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Sicherheit in der Verbandsgemeinde Kandel: „Objektive Lage und subjektives Gefühl unterscheiden sich“

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V.li.: Wolfganz Schwarz, Volker Poß, Klaus Böhm.
Foto: Pfalz-Express

Kandel – Wie sicher lebt es sich in der Verbandsgemeinde Kandel?

Zu diesem Thema hatte die AG 60plus (Senioren in der SPD) den polizeipolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und Kriminalhauptkommisar a. D., Wolfgang Schwarz (Bürgermeister Hainfeld), und den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel, Volker Poß (SPD), als Referenten eingeladen.

Sicherheit beginne grundsätzlich in politischer Verantwortung, sagte Schwarz eingangs. Arbeit, Gesundheit und Bildung seien Grundbausteine für ein sicheres Zusammenleben. Die Frage der inneren Sicherheit spiele derzeit aber besonders in der Verbandsgemeinde Kandel eine große Rolle.

Seit dem Mord an der 15-jährigen Mia [2], mutmaßlich begangen von einem afghanischen Migranten, der als minderjähriger Flüchtling registriert war, ist das bislang ruhige Städtchen aufgewühlt.

Zu den seither regelmäßig stattfindenden Demonstrationen sagte Schwarz, dass das Versammlungsrecht eindeutig missbraucht werde, um rechtspopulistisches Gedankengut“ zu verbreiten.

Subjektiv und objektiv klaffen Lücken

Ist die Sicherheitslage denn nun wirklich gefährlicher geworden, wie die Redner und Organisatoren der migrationskritschen Kundgebungen behaupten?

Schwarz sagt nein. Prinzipiell gelte es zu unterscheiden zwischen der objektiven Sicherheitslage und der subjektiv empfundenen. Letztere werde stark durch soziale Netzwerke beeinflusst und überwiege in der Regel die objektive Lage.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegeben wird, zeige ebenso eine Abnahme der Straftaten bundesweit wie landesweit. Auch im Kreis Germersheim hat laut Statistik die Kriminalitätsentwicklung abgenommen, die Aufklärungsrate liegt bei über 63 Prozent.

Die Polizeiinspektion Germersheim hat die Statistik für 2017 [3] bereits herausgegeben, die für den südlichen Landkreis zuständige Polizeiinspektion Wörth stellt ihre am 20. Juni in der Verbandsgemeinderatssitzung vor.

Zu wenige Polizeibeamte

Dennoch habe sich die Kriminalität verändert, sagte Schwarz. Internationaler Terrorismus, eine professionalisierte internationale Einbruchskriminalität („Viele tragen Schutzanzüge, um DNA-Spuren zu vermeiden“) und neue Betrugsdelikte (Enkel-Trick, falscher Polizeibeamter) forderten die Polizei.

Diese habe zwar schnell eine bessere Ausstattung bekommen, dennoch fehlten bundes- und landesweit tausende zusätzliche Beamte, um die Aufgaben zu bewältigen und die Belastungen für Polizisten zu senken.

„Flüchtlingskriminalität nicht verharmlosen, aber auch nicht pauschalisieren“

Die etwas höhere Kriminalitätsrate bei Migranten führt Schwarz auf die – auf Straftaten bezogen – kritische Gruppe von Männern zwischen 18 und 35 Jahren zurück, der die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge angehöre. Außerdem seien beispielsweise Delikte, die ein Deutscher gar nicht begehen könne – wie Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht – in die Statistik mit eingeflossen.

Gründe für aggressives Verhalten seien häufig räumliche Enge und Perspektivlosigkeit. Gewaltdelikte fänden jedoch meist untereinander statt, oft aus kulturellen und nationalen Streitigkeiten heraus, so dass die Angst, dass „man als Deutscher sofort involviert wird, tiefer anzusetzen ist.“ Er wolle beileibe nichts verharmlosen, betonte Schwarz, warnte aber vor Pauschalisierungen.

Echte Kriegsflüchtlinge würden deutlich weniger Straftaten begehen als zum Beispiel Afrikaner mit schlechter Bleibeperspektive, wandte ein Zuhörer ein. Das müsse man differenzieren. Warum jene ohne Bleiberecht nicht wieder zügig zurück geschickt würden, wollte der Mann wissen.

Die Landesregierung setze auf freiwillige Rückführung, antwortete Schwarz, die Zahlen seien gut. Dennoch gebe es zahllose „Hemmschuhe“ zu überwinden. Bei Staatenlosen sei es sehr schwer, und Länder wie Somalia nähmen grundsätzlich niemanden zurück.

Auch bei Gefährdern sieht die Sache nicht so einfach aus. Zehn davon gebe es derzeit in Rheinland-Pfalz, davon hätten sechs eine doppelte Staatsbürgerschaft – also auch eine deutsche, was bedeutet: Abschiebung nicht möglich.

Einen Gefährder hole man „komischerweise“ derzeit nach Rheinland-Pfalz zurück (von wo, sagte Schwarz nicht): „Das verstehe ich auch nicht wirklich.“

Poß: „Gewalttat hat stark erschreckt“

Bürgermeister Volker Poß konnte sich zwar wegen der noch nicht vorliegenden Kriminalstatistik der Polizeiinspektion Wörth nicht zum Jahr 2017 äußern, vermutete aber, dass die Zahlen weitestgehend gleich geblieben sind.

