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Martin Brandl im Gespräch mit dem Pfalz-Express: Vom Kita-Zukunftsgesetz über Digitalisierung bis zum „Kümmerer“

Martin Brandl vor seiner Geschäftsstelle in Rülzheim.
Foto: Pfalz-Express

Kreis Germersheim – Der Kreis Germersheim hat das höchste Wirtschaftswachstum in den letzten 15 Jahren in Rheinland-Pfalz. Das sagte der CDU-Landtagsabgeordnete Martin Brandl im Gespräch mit dem Pfalz-Express.

Es sei wichtig, auch einmal die positiven Dinge zu betrachten, meint Brandl. Der Kreis habe sich prächtig entwickelt und sei attraktiv für Arbeitnehmer aus der Region und aus ganz Deutschland.

Gesellschaft wandelt sich

Daraus folge aber auch: „Wir müssen die Kita-Pätze deutlich ausbauen, Schüler müssen versorgt werden. Das alles haben die Kommunen zu stemmen“. Durch die hohe Gewerbe- und Wohnentwicklung sei ein „sehr hoher Landverbauch“ zu verzeichnen, sagt Brandl. Das alles müsse man zu steuern versuchen. „Ein organisches Wachstum – nicht riesengroße Gewerbegebiete ausweisen, sondern mit Maß und Ziel vorgehen. Zum einen aus Rücksicht auf die Natur, zum anderen wegen der gesellschaftlichen Entwicklung.“

Und die Gesellschaft verändere sich rasant, so Brandl. Etwa sechs Prozent der Bevölkerung zieht weg, aber 7 bis 8 Prozent ziehen zu. „0,7 Prozent Wachstum – das ist ziemlich massiv. Über 5 Jahre verlieren wir ein Viertel, gewinnen aber etwas mehr – es ist eine große gesellschaftliche Umwälzung. Die neu Zugezogenen sollen ja schließlich auch integriert werden.“

Damit meint Brandl nicht etwa Flüchtlinge – es geht um das Leben in den Städten und Gemeinden im Kreis, in die Zugezogene sich „integrieren“, sprich in die Gemeinschaft einbringen sollen. So wie es in der Region seit Jahrzehnten viele tun, in Vereinen und Organisationen. Manche arbeiteten außerhalb, kämen nur zum schlafen nach Hause, die zunehmende Mobilität habe eben ihre Auswirkungen. „Wenn die Fluktuation so weitergeht und man das weiterspinnt, ist es ein spannender Gedanke, wie unsere Kommunen in zehn Jahre aussehen“, überlegt Brandl.

Ehrenamt stärken – Kümmerer soll helfen

Deshalb sei es der CDU so wichtig, das Ehrenamt zu fördern. Für den Kreis will man eine halbe Stelle für einen „Kümmerer“ installieren, wie es in der Verbandsgemeinde Rülzheim bereits der Fall ist. Der Kümmerer soll Vereine unterstützen, die Schnittstelle sein zwischen Vereinen und Verwaltungen. „Gerade wenn Verordnungen unverständlich sind oder man Kenntnisse braucht, wie Regularien auszulegen sind, ist ein Kümmerer eine große Hilfe.“

Die Gesellschaft wandele sich, so Brandl: „Alte Strukturen – die Frau bleibt zuhause, der Mann geht arbeiten – gibt es nicht mehr. Nicht jeder hat immer Zeit. Vieles in Vereinen läuft projektbezogen – Chöre sind zum Beispiel `in`. Dafür müssen wir uns öffnen, eine Plattform sein für verschiedene Arten von Engagement. Der Schlüssel in der Zukunft wird sein: Netzwerke knüpfen. Alte Vereinsstrukturen werden sich massiv verändern.“

Ein Herz für die Umwelt

Beim Thema „Natur und Umwelt“ hat sich Brandl zusammen mit seiner SÜW-Kollegin Christine Schneider massiv dahinter geklemmt.

