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„Rechts von Kandel – Antifaschismus und die rechten Strippenzieher“ – Voller Saal bei „WIR sind Kandel“-Veranstaltung

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Viele Zuhörer kamen zum Vortrag von Christian Ratz und John Brambach.
Fotos: Pfalz-Express

Kandel – „Ich bin nicht rechts, ich bin kein Nazi, aber mich stört Vieles“ – diese Aussage fällt in der ein oder anderen Form häufig, wenn es um die Asylpolitik der Bundesregierung geht.

Auch der Pfalz-Express hörte dieses Statement immer wieder bei einer Umfrage in der Kandeler Hauptstraße [2] im April diesen Jahres. Manche wollen etwas dagegen tun und gehen demonstrieren. Die Demos ziehen jedoch auch zahlreiche Vertreter des rechtsextremen Spektrums an.

Seit dem Tötungsdelikt an Mia V. [3] im Dezember 2017, mutmaßlich begangen von einem afghanischen, polizeibekannten Asylbewerber, ziehen regelmäßig Demonstrationen durch die kleine Stadt, die „Grenzen dicht“, „Widerstand“ oder „Merkel muss weg“ fordern.

Bislang sind die Hauptorganisatoren der Demonstrationen das AfD-basierte Bündnis „Kandel ist überall“ um die baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum und das „Frauenbündnis Kandel“ um Marco Kurz.

Gemeinsam hatten die beiden Gruppen am 3. März [4] knapp 4.000 Demonstranten motivieren können. Seit einiger Zeit agieren „Kandel ist überall“ und „Frauenbündnis Kandel“ getrennt. Die Zahl der Teilnehmer hat mittlerweile abgenommen.

Gegendemonstrationen und Bündnisse für Toleranz und eine offene Gesellschaft bildeten sich gleich zu Beginn der rechtsgerichteten Demos – in Kandel beispielsweise „WIR sind Kandel [5]“ (WsK), das von der Stadt unterstützt [6] wird, oder „Kandel gegen Rechts“. Auch das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz [7]“ beteiligt sich regelmäßig.

Unkenntnis über rechtsextremen „Beifang“

Viele Bürger, die an den rechten Demonstrationen teilnehmen, wüssten nicht, wer da in Wahrheit alles mitlaufe, sagen die Fotojournalisten Christian Ratz und John Brambach (beide aus dem Rhein-Neckar-Raum), die von WsK zu einem Vortrag mit dem Thema  „Rechts von Kandel – Antifaschismus und die rechten Strippenzieher“ eingeladen worden waren.

Sie sind Kenner der rechten Szene und haben alle Kundgebungen in Kandel fotografisch dokumentiert. Gezeigt wurde auch ein Video von Ausschreitungen [8] beim „Kandel ist überall“-Marsch am 3. März in der Rheinstraße.

Mit einem Fotovortrag stellten sie das „Who is Who“ der Szene im Kultursaal der Stadthalle vor über 100 Zuhörern vor.

„Identitäre, Berserker, III. Weg und NPD“

Die beiden Journalisten hatten in Kandel beispielsweise Mitglieder der „Identitären Bewegung“ (IB) dokumentiert, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Das Symbol der Bewegung ist der gelbe griechische Buchstabe Lambda (Λ = L) auf schwarzem Grund. Schlagworte sind „Fortress Europe“, „Defend Europe“, „Macht die Grenzen dicht“ oder „Remigration“. Die Ideologie: Widerstand gegen den „großen Bevökerungsaustausch“ in Europa, der von einer „Sozial-Asyl-Migranten-Lobby“ voran getrieben werde.

Auch in Kandel unterwegs: Die Hammerskins/LUNARA: „Ludwigshafener Nationalisten und Rassisten“, so Ratz und Brambach. „Hooligans aus dem Rhein-Pfalz-Kreis, von Sicherheitsbehörden als terroristische Vereinigung eingestuft.“

Die Organisation der Hammerskins steht der White-Power-Bewegung in den USA nahe – wo sie auch entstand –  und legt großen Wert auf die „Reinheit der Rasse“.

