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Staatssekretär Krings in Kandel: Extremismus-Bekämpfung Aufgabe für die ganze Gesellschaft

Voller Kultursaal in der Stadthalle.
Fotos und Video: Pfalz-Express/Licht
Fotostrecke und Video am Textende

Kandel – Großen Zulauf fand am Dienstagabend ein Vortrag mit anschließender Diskussion zum Thema „Extremismus“ mit dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Prof. Dr. Günter Krings.

Die Kandeler CDU hatte den Politiker und Extremismus-Experten eingeladen, um die Demonstrationen in Kandel und die „Diskussionen um Extremismus und Radikalismus rechter und linker Lager“ zu thematisieren.

Der Vorsitzende der CDU Kandel, Michael Niedermeier, moderierte die Veranstaltung und sagte eingangs, es sei zutiefst verabscheuungswürdig, wenn Rechtsextreme behaupteten, für die Demokratie einstehen zu wollen.

Gebhart: Radikalen Parolen entschieden entgegen treten

Der südpfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Thomas Gebhart betonte das Mitgefühl aller für die getötete Mia [1] und ihre Familie. Die Rechten jedoch posaunten ihre Propaganda hinaus und instrumentalisierten die schreckliche Tat: „Die Geschichte hat gezeigt, wohin Hass, radikale Parolen und Fremdenfeindlichkeit führen. Wir müssen sowohl rechts- als auch linksradikalen Parolen entschieden entgegen treten und eine klare Absage erteilen. Wir wünschen uns wie so oft, dass Kandel wieder zur Ruhe kommen möge.“

V.li.: Michael Niedermeier, Günter Krings, Thomas Gebhart.

Krings: Extremismus-Bekämpfung Aufgabe für die ganze Gesellschaft

Auch Krings sprach sein Mitgefühl aus. Schwer wiege, dass die Tat von einem Schutzsuchenden begangen worden sei, der die Hilfsbereitschaft hierzulande auf schlimmste Weise missbraucht habe. Dennoch würden Rechte das Verbrechen instrumentalisieren und „niedere politische Instinkte“ befriedigen.

Bei den 19 Gegenkundgebungen in Kandel gegen das „Frauenbündnis Kandel“ indes hätten viele Personen aus der bürgerlichen Mitte, aber auch des linksextremistischen Spektrums teilgenommen, so Krings. „Die Antwort ist die Stärkung der demokratischen Mitte und Gesellschaft.“

Die Bekämpfung des Extremismus sei Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Aber auch der Staat mit seinen Sicherheitsbehörden solle „klare Kante“ zeigen „und wirklich demokratische Kräfte müssen sich von extremistischen Kräfte distanzieren.“

„Verfassungsschutz darf nicht zurechtgestutzt werden“

Krings sprach sich für eine Stärkung des Verfassungsschutzes aus. Darin sei er sich mit Thomas Gebhart einig. Allerdings gebe es in Berlin nicht allzu viele Freunde zur Förderung eines starken Verfassungsschutzes. Dabei sei die Behörde ein wichtiges Instrument im Bund und in den Ländern.

„Wir müssen früher ansetzen mit einem Frühwarnsystem“, sagte Krings. Gerade mit Blick auf den islamistischen Terror sei es nötiger denn je, vorab Kenntnisse zu sammeln. „Sonst kann man bei willkürlicher und wahlloser Gewalt nicht Millionen Bundesbürger schützen.“ Eine hundertprozentige Sicherheit werde es zwar nie geben, aber man müsse sie erhöhen, soweit es eben möglich sei. „Der Verfassungsschutz darf nicht zurechtgestutzt werden.“

So wichtig das Datenschutzrecht auch sei: „Es will doch keiner von Extremisten in die Luft gesprengt werden. Das Fundament ist, dass wir gerne ausgehen, unser Haus ohne Angst verlassen können.“

