloss: Der Demokratiepreis wird verliehen.
Quelle: nw

Lewentz: Freiheitliche Demokratie stärken

Der Stiftungsvorsitzende und Hausherr des Hambacher Schlosses, Innenminister Lewentz, sagte in seiner Begrüßungsrede: „Mit den heute verliehenen Preisen wird herausragendes Engagement für und in unserer Demokratie gewürdigt. Dafür könnte ich mir keinen besseren Ort als das Hambacher Schloss vorstellen. Hier traten 1832 mutige Männer und Frauen für Demokratie und Freiheit, für die Einheit Deutschlands und ein solidarisches Europa ein. Heute und künftig werden hier Personen ausgezeichnet, die auf ganz unterschiedliche Weise das Ziel eint, unsere freiheitliche Demokratie zu stärken und sie durch ein verantwortungsbewusstes, solidarisches Handeln mit Leben zu füllen. Mein herzlicher Dank gilt den heutigen Preisträgern, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck sowie der Neustadter Schubert-Schule, für ihr vorbildliches Engagement.“

Wüst hält Laudatio

Die Laudatio auf Joachim Gauck hielt Dorothee Wüst, Präsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz. „Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich, sondern erfordern Aufmerksamkeit, Engagement und Haltung. Der Preisträger Joachim Gauck hat durch seine Persönlichkeit, seine Überzeugungen, seine klaren Worte zur rechten Zeit über Jahrzehnte Grundwerte der Demokratie hochgehalten und dadurch Gesellschaft geprägt. Das ist aller Ehre wert.“

Der 82-Jährige Joachim Gauck war evangelischer Pfarrer und Bürgerrechtler in der DDR, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, von 2012 bis 2017 der elfte Präsident der Bundesrepublik Deutschland und ist heute unter anderem Ehrenvorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“.

Umrahmt wurde die Preisverleihung mit Musik vom Neustadter Mandelring-Quartett sowie vom Stephan Flesch Duo (Kaiserslautern). Poetry Slam steuerte Nikita Gorbunov (Stuttgart) bei. Zu sehen ist der gesamte Festakt ab sofort auf der YouTube Seite der Stadt unter: https://youtu.be/dSj6BhMdg_Q

Fest 1832: Mitmachangebote an Originalorten

Der OB von Wernigerode, Peter Gaffert (rechts) und Kurt Beck bei der Eröffnung auf dem Marktplatz.
Foto: Pfalz-Express

Mit der Veranstaltung ging das von der Stadt und der Stiftung Hambacher Schloss organisierte dreitägige Fest der Demokratie unter dem Motto „Mut zur Freiheit“ zu Ende. Zahlreiche Mitmachangeboten, Wort- und Kunstbeiträgen begeisterten die vielen Tausend Gäste. Das große Familienprogramm fand an den Originalorten des Hambacher Festes von 1832 statt: auf dem Marktplatz, auf dem Weg zum Schlossberg und auf dem Hambacher Schloss selbst.

Offiziell eröffnet wurde das Fest am Samstagmittag, 28. Mai, auf dem Marktplatz unter anderem mit Kurt Beck (Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz a.D.), Staatsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Katharina Binz sowie Peter Gaffert, Oberbürgermeister der Partnerstadt Wernigerode. Bereits am Freitag, 27. Mai, wurde ein riesiges Wandbild, ein sogenanntes Mural, zum Thema Demokratie und Freiheit in der Karl-Helfferich-Straße enthüllt. Entworfen und umgesetzt hat es der Mannheimer Graffiti- und Airbrush-Künstler Rick Riojas.

Künstler beim Fest

Zu den beim Fest auftretenden Künstlern gehörten der Kabarettist Abdelkarim, Jazz-Sängerin Nicole Metzger und die Rock- und Popband „Bombshells“. An öffentlichen politischen Diskussionen beteiligte sich unter anderem die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Auf dem „Freiheitsweg“ wurde eine knapp sechs Kilometer lange Stationen-Wanderung zwischen Marktplatz und Hambacher Schloss angeboten.

3000 wollten aufs Schloss – Weißgekleidete waren unerwünscht

Am Samstag, 28. Mai, nutzten auch insgesamt rund 3000 Personen in weißer Kleidung verschiedenste Wege Richtung Schloss. Die Polizei setzte ein schon vorbereitetes Einsatzkonzept um. Damit habe man „einen überwiegend störungsfreien Verlauf des Demokratiefests gewährleistet“, so die Polizei. Das Programm auf dem Schloss sei jedoch am Samstagnachmittag von „Störern stark beeinträchtigt“ worden, erklären die Veranstalter in einem Pressestatement.

Der Zugang zum Schloss wurde vorübergehend geschlossen. „Alleine durch das Tragen uniformer Kleidung und einer gewollten Spaltung der Festteilnehmer hat das Verhalten dem einigenden, weltoffenen und bunten Charakter des Demokratiefestes widersprochen“, meint Oberbürgermeister  Weigel. „Schön, dass rund 5000 Menschen dennoch friedlich in der Innenstadt feiern konnten.“

Ulrike Dittrich, Geschäftsführerin der Stiftung Hambacher Schloss, zieht hinsichtlich des Programms folgendes Fest-Fazit: „Wir sind froh und dankbar, dass wir auf dem Schlossberg dank vielfältiger Unterstützung ein buntes Programm für alle Altersklassen und Interessen anbieten konnten – vom Kindertheater über politisches Kabarett und Podiumsdiskussionen bis hin zu zahlreichen Mitmachstationen. Insbesondere am Sonntag herrschte eine entspannte, offene und familienfreundliche Atmosphäre“.

Am Samstag sei die Veranstaltung „jedoch intensiv durch eine Ansammlung von Querdenkern und Verschwörungstheoretikern“ gestört worden.


Foto: Pfalz-Express

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