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Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Kandel: Gesprächsrunde im Rathaus – „Für Kandel und die Demokratie“

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Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit Kandels Stadtbürgermeister Günther Tielebörger.
Fotos: Pfalz-Express/Licht

Kandel – Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat sich am Dienstagabend zu einer Gesprächsrunde im Ratssaal mit rund 50 Bürgern, Vertretern der Initiative „Wir sind Kandel“ und Kommunalpolitikern getroffen.

Hintergrund für den Besuch der Landeschefin sind die vergangenen [2] und angekündigten Demonstrationen [3], vornehmlich die von der AfD-Landtagsabgeordneten Dr. Christina Baum organisierten Kundgebungen, denen sich auch Gruppen und Personen aus dem rechten Spektrum angeschlossen haben. Den meisten Kandeler Einwohnern indes gehen diese Versammlungen gehörig gegen den Strich.

Ein bunter Querschnitt der Kandeler Bevölkerung hatte sich im Alten Rathaus versammelt. Auch Vertreter des Vereins Handel und Gewerbe (VHG), von Vereinen und der Protestantischen und Katholischen Kirche waren dabei.

„Rollos runter reicht nicht“

Dreyer gab jedem die Hand und nahm dann Platz bei Stadtbürgermeister Günther Tielebörger, Bürgermeister Volker Poß (Verbandsgemeinde, beide SPD) und Landrat Dr. Fritz Brechtel.

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Tielebörger begrüßte den „Rückenwind aus Mainz“. Er sei aber schon häufig gefragt worden, weshalb die Ministerpräsidentin nicht zu einem früheren Zeitpunkt nach Kandel gekommen sei.

Dreyer sagte, sie habe die sowieso schon aufgeheizte Stimmung in der Stadt mit ihrer Anwesenheit nicht noch weiter anfachen wollen. Sie sei jedoch sehr besorgt um die Bürger, die ihr normales Leben zurück wollten. Die Ministerpräsidentin machte Mut mit einem Beispiel aus dem Westerwald, wo sich gemeinschaftliches bürgerliches Engagement gegen ähnliche Demonstrationen ausgezahlt habe.

Auch in Kandel sei es an der Zeit, sich zur Wehr zu setzen. „Türen zu und Rollos runter reichen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aus.“ Es gelte, sich selbstbewusst entgegenzustellen und deutlich zu machen: „Das wollen wir hier nicht.“

„Es wird ein Tsunami“

Die Kandeler Gewerbetreibenden positionierten sich klar gegen die Demonstrationen. Die persönliche Tragödie der Familie der getöteten Mia [5] (Auslöser der Demonstrationen) sei entsetzlich genug. Darum gehe es den Demonstranten jedoch schon lange nicht mehr.

Die wirtschaftliche Seite: Die Demos treffen den Einzelhandel hart. Zwei Drittel bis komplette Ausfälle der Umsätze sind laut Geschäftsinhabern an den Kundgebungstagen zu verzeichnen.

Auf der politischen Seite sei ein Tsunami im Anzug, der noch nicht abzuschätzen sei, sagte ein Einzelhändler. Mit Tränen in den Augen berichtete er in die betroffene Stille hinein, wie in der Karlsruher Straßenbahn eine Gruppe Randalierer „mit einem Kandel ist überall-Button“ Mitfahrer angepöbelt und eine geistige behinderte Frau angegangen habe. „Wenn wir den Krieg gewonnen hätten, gebe es so was wie Dich nicht“, hätten die Aggressoren von sich gegeben.

Auch hochbetagte Senioren, die als Kinder die NS-Zeit noch erlebten, haben Angst: „Es ist wie in den 30er Jahren.“

Bei der letzten Demo am 3. März hatte eine Gruppe Männer aus dem Demonstrationszug kurz die Polizeikette durchbrochen und Personen in einer Hofeinfahrt angegriffen [6]. „Ohne Polizei wäre es an diesem Tag schlimm ausgegangen“, sagte Bürgermeister Tielebörger.

Einig waren sich am Dienstagabend alle darüber, dass die Demokratie in Gefahr sei. Landrat Brechtel sah sich mit Fragen bestürmt, ob es denn keine Möglichkeit gebe, die Demonstrationen zu verhindern.

Wieder erklärte Brechtel, dass sich die Kreisverwaltung neutral verhalten [7] müsse – egal, wie sehr er persönlich diese Kundgebungen verurteile. Das Recht der Versammlungsfreiheit sei so hoch angesetzt, dass es so gut wie keine Handhabe gebe. Auch Rangeleien oder ähnliche Vorkommnisse während einer Kundgebung reichten als rechtliche Begründung nicht aus, um diese aufzulösen.

Gemeinschaft gestärkt

Letztendlich machten am Dienstagabend viele Ideen die Runde, wie man künftigen Demos entgegen treten könnte. Aufbruchstimmung war zu spüren, gemeinschaftliches Handeln sämtlicher Akteure und Gruppen trat in den Vordergrund.

Nicht alle Anwesenden konnten sich jedoch mit dem Gedanken anfreunden, an einer Demonstration „für Kandel und für die Demokratie“ gegen die „rechten Demos“ teilzunehmen. Innerhalb der Kandeler Gemeinschaft wollen die „Demonstrationsscheuen“ aber mit anderen Aktionen und Mitteln ihre Haltung zum Ausdruck bringen.

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„Nicht die öffentlichen Räume überlassen“

Die Ministerpräsidentin hat dazu allerdings eine feste Meinung: „Wir dürfen diesen Leuten nicht die öffentlichen Räume überlassen.“ Die bittere Erfahrung aus den letzten Jahren habe gezeigt: „Das erledigt sich nicht von allein.“

Nichts zu tun sei ein völlig falsches Signal. Manchen „Mitläufer“, der lediglich seinen Frust ausdrücken wolle, könne man vielleicht auch zurückgewinnen, wenn aufgeklärt werde, mit wem man da auf den Demonstrationszügen unterwegs sei, meinte Dreyer. Und noch einen Tipp hatte sie parat: „Hass- und Drohmails löschen und sich nicht davon vereinnahmen lassen.“

Der Landtagsabgeordnete SPD-Fraktionschef im Landtag, Alexander Schweitzer, hatte am Dienstag zudem die Fraktionen von SPD, CDU, FDP und Grünen angeschrieben und gebeten, die Initiative „Wir sind Kandel“ zu unterstützen.

Am Ende des Abends war die Erleichterung in der Gesprächsrunde spürbar. Die Ministerpräsidentin hatte die Fäden entwirrt, ermutigt, eine Richtung vorgegeben. Man fühlte sich zusammengeschweißt, bestätigt – die Stimmung war zuversichtlich. (cli)

Anmerkung der Redaktion: Da einige der beteiligten Privatpersonen bereits Hass- und Drohmails erhalten haben, verzichten wir bewusst auf Namensnennungen. 

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Button der Initiative „Wir sind Kandel“.

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