Die Initiative „Südpfalz-Biotope [1]“ ist eines der Ergebnisse. Hinter dem Begriff steht eine durchaus logische Überlegung. In der Südpfalz haben zwar viele Landwirte Blühstreifen entlang ihrer Feldern angelegt, rund um die meisten Gemeinden gibt es Streuobstwiesen. Das ist wichtig für Bienen und andere Insekten. „Wenn es aber bei den Blühstreifen keine Hohlwege gibt, in denen Bienen nisten können, macht das nur bedingt Sinn“, so Brandl. (An den Flanken der Hohlwege siedeln sich Stauden und Gehölze an, die Kleintieren und Insekten als Unterschlupf und Nahrung dienen, Anm.d.Red.).

„Es existieren auch keine zentrale Steuerung, wann beispielsweise Wiesen gemäht werden – oft passiert das alles zur selben Zeit, das Nahrungsangebot für Insekten und Kleintiere ist plötzlich weg. Zu anderen Zeiten wiederum gibt es ein Überangebot.“

Deshalb sollen nach Brandls Vorstellung die beteiligten Naturschutzstiftungen eng mit den Kreisverwaltungen kooperieren, um alle Aktionen gut zu vernetzen.

Zum Thema Südpfalz-Biotope hat am Freitagabend eine Veranstaltung in Bornheim mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner stattgefunden. Ein Bericht dazu folgt.

Gut leben im Alter

Der demografische Wandel ist ein weiteres großes Thema. „´Gut leben im Alter´ haben wir als einer der ersten Kreise mit angestoßen. Es hat sich viel getan –  noch vor neun Jahren standen die Sozialstationen vor grundsätzlichen Finanzierungsproblemen. Natürlich ist die Situation alles andere als rosig“, räumt Brandl ein. „Arbeitsbedingungen und Bezahlungen müssen verbessert werden. Aber wir haben kreisweit die Strukturen geschaffen, um wohnortnahe Pflege oder Pflege zuhause anbieten zu können. Es ist eine Stärke des ländlichen Raums, dass die Leute zuhause bleiben können.“

Harald Nier, ehemaliger Leiter der Pflegestrukturplanung [2] im Kreis, habe viele Netzwerke aufgebaut, so Brandl.

Digitalisierung: Alle sollen lernen, wie sie funktioniert

Die Digitalisierung soll im Kreis besser verständlich gemacht werden. Die „Digitale Lernfabrik“, eine kleine Fabrik, in der man in praktischer Anwendung ausprobieren und lernen kann, wie digitales Arbeiten funktioniert, soll an der Berufsbildenden Schule (BBS) in Wörth eingerichtet werden. In Baden-Wüttemberg gibt es schon 15 solcher digitalen Lernfabriken, ein Modellprojekt in Karlsruhe dient als Vorbild.

Ob Auszubildende, Mittelstand oder generell Interessierte  – jeder soll sich dort fit machen können. Die CDU im Kreis Germersheim sei der erste Kreisverband in Rheinland-Pfalz, der das Thema überhaupt aufgreife, sagte Brandl, der dererlei Initiativen bei der Landesregierung vermisst.

„Es ist de facto eine Minifabrik. Ein Produktionsablauf wird aufgebaut und so konstruiert, wie Industrie 4.0 funktioniert. Mit verschiedenen Modulen (Arbeitsabschnitten), alles kann separat programmiert und installiert werden. So sieht man, wie Produktionsabläufe der Zukunft funktionieren.“ Es gehe darum, ein gewisses Grundverständnis zu erlernen, die Systematik zu verstehen. „Es ist ein sehr praxisnahes Lernen.“

Allerdings muss die Landesregierung das Projekt noch genehmigen. „Wir erhoffen uns einen Ausstrahlungseffekt in die ganze Region, um die Digitalisierung in der Ausbildung zu verankern. Auch BWLler, Industriekaufleute, die Volkshochschulen, Weiterbildungsinstitutionen und die ganze Allgemeinheit kann lernen, wie in Zukunft gearbeitet wird.“