Anhaltende Bedrohung durch Islamisten

Den Islamismus bezeichnete der Staatssekretär als eine anhaltende Bedrohung. „Besonders die Salafisten mit ihrer menschenfeindlichen Auslegung des Islams finden rasanten Zulauf.“

Gewaltbereitschaft in rechter Szene

Im Rechtsextremismus wachse das Personenpotenzial. „Es gibt viele, die sich keiner klassischen Struktur zuordnen lassen, die rechten Parteien sind rückläufig.“ In der Szene jedoch nehme die Bereitschaft Gewalt auszuüben zu. „Dort gibt es eine besonders große Waffenaffinität. Und man gibt sich häufig als Hüter der Verfassung aus.“

Auch bei den Reichsbürgern sei eine hohe Schnittmenge zum Rechtsextremismus zu verzeichnen. „Die Reichsbürger erkennen den Staat nicht an, nehmen aber seine Wohltaten gerne. Das ist schon schizophren“, sagte Krings.

Antisemitische Übergriffe hätten ebenfalls zugenommen. Die Vorfälle seien nicht nur dem rechtsradikalen Milieu zuzuordnen, sondern seit geraumer Zeit auch dem islamistischen.

„Ein Drittel der Linken ist gewaltbereit“

Bei den Linksextremisten ist laut Krings ein Drittel gewaltbereit. Die „Anschlussfähigkeit“ des linken Spektrums reiche oft bis in die Mitte der Gesellschaft, Gewalttaten würden häufig relativiert.

Scharf verurteilte Krings die Geschehnisse beim G20-Gipfel in Hamburg [2]: „230 verletzte Polizisten im Ergebnis.“ (Anm.d. Red: Die Hamburger Polizei sprach zuerst von 476 verletzten Beamten). Schwere Pflastersteine von Häusern aus auf Polizisten zu werfen sei kein Kavaliersdelikt, sondern ein Mordversuch, so Krings.

„Fackeln statt Fäkalien“

Zum Hambacher Forst, wo Protestler von Baumhäusern aus auf Polizisten urinierten, sagte Krings, der nach eignen Worten in jungen Jahren ebenfalls dort demonstriert hatte: „Wir haben mit Fackeln und nicht mit Fäkalien unseren Protest kundgetan. Jeder Protest muss auf dem Boden des Rechtsstaats bleiben.“

„Klare Grenzen ziehen“

„Menschen müssen sich distanzieren“, forderte der Staatssekratär. „Wenn neben mir ein Hitlergruß gezeigt, wird, sollte man etwas dagegen tun und nicht mehr mitdemonstrieren.“

Antifa-Gruppen sagten zwar, sie kämpften gegen Nazis, „aber sie kämpfen aber auch gegen den ´Kapitalismus´ und diesen Staat. Unter Antifa-Flaggen passiert eben Vieles. Wenn man diesen Staat beseitigen will oder Bilder und Privatadressen von Polizisten ins Netz stellt und zur Jagd aufruft, muss eine klare Grenze gezogen werden.“ Die verschiedenen Maßnahmen der Bundesregierung richteten sich gegen alle extremen Bestrebungen.

Die Sicherheitsarchitektur gehöre ebenfalls auf den Prüfstand. Mehr zwischenbehördliche Kooperation und diese auch über nationale Grenzen hinweg, hält Krings für sehr wichtig. „Wir verteidigen auch europäische Werte, das müssen wir gemeinsam tun.“ Thomas Gebhart erwähnte in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer deutsch-französischen Polizeieinheit in Bad Bergzabern [3].

Hitzige Diskussion

In der nachfolgenden Diskussion und Fragerunde ging es teils hoch her. Wie im ganzen Land, wurden auch in der Kandeler Stadthalle die Gräben sichtbar.

Ein Besucher fragte Krings mehrmals, wo denn nun das Hetzjagd [4]-Video“ aus Chemnitz, von dem Kanzlerin Angela Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert auf einer Pressekonferenz gesprochen hatten, zu finden sei. Ein Teil der Besucher stöhnte bei der Frage auf. Krings sprach von unterschiedlichen Definitionen in der Begrifflichkeit. Er habe die entsprechende Passage aus der damaligen Pressekonferenz nicht im Kopf und könne die Frage nicht beantworten, sagte er später.