2016 lagen die Straftaten generell auf einem niedrigeren Stand als in den weiter zurückliegenden Jahren. Zugenommen hätten die Fahrraddiebstähle, berichtete Poß, hauptsächlich am Bahnhof, wo immer viele Räder abgestellt sind. Die Sachbeschädigungen sind um 26 Prozent gestiegen.

Dennoch: Die Häufigkeitsziffer, die in Zahlen fasst, wie groß die Möglichkeit ist, Opfer einer Straftat zu werden, ist im Landkreis Germersheim generell mit 5228 gering. Zum Vergleich: In ganz Rheinland-Pfalz liegt die die Häufigkeitsziffer bei 6988, in Ludwigshafen über 10000.

Zusammenleben weitestgehend ohne Probleme

Bei den Asylbewerbern in der Verbandsgemeinde gebe es so gut wie gar keine Straftaten zu verzeichnen, das Zusammenleben sei im „Großen und Ganzen gut und relativ problemlos“ verlaufen. Aber die „schreckliche Gewalttat“, das Verbrechen an Mia, „hat uns alle sehr stark erschreckt“, sagte Poß. Das subjektive Sicherheitsempfinden habe sich seither verändert.

Die nachfolgenden Demonstrationen mit großem Polizeiaufgebot machten vielen Menschen Angst. Zudem sei seither das normale Leben beeinträchtigt. Einwohner seien durch Absperrungen blockiert, Veranstaltungen müssten ausfallen, Geschäfte machten dicht, Feste in der Stadthalle und sogar Gottesdienste seien an Demonstrationstagen schwierig, so Poß.

Lebhafte Diskussion über Demos: „Warum muss sich eine ganze Stadt terrorisieren lassen?“

Diese Frage stellte eine Zuhörerin. Sie selbst könne während der Demonstrationen ihr Anwesen nicht mit dem Auto verlassen, sei quasi eingesperrt, schilderte sie sichtlich aufgebracht. Warum man nicht gerichtlich gegen die Demos vorgehen könne?

Wolfgang Schwarz stellte klar: Die Versammlungsfreiheit ist eins der höchsten Rechtsgüter in Deutschland. Auch ein Richter würde abwägen, was die gewichtigere Grundrechtseinschränkung sei und wohl immer entscheiden, dass die Versammlungsfreiheit höherwertig anzusiedeln sei. „Das ist den Demonstranten genau bewusst“, vermutete Schwarz.

Vielen Zuhörern stieß übel auf, dass die Polizei die „Rechten auch noch schützt.“ Das müsse sie, entgegnete Schwarz, das sei geltendes Recht. Auch er habe sich früher in seiner aktiven Zeit als Polizeibeamter vorwerfen lassen müssen: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“. „Man hat keine Wahl.“

Für den „Polizeikessel“ am 24. März [4] zeigte Schwarz als Insider Verständnis: „Ein Polizeiführer muss manchmal entscheiden, beide Gruppen (verschiedene Demonstranten, Anm.d.Red.) zu trennen, sonst passieren schlimme Dinge. Ein einzelner Polizist kann nicht entscheiden: Bist du ein Guter oder ein Böser? Sicherheit und Ordnung gehen vor.“

Auch für das Vorgehen der Polizei im Zug bei Wörth [5] am 7. April sieht Schwarz akzeptable Gründe. Es habe bereits in Zügen nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Kandel Vorfälle gegeben. Wörth sei die nächstmögliche Zusteigestation für die Beamten gewesen, hatte der Abgeordnete dem Pfalz-Express in einem früheren Gespräch erklärt. Natürlich steige man in denjenigen Waggon ein, wo Störer vermutet werden „und nicht in einen leeren.“

Marco Kurz soll zahlen

Ein Zuhörer war bei der AG 60plus-Veranstaltung so verärgert, dass er forderte, dem Hauptveranstalter der „Frauenbündnis Kandel“-Demos, Marco Kurz aus Mannheim, die Kosten für die Einsätze der Polizei in Rechnung zu stellen – ähnlich wie es in einigen Bundesländern bei Risiko-Fußballspielen erwogen wird.

„Wenn jeder machen kann was er will und sich vom Grundgesetz geschützt fühlt, kann das nicht sein“, meinte der Mann. Auch dessen Hoffnung musste Schwarz dämpfen: „Kosten können die Versammlungsfreiheit beschneiden, das wird wohl nicht machbar sein.“

Warum es notwendig sei, dass ein Hubschrauber stundenlang über Kandel kreise, fragte ein anderer: („Das geht einem auf den Geist“). Schwarz´ Antwort: „ Aufklärung aus der Luft ist wunderbar. Man kann genau sehen: Wo sammelt sich etwas, wo bewegt sich etwas.“ Die Hubschraubereinsätze seien immens teuer: „Aus Jux und Dollerei fliegt keiner rum.“

Nach so viel geäußertem Missmut über die „rechten Demonstrationen“ wunderte sich ein weiterer Zuhörer: „Warum bleiben dann 99,5 Prozent der Kandeler zuhause? Da kann der Leidensdruck nicht so groß sein.“

Klaus Böhm, Vorsitzender der Kandeler AG 60plus, meinte, auch Parteien, „die die Situation bejammern, können ruhig mal an Gegendemonstrationen teilnehmen.“

Das Bündnis „WIR sind Kandel“ müsse gestärkt, Zeichen sollen gesetzt, Positionen bezogen werden. „Alle Kräfte müssen gebündelt werden, um wirksam aufzutreten“, sagte Böhm. (cli)

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