Von Seiten des Bundes gibt es ein Förderprogramm, um den Digitalpakt umzusetzen. Das Land Rheinland-Pfalz soll davon in den nächsten vier Jahren mit rund 240 Millionen Euro profitieren. Das Geld könne beispielsweise für  die W-LAN-Ausstattung an Schulen, für Tablets oder die Breitbandanbindung eingesetzt werden. „Da muss das Land seine Hausaufgaben machen. Wir als Kreis, als Schulträger, sind bereit, diesbezüglich mehr Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren.“

Zweimal im Jahr will Brandl übrigens sein schon einmal durchgeführtes „Digitalisierungsforum“ dauerhaft etablieren. „Wir brauchen definitiv mehr Weiterbildung. “

Kita-Zukunftsgesetz „unausgereift“

Mit dem neuen Kita-Zukunftsgesetz [3] der Landesregierung ist Brandl nicht einverstanden. „Ich verstehe den Unmut. Das Gesetz ist völlig unausgereift. Es schreibt einen Rechtsanspruch auf sieben Stunden Betreuungszeit fest, regelt aber nicht dessen Folgen.“

Ungeklärt blieben die Rahmenbedingungen. Man brauche mehr Personal, mehr Ausstattung, mehr Vorbereitungszeit, auch Freistellungszeit für die Kindergartenleitung für Elterngespräche und Verwaltungsarbeiten. „Wenn doppelt so viele Kinder zu betreuen sind, brauchen wir doppelt so viel Essen, doppelt so viele Schlafstätten, etc. Es gibt keinerlei Erwähnung in diesem Gesetz, wie das alles finanziert und umgesetzt werden soll. Manchmal hat man auch räumliche Einschränkung – nicht jede Kita kann baulich erweitert werden.“

Das Gesetz sei nicht wirklich durchdacht und braucht nach Brandls Meinung „erhebliche Nachbesserungen“. Es müsse den Anforderungen der Realität angepasst werden und dürfe so nicht verabschiedet werden. In der jetzigen Form gehe es mehr um Aufbewahrung, weniger um Weiterbildung und gute Betreuung.

Brandl plädiert zudem für mehr Standards wie verbindliche Elterngespräche. Bislang gebe es lediglich Empfehlungen.

Sprachförderstunden unlogisch zugeteilt

Was die Grundschulen betrifft, kann Brandl die Zuteilung der Förderstunden zum Spracherwerb bei Migrationskindern nicht nachvollziehen. In Wörth würden drei mal mehr Förderstunden zugeteilt als in Germersheim, obwohl in der Kreisstadt der Anteil der Kinder von Migranten deutlich höher sei.

Die Zuteilung müsse bedarfsgerecht erfolgen. „Wenn 20 Prozent der Kinder die Schule auf einem Kompetenzivieau 1 (von 5) verlässt, muss man etwas tun. Es liegt schriftlich vor, wie viele Migrationskinder welche Schulen besuchen. Die Kinder brauchen die Sprachförderung, also muss das Land die Schulstunden auch dementsprechend zuweisen.“

Moschee in Germersheim

Wie positioniert die CDU im Kreis zum nächsten Anlauf des Türkisch Islamischen Kulturverein Ditib zum Moscheebau [4]? In diesem Punk habe sich nicht viel geändert, sagt Brandl. Ditib müsse sich von Ankara in aller Deutlichkeit abgrenzen, nachweisen, dass sie nicht von vom türkischen Staat abhängig sei. Imame müssten in Deutschland ausgebildet werden und deutsch sprechen. Die Kreis-CDU hatte bereits im August 2016 ihre Forderungen [5] formuliert.

Das sei aber nur die politische Seite, so Brandl. „Die andere ist eine rein rechtliche.“ (Baurecht gilt für jedermann, Anm.d.Red.)

Die Landesregierung habe in ihrem Gutachten zum muslimischen Religionsunterricht aber bereits festgestellt, dass die Staatsferne von Ditib nicht gegeben sei. „Wir bleiben bei dem, was wir damals gefordert haben.“ (cli) 

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