Eine in Kandel wohnende Frau fragte, weshalb Hetzjagden auf AfD-Leute nicht thematisiert würden. Zu den „Frauenbündnis“-Demos sagte sie unter anderem: „Wir wollen das Leben schützen und erhalten. Wenn Sie das als rechtsradikal bezeichnen, ist das ebenfalls eine Instrumentalisierung der Politik.“

Niedermeier: „Rassistischer Quatsch“

Niedermeiers Replik dazu: „Viele – auch ich – haben mit eigenen Ohren gehört, wie vom Aussterben der weißen Rasse gesprochen wurde. Das sind rassistische und völkische Hetztiraden. Wer versucht, das `Frauenbündnis´ zu verniedlichen, dem erteile ich eine krasse Absage. Wir scheren nicht alle über einen Kamm, aber man muss nicht so tun, als wolle das Frauenbündnis eine wohlwollende Aufgabe erfüllen. Das ist rassistischer Quatsch.“ Viel Applaus bekam der Kandeler CDU-Vorsitzende dafür.

Günter Krings sagte, es gebe auch eine „Stufe darunter“: „Der Kampf gegen den Rechtsstaat fängt oft nicht erst bei Gewalt an, sondern mit Worten.“

Liste mit Rechtsextremen

Ein Journalist, der seit Beginn der Demonstrationen aus Kandel berichtet, listete kurz auf, „mit wem sich Marco Kurz (Initiator des „Frauenbündnisses Kandel“, Anm.d. Red.) zusammenschließt: Nationaler Widerstand, NPD, III. Weg, Berserker Pforzheim, Die Rechte, Saarfront – wer dann behauptet, das `Frauenbündnis´ sei nicht rechtsextrem – da kann ich nur noch lachen.“

Auch Krings bestätigte: „Das ist nahezu das komplette Who is Who des Rechtsextremismus.“

Verfassungsschutz soll sich in Kandel umschauen

Der Verfassungsschutz solle in Kandel „Augen und Ohren aufsperren“ gab eine Frau, die beim Bündnis „WIR sind Kandel“ (WsK) aktiv ist, Krings als Hausaufgabe nach Berlin mit. „Hier werden Adressen von Bürgermeistern öffentlich gemacht, demonstrativ Reden vor Häusern gehalten, in denen WsK-Mitglieder wohnen, Morddrohungen in private Briefkästen geworfen. Es muss endlich etwas passieren. `WIR sind Kandel`ist kein linkes Bündnis, sondern aus der Mitte. Wir haben die Schnauze gestrichen voll.“ Applaus im Saal.

„Bundesrepublik hat abgewirtschaftet“

Wiederum meldete sich die Unterstützerin den „Frauenbündnisses“ zu Wort und übte harsche Kritik an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der im letzten Jahr einen Konzerthinweis der umstrittenen Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ auf Facebook geteilt und somit beworben hatte. Die Band aus Mecklenburg-Vorpommern wurde über Jahre im Verfassungsschutzbericht wegen „linksextremistischer Bestrebungen“ und „Gewaltbereitschaft“ geführt. Die Bundesrepublik habe somit endgültig abgewirtschaftet, so die Kandelerin. Empörte Rufe im Saal.

Weiter merkte sie an, die SPD stecke mit der „Antifa unter einer Decke“. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) und der Vorwurf „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ fiel ebenfalls (eine Erklärung von Claudia Roth hier in der „BZ“ [5]).

