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Was ist die deutsche Leitkultur?

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Thomas de Maiziere.
Foto: Pfalz-Express

Im Mai 2017 veröffentlichte der Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Einladung zu einer Diskussion [2], die im Rahmen eines Zehn-Punkte-Katalogs die deutsche Leitkultur definierte.

Ganz im Stile Martin Luthers wurden die zehn Thesen öffentlichkeitswirksam an der metaphorischen deutschen Kirchentür – der „Bild am Sonntag“– genagelt.

Einige der angeführten Punkte sind selbsterklärend; andere hingegen wurden etwas ausführlicher definiert, um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen oder auch zugezogenen Staatsbürgern einen kurzen Überblick über die gängigen Normen und Werte für ein harmonisches Zusammenleben in der Bundesrepublik zu gewähren.

Die Richtwerte für ein Zusammenleben in Deutschland gehen weit über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus. Grade in Zeiten der Digitalisierung und der weltweiten Vernetzung rücken Werte, die im Innersten zusammenhalten und Nationen von anderen abgrenzen, immer weiter in Vergessenheit.

Wir sind ein weltoffenes Volk und multikulturell wie nur wenige andere Nationen. Doch das Fundament dieser geistlichen Ausrichtung gründet auf den Werten, die wir uns durch frühkindliche Erziehung und ein geregeltes Leben in Deutschland angeeignet haben.

Die zehn Punkte

Zu den zehn Thesen, die laut de Maizière das Zusammenleben in Deutschland prägen, gehören viele Punkte, die einem als selbstverständlich vorkommen sollten.

Dazu zählen beispielsweise soziale Gewohnheiten, wie sich zur Begrüßung die Hand geben oder das Vermummungsverbot in der Öffentlichkeit.

Ebenfalls steht Bildung voll im Fokus de Maizières Thesen. Allerdings sei diese nicht als Instrument, sondern als Wert zu betrachten. Doch an dem Begriff spalten sich die Geister – so kam oftmals die Kritik auf, Schülerinnen und Schüler würden in der Schule nicht ausreichend Berufserfahrung sammeln.

Dies entspricht laut de Maizière aber nicht dem deutschen Verständnis von Bildung, denn „Allgemeinbildung hat einen Wert für sich.“ Viel wichtiger und insbesondere motivierender ist der bewusste Leistungsgedanke. Schließlich ist „Leistung etwas […], auf das jeder Einzelne stolz sein kann, denn Leistung und Qualität bringen Wohlstand.“

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der deutschen Leitkultur ist die Geschichte. Mit all ihren Höhen und Tiefen prägt sie die Gegenwart, stets um die Wahrung der „Deutschen Einheit in Freiheit und Frieden mit den Nachbarn, aber auch einem Bekenntnis zu den tiefsten Tiefen der deutschen Geschichte“ bemüht.

Doch nicht nur in politischen, sondern auch kulturellen Aspekten ist das Land von seiner langen und vielfältigen Geschichte nachhaltig positiv beeinflusst worden. Schließlich ist „Kultur in einem weiten Sinne, unser Blick darauf und das, was wir dafür tun, ist ein großer Teil von uns Deutschen.“

Die deutsche Zivilkultur gilt als wegweisend in der Lösung von Konflikten. „Der Kompromiss ist konstitutiv für Demokratie und Land“, unterstreicht de Maizière, „Zum Minderheitenprinzip gehört eben auch der Minderheitenschutz.“

Respekt und Toleranz sind allerdings nicht nur in alltäglichen Problemen gefragt; auch spielt die Religion eine große Rolle in der Gesellschaft. Mit ihrem unermüdlichen Einsatz stehen die Kirchen für den Kitt – und nicht den Keil – der Gesellschaft.

Dabei, so betont er ausdrücklich, entstehe ein solcher Kitt „sowohl in der christlichen Kirche, in der Synagoge und in der Moschee. Denn die Grundlage für einen religiösen Frieden, wie wir ihn grade leben dürfen, ist der unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln im staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben.“

Auch dem Thema Patriotismus nimmt sich de Maizière an: „Ein aufgeklärter Patriot liebe sein Land und hasse nicht andere!“ Doch nicht nur Einigkeit und Recht und Freiheit sind selbstverständlicher Teil des deutschen Patriotismus. Als führende (Wirtschafts-)Kraft des Westens sollten wir uns der Verantwortung, aber auch des Privilegs bewusst sein, die es bedeuten, Europäer zu sein. Denn deutsche Interessen lassen sich oft am besten durch Europa vertreten – und vice versa.

Zuletzt appellierte de Maizière an das kollektive Gedächtnis für Orte und Erinnerungen. Doch es sind nicht nur nationale Symbole, wie das Brandenburger Tor, oder Jahrestage wie der Mauerfall am 9. November Teil der kollektiven Erinnerungen.

Auch der Gewinn von Fußballweltmeisterschaften [3], der Ausdruck von heimatlicher Verwurzelung durch regionale Volksfeste wie Karneval oder Schützenfeste, oder auch landsmannschaftliche Mentalitäten, die am Klang der Sprache jeder erkennt, prägen das Land.

Kulturgut Regionale Dialektik

Grade das Pfälzisch (pfälzisch: Pälzisch) ist einer der charmantesten Mundarten des gesamtdeutschen Dialektgebiets. So etablierte zum Beispiel Altkanzler Helmut Kohl [4] viele Redewendungen und Begriffe, die ihren Ursprung in der pfälzischen Dialektik haben.

Die wohl bekannteste Kohl’sche Adaption ist das Wort Bimbes. Pfälzisch für Geld war es im Rahmen der Spendenaffäre Ende der Neunzigerjahre das geflügelte Wort, welches bis heute unverkennbar mit Helmut Kohl verknüpft wird – sogar die den Spendenskandal thematisierende ARD Dokumentation [5] trägt den Begriff im Titel.

Ältere Leser erinnern sich vielleicht noch an weitere blumige Formulierungen des geborenen Oggersheimers, der zeit seines Lebens ob seines provinziellen Duktus´ verspottet wurde. Aber bei Schöpfungen wie beispielsweise dem legendären „in diesem unserem Lande“ müsste man heutzutage wohl ein Übersetzungsbüro aus Stuttgart bemühen [6], um die Sinnhaftigkeit hinter solch melodisch-regionalen Formulierungen ins Hochdeutsche zu dolmetschen.

Leitkultur als Orientierungshilfe

Generell kann Leitkultur als Übereinkunft zur Regelung des Alltagslebens bis hin zur Ausgestaltung der Rolle Deutschlands in Europa und der ganzen Welt verstanden werden. Dazu zählt selbstverständlich auch der Gebrauch der deutschen Sprache, in egal welchem Dialekt.

Denn nur wenn man weiß wer man ist, wer man sein möchte und wie man den Weg dorthin bestreiten kann, dann wird der Zusammenhalt stabil bleiben und langfristig auch Integration gelingen – denn wie wusste schon Helmut Kohl: „Wichtig ist, was hinten rauskommt.“

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