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Mutmaßlicher Kindesmissbrauch in Germersheim: Gutachten lässt Verhandlung platzen

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Foto: pfalz-express.de

Germersheim/Landau – Der Fall des mutmaßlichen Kindesmissbrauchs, der sich im Oktober 2017 in Germersheim zugetragen haben soll, wurde am Dienstag am Amtsgericht Landau verhandelt.

Ein etwa 27-jähriger afghanischer Staatsbürger (das Geburtsdatum ist mit 1.1. 1991 angegeben, da ihm der der genaue Tag seiner Geburt nicht bekannt ist) steht im Verdacht, einen damals sechs Jahre alten Nachbarsjungen und dessen achtjährige Schwester in seiner Wohnung sexuell missbraucht zu haben. Der Beschuldigte sitzt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Zweibrücken in Untersuchungshaft.

Richterin Dr. Kraus forderte den Angeklagten zu Beginn der Verhandlung auf, sich zu seiner Person und seinem Lebensweg zu äußern.

Der Beschuldigte berichtete von einem harten Leben in seiner Heimat, Armut, Krieg und Geld-Erpressungen seiner Familie durch die Taliban. Die Schule habe er etwa vier bis sechs Jahre besucht.

Vom Dorf sei man in die Stadt gezogen, weil das Haus, in dem man gelebt habe, nur noch eine Ruine gewesen sei. In der Stadt habe die Familie bei einer Frau gewohnt und gearbeitet, die sie wie Sklaven behandelt hätte. Um mehr Geld zu verdienen, sei er mehrmals illegal in den Irak zum Arbeiten gegangen. Dort habe er sich als Maurer oder Fliesenleger betätigt.

Nachdem der Vater nicht mehr in der Lage gewesen sei, Schutzgeld an die Taliban zu bezahlen, hätten diese den Vater einfach erschossen und dann vom älteren Bruder wieder Geld verlangt. Er selbst sei von der afghanischen Polizei geschlagen worden. Da sei der Entschluss für die gesamte Familie gefallen, die Flucht über den Iran und die Türkei nach Deutschland anzutreten. Letztendlich wurde die Familie in Germersheim untergebracht.

Dort wohnte der Angeklagten seit etwa zwei Jahren mit seiner Frau, die seine Cousine ist, seinen beiden Kindern (drei Jahre und ein Jahr alt) und mit seinem jüngeren Bruder in einer Zwei-Zimmer-Wohnung.

Die Familie lebte nach seinen Aussagen von Sozialhilfe und von einem Verdienst, den er als Bauarbeiter bei einer Germersheimer Firma erarbeitet habe. Er habe die deutsche Sprache mit den Kursen A1 und B1 erlernt und für die Stadt Germersheim Arbeitsstunden geleistet. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt, er legte dagegen Klage ein.

Angeklagter entschuldigt sich

Im Anschluss an diese Aussage verlas Verteidiger Marco Werther ein Geständnis des Angeklagten. Darin gab er die Vorwürfe weitgehend zu. Er habe sein erigiertes Glied sowohl bei dem Mädchen als auch bei dem Jungen an deren „Po“ gerieben, gestand er. Penetriert habe er keines der Kinder. Auch Zungenküsse habe es nicht gegeben.

Der Beschuldigte saß die meiste Zeit mit gesenkten Kopf auf der Anklagebank und hielt sich häufig die Hand vor die Augen. Er schäme sich und wisse, dass er einen Fehler gemacht habe, ließ er von einem Dolmetscher übermitteln. Er habe viele Leben zerstört, sei aber auch selbst auf Facebook an den Pranger gestellt worden. Seine Familie wurde bedroht und musste in einen anderen Ort umgesiedelt werden.

Er führte den „Fehler“ unter anderem auf Stress zurück, der durch seine früheren Erlebnisse in seinem Heimatland, der Doppelbelastung von Arbeit und Familie und der Ablehnung seines Asylgesuchs entstanden sei. Um die Anspannung zu lindern, habe er viel Haschisch geraucht. Zudem sei seine Frau wieder schwanger geworden, er sei überfordert gewesen. Er wisse, dass er nun in Deutschland nicht mehr bleiben dürfe.

Nie zuvor habe er Kindern etwas getan, beteuerte der Angeklagte. Er gab zu, seinen mutmaßlichen Opfern geringe Geldbeträge (5, 2 oder 1 Euro) gegeben zu haben, damit sie ihn nicht verrieten. Am Ende entschuldigte er für seine Taten.