„Bin ich ein Rassist?“

Ein Besucher aus Heidelberg, der sich namentlich vorstellte, konnte sich mehrfach kaum beruhigen, fühlte sich nicht zu Wort kommen gelassen. Er sei mit einer Vietnamesin verheiratet, habe vietnamesische Patenkinder, „also bin ich das, was Sie hier als Nazi bezeichnen.“ Man solle nicht alles abtun, was die Dame gesagt habe. Auch an Mia hätte doch außer dem „Frauenbündnis“ sonst niemand in Kandel mehr erinnert. „Ich bin ein konservativer Mensch und will meine Werte behalten. Bin ich jetzt also Rassist?“ „Jaaaaa“, ertönte es im Saal.

Der Staat unterstütze linken Protest, behauptete der Mann. Gewalt gehe seit 1938 von Links aus.

Das empörte Staatssekretär Krings: „1938 als Scheidemarke zwischen Links und Rechts anzusetzen ist Geschichtsklitterung. Wer hat denn später Millionen von Juden vernichtet!“

„Mehr Respekt“

Ein weiterer Kandeler Bürger hielt eine vielbeachtete Ansprache. Rechter Demo-Terror ziehe linken Demo-Terror an, sagte der Mann und forderte von den aktiven Gegenprotestlern mehr Respekt für diejenigen, die zwar den „rechten Demo-Terror beenden“, aber nicht auf die Straße gehen wollten. „Respekt gegenüber denen, die sagen, das ist nicht mein Weg. Andere Meinungen werden überhaupt nicht mehr toleriert.“ Bei der heutigen Veranstaltung habe er das erste Mal eine Möglichkeit gefunden, sich zu äußern.

Und an die Sympathisanten des „Frauenbündnisses“ gerichtet: „Warum demonstrieren Sie nicht bei sich zuhause? Warum müssen Sie uns hier terrorisieren? Ich lasse mir nicht widersprechen, dass hier ehrlich demokratisch gewählt wurde. Und ich lasse mir nicht sagen, Herr Poß ist ein Verbrecher. Wir müssen mehr miteinander reden.“

Das gehe vielleicht langsamer, aber sei ein demokratischer Prozess. „So muss die Polizei dafür sorgen, dass sich die gegnerischen Gruppen nicht die Köpfe einschlagen. Das kann es nicht sein.“ Auch er erntete viel Beifall.

Lokale Politiker sollen Ansprechpartner sein

Ein Mitglied von Kandel aktiv wünschte sich von Krings konkrete Vorschläge, „wie wir uns von dem Terror befreien können.“ Der ortsfremde Staatssekretär verwies auf die hiesigen Abgeordneten und Kommunalpolitiker.

Weitere Fragen und Antworten drehten sich um eine mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, um die internationale Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten und Europol, europaweite Datenbanken, die Definition einer demokratischen Mitte, die Rechtslage bei polizeilichen Dokumentationen oder um Kapitalismuskritik, die nicht automatisch demokratiefeindlich sei, wie ein SPD-Mitglied betonte.

„Risse in der Gesellschaft“

Nachdenkliche und versöhnliche Worte zum Abschluss fand Michael Niedermeier. „Wir haben Risse innerhalb unserer Stadt und Gemeinde. Oft werden gegenseitige Meinungen nicht mehr respektiert.“ Das ziehe sich beispielsweise hin bis in die Vereine.

Als Abteilungsleiter Handball beim TSV Kandel sei ihm Vieles aufgefallen in der letzten Zeit. „Man wird manchmal schon komisch angeschaut, wenn man eine andere Meinung vertritt. Ein guter Bürger geht auf die Straße, ein schlechter nicht? Gerade in den sozialen Medien sind viele Grenzen überschritten worden.“

Niedermeier appellierte an alle Involvierten, zu gegenseitigem Respekt und Verständnis zurückzukehren.

Saumagen für den Stastsekretär

Staatssekretär Krings wirkte irgendwie überrascht von der Emotionalität des Abends und hat sicher ausreichend „Material“ mit auf den Weg nach Berlin bekommen. Als Dankeschön gab´s Saumagen in Dosen, Wein und natürlich ein Pfälzer Shoppeglas dazu. (cli)

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