NPD-Vertreter sind ebenfalls regelmäßig bei den Kandeler Demos dabei: Ricarda Riefling vom NPD-Bundesvorstand und dem „Ring nationaler Frauen“, Markus Walter, NPD-Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz, Dominik Stürmer, stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Baden-Württemberg, Jaqueline Süßdorf von der NPD Saarbrücken und dem „Bündnis Saar“ oder Reiner Berberich von NPD Rhein-Neckar wurden – nicht nur – von Ratz und Brambach mit der Linse festgehalten.

Weiter ging es beispielsweise mit Edgar Baumeister von der „Ein Prozent“-Bewegung Rhein-Neckar (Ein Prozent für unser Land) (auch Ein Prozent), Sascha Wagner, Rechtsrock-Veranstalter und NPD-Aktivist, den „Freien Nationalisten Kraichgau (bis 2015), die in der Partei „Die Rechte“ organisiert sind, Sascha Palosy von den „Berserkern Pforzheim“, die im Zusammenhang mit „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) aufgefallen sind, Klaus Armstroff, Parteivorsitzender „Der III. Weg“ (eine neonazistische Kleinpartei) und Ex-NPD-Funktionär,  oder René Schrade, „Blood and Honour“ (Blut und Ehre) und NPD Esslingen.

Es folgten Alexander Flätgen (Skinheads Deutschland), der im April ein Konzert der rechten Band „Kategorie C“ mitorganisiert und laut Ratz und Brambach beim Angriff auf den Linken-Politiker Özcetin [9] beteiligt gewesen sein soll, Jan Jaeschke, Kreisvorsitzender des NPD-Kreisverbands Rhein-Neckar und Beisitzer im Landesvorstand Baden-Württemberg, Günter Deckert, ehemaliger Gymnasiallehrer und Holocaust-Leugner, der mehrfach unter anderem wegen Volksverhetzung in Haft saß, und Reichsbürger [10] (erkennen die BRD nicht an) und New World Order-Leute (Verschwörungstheoretiker) – die Liste setzte sich noch eine Weile fort.

AfD-Politiker dabei

Die beiden Referenten führten weiter aus, dass sich auch viele AfD-Politiker an den Demonstrationen beteiligt hätten, allen voran natürlich Christina Baum, AfD-Abgeordnete im baden-württembergischen Landtag, Christiane Christen von der AfD Speyer, bei der es Verflechtungen gebe mit der Werbeagentur „Vitamin C GmbH“, „Kandel ist überall“ und mit „Bürgerwille e.V. –Verein für Verfassungstreue“.

Auch die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Hoechst aus Speyer sei bei „Kandel ist überall“ an vorderster Front mitgelaufenen.

Myriam Kern, ehemalige AfD-Stadträtin aus Landau, die sich selbst „Die Stimme von Kandel“ nennt, gehörte mit zu den Bannerträgerinnen in der ersten Reihe und hat mehrmals alleine oder in Begleitung vor der Kandeler Verwaltung protestiert.

Auch Andreas Kalbitz (AfD-Landtagsabgeordneter in Brandenburg), Guido Reil, AfD-Politiker aus NRW, oder Torsten Frank, AfD-Mitglied aus dem Westerwald, waren bei den Kundgebungen in Kandel – Frank sogar mehrfach als Anmelder der Demos von „Kandel ist überall.“ Die Forderung eines „gesunden Rassismus“ führte 2015 zu einem Parteiausschlussverfahren, das jedoch scheiterte.

Die (AfD)-„Politiker“-Liste der beiden Journalisten war wie die „Rechtsextemen“-Liste noch deutlich länger.

„Antifa oft verkannt“

Aufräumen wollten Ratz und Brambach mit Missverständnissen und Vorurteilen über „die Antifa“.