Schwierige Beweislage in einem wichtigen Punkt

Schwierig war für das Gericht die Frage zu klären, ob eine Penetration in den Anus des Jungen stattgefunden hat.

Im verlesenen forensischen Gutachten gab es positive Vortests auf Samenflüssigkeit und eine Mischspur, die sich aus Merkmalen der Vergleichsproben des Tatverdächtigen und des Opfers zusammensetzte. Ob der Angeklagte jedoch mit seinem Geschlechtsteil eingedrungen war, ließ sich nicht eindeutig feststellen. Diese Frage könnte im Fall einer Verurteilung beim Strafmaß eine Rolle spielen.

Die Polizeibeamtin, die das Mädchen (A.) vernommen hatte, und der Beamte, der mit dem kleinen K. gesprochen hatte, hielten die Schilderungen der Kinder für glaubwürdig.

Die Kinder hätten den Beamten gegenüber teilweise anschaulich demonstriert, wie sich der Missbrauch abgespielt habe (zur weitestgehend noch möglichen Wahrung der Intimsphäre der Kinder verzichten wir auf Details, Anm. d. Red.).

Tonaufzeichnungen wurden in beiden Fällen nicht gemacht, gaben beide Beamten auf Nachfrage der rechtspsychologischen Gutachterin Alexandra Ehmke (Heidelberg) an. Man habe dafür nicht die „technische Ausstattung“, so die Polizistin.

Die Mutter der Kinder schilderte nochmals die Situation, als der Sohn ihr direkt nach dem Missbrauch das Geschehen berichtete und ihre Tochter im Nachgang ebenfalls von ihrem eigenen erlebten Vorfall erzählte. Beide Kinder seien nun schwer traumatisiert [2], einen Platz bei einen Kinderpsychologen habe sie bislang nicht bekommen, so die Mutter.

Die Ehefrau des Angeklagten machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Der jüngere Bruder (etwa 18) sagte zwar aus, konnte aber nichts Konkretes zur Klärung beitragen. Auch war ihm offenbar nicht ganz klar, dass er sich in einer Gerichtsverhandlung befand, so dass Richterin Kraus ihm die Zusammensetzung des Gerichts und dessen Aufgabe kurz erklärten musste.

Nicht konform: Gutachten und Geständnis

Immer ungläubiger indes wurden die Gesichter der Zuhörer, der Staatsanwaltschaft und von Nebenkläger Roland Sinn (der Schadenersatz für die Opfer gefordert hat), als Rechtspsychologin Ehmke ihr Gutachten verlas.

Die Gutachterin hatte die Glaubwürdigkeit der Kinder beleuchtet und führte umfangreich aus, dass nur „ein Teil des Geschehens eine Aussagequalität“ habe. Manche Aussagen wiesen „Detailtreue“ auf, andere nicht. Einige Aussagen seien erst nach der polizeilichen Vernehmung bei ihren eigenen Gesprächen mit den Kindern zutage gekommen.

Bei dem Mädchen vermutete die Gutachterin, dass es sich möglicherweise an die Geschichte ihres Bruder angehängt habe, um die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu ziehen.

Der Junge sei lebhaft und fantasievoll, sage aus, dass er ständig an das Erlebte denken müsse und sei unter anderem deshalb wohl etwas glaubwürdiger. Bei beiden Kindern zweifelte die Psychologin an, dass manche Erinnerungen erst später wieder an die Oberfläche gekommen sein könnten. Ehmke kritisierte, dass die Polizei bei der Vernehmung der Kinder keine Tonaufnahmen angefertigt habe: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei der Germersheimer Polizei kein Diktiergerät gibt.“

Was zumindest beim Verlesen des Gutachtens nicht mit einem Wort erwähnt wurde, war die Berücksichtigung eines möglichen Schock-oder Traumazustands bei der früheren oder späteren Anhörungen der Kinder.

Am Ende kam die Rechtspsychologin zu dem Schluss, dass „in beiden Fällen keine hohe Glaubwürdigkeit angenommen werden kann. Die Datenlage ist aus meiner Sicht unklar.“ In Anbetracht dessen, dass der Angeklagte bereits gestanden hatte, mutete das Gutachten zumindest aus Laiensicht in Teilen an wie eine grobe Fehleinschätzung.

Staatsanwaltschaft und Nebenklage beantragten daraufhin die nochmalige Aussage des Sechsjährigen an einem weiteren Verhandlungstag. Die Verhandlung wurde abgebrochen. Ein zweiter anwesender Gutachter wurde am Dienstag nicht mehr angehört, er soll bei der Fortsetzung des Prozesses zu Wort kommen. (cli)

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