Ab den 1920er Jahren würde der Bgeriff „Faschismus“ für alle extrem nationalistischen, nach dem Führerprinzip organisierten Bewegungen, Ideologien oder Herrschaftssysteme verwendet, die seit dem Ersten Weltkrieg die parlamentarischen Demokratien abzulösen suchten, so die Referenten in ihrem Vortrag.

Antifaschismus hingegen bezeichne alle sozialen Bewegungen und Ideologien, die sich gegen jede Erscheinungsform von Faschismus wendeten.

„Antifa“ sei ein Akronym für Antifaschistische Aktion, die besonders beim „Relativieren, Rechtfertigen oder Verharmlosen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen“ zum Tragen käme.

Appell an soziales Umfeld: „Beteiligt euch, Kandel“

In der nachfolgenden Fragerunde und Diskussion ging es in der Hauptsache darum, wie man in Kandel Marco Kurz und sein „Frauenbündnis Kandel“ loswerden könnte. Kurz hat bis Ende 2019 jeweils am ersten Samstag im Monat Versammlungen in Kandel angemeldet.

Einige Bürger appellierten, Freunde, Nachbarn, Familie, Vereinskameraden, Arbeitskollegen – schlichtweg das gesamte soziale Umfeld – zu mobilisieren.

Jutta Wegmann, Mitinitiatorin von „WIR sind Kandel“ rief dazu auf, zahlreich am Tag der offenen Gesellschaft am 16. Juni teilzunehmen. Gemeinsam mit der Bürgergemeinschaft Kandel lädt WsK an diesem Tag zum offenen Picknick ein: Jeder bringt etwas zu Essen mit und teilt es mit anderen. An der gemeinsamen Tafel sollen sich neue Kontakte und interessante Gespräche ergeben.

Marco Kurz hat an diesem Tag eine „Zwischendemo“ um 12 Uhr auf dem Marktplatz angemeldet. Auch einen „Spaziergang“ soll es wieder geben. Das sei doch ein guter Grund für die Kandeler Bürger, am Tag der offenen Gesellschaft teilzunehmen, sagte Jutta Wegmann.

Zu Beginn des Vortrags im Kultursaal waren Ratz und Brambach ´kurz auf Kurz´eingegangen und berichteten von seinem fehlgeschlagenen Versuch, mit dem „Marsch 2017“ die „Regierung zu stürzen“, von einer Briefkastenadresse und einer Straße, die Kurz als Wohnanschrift angegeben habe. Die Straße existiere, aber die Hausnummer gebe es nicht, so die Referenten.

Die Zahl der Rechtsextremen, die auf der Straße aktiv seien, schätzen Ratz und Brambach auf die Frage eines Zuhörers hin auf etwa 10.000.

Einige müssen draußen bleiben

Von der Veranstaltung ausgeschlossen wurden einige Besucher, die an den „Kandel ist überall“- und „Frauenbündnis Kandel“-Demos teilgenommen hatten.

Die Veranstalter hatten von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht und mit einem Schild am Eingang darauf hingewiesen, dass „Personen, die rechtsextremen- oder rechtspopulistischen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.“

Das verärgerte die Ausgeschlossenen, die den Veranstaltern antidemokratisches Verhalten vorwarfen. Man habe nur zuhören und auch einmal in Ruhe die „andere Seite“ hören wollen, schrieb ein Mann, der draußen bleiben musste, dem Pfalz-Express.

Im Saal war man der Meinung, die Personengruppe habe die Veranstaltung sprengen wollen.

Zum Abschluss gab es „Pfälzer Währung“ (Wein) als Dank an die beiden Journalisten und für die Besucher Briefkastenaufkleber zur Abwehr von Flyern von Kurz, Baum und Co. (cli) 

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Briefkastenaufkleber

 

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…und ein Abschiedsgeschenk.

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