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Kreis Germersheim: Landrat ordnet erneute Altersüberprüfung von minderjährigen Flüchtlingen an

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Symbolbild: dts nachrichtenagentur

Kreis Germersheim – Das medizinische Gutachten zur Altersbestimmung des afghanischen Asylbewerbers, der am 27. Dezember mutmaßlich die 15-jährige Mia V. im „dm-Markt“ in Kandel erstochen hat, kommt zu dem Ergebnis, dass er zwischen 17,5 und 20 Jahre [2] alt ist (wir berichteten).

Folglich war er bei seiner Einreise zwischen 15,5 und 18 Jahre alt, resümiert die Kreisverwaltung. Bisher wurde davon ausgegangen, dass der Afghane auf jeden Fall minderjährig sei.

Da in diesen Fällen nicht eindeutig auszuschließen ist, dass er bei seiner Einreise minderjährig war, hatte er einen Rechtsanspruch auf Jugendhilfe.

„Auch wenn wir uns bei diesem Ergebnis in einer Grauzone befinden, zeigt es doch, dass die bisher vorgegebenen Mittel und Wege zur Altersbestimmung nicht ausreichend sind“, so Landrat Dr. Fritz Brechtel. „Diejenigen, die einen Anspruch auf entsprechende Jugendhilfe haben, sollen diese auch erhalten. Lücken, die einen Missbrauch dieses Rechtsanspruchs ermöglichen, müssen schleunigst geschlossen werden. Die Jugendämter brauchen verlässliche Methoden und Ergebnisse, um überhaupt altersgerecht und gesetzeskonform handeln zu können.“

Im Zweifel medizinische Untersuchng

Der vorliegende Fall zeige einmal mehr, dass eine Altersfeststellung basierend auf Ausweispapieren, qualifizierter Inaugenscheinnahme und ärztlicher Untersuchung nicht immer ausreichend sei, so Brechtel. In Zweifelsfällen müsse eine medizinische Altersfeststellung hinzukommen.

Brechtel zieht die Konsequenzen: „Deshalb habe ich die erneute Überprüfung des Alters aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Kreis Germersheim angeordnet, in Zweifelsfällen auch mit medizinischen Methoden.“

Dass dies erforderlich sei, zeige der vorliegende Fall. Diese Auffassung unterstreiche auch die Praxis im Saarland. „Dort sind 35 Prozent der in einem Jahreszeitraum medizinisch überprüften Jugendlichen entgegen ihrer Aussage als nicht-minderjährig eingestuft worden.“ Ein ähnliches Ergebnis liege aus Hamburg vor.

Ein Missbrauch des Rechtsanspruchs auf Jugendhilfe müsse so weit wie möglich ausgeschlossen werden. „Dem dient die medizinische Altersfeststellung. Dies ist auch die Voraussetzung für eine Akzeptanz der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen in der Gesellschaft“, so der Landrat.

Im Landkreis wird laut Brechtel bereits überprüft, wie das Alter der dem Landkreis Germersheim zugeteilten unbegleiteten minderjährigen Ausländer (umA) festgestellt wurde. (Ausweispapiere, qualifizierte Inaugenscheinnahme oder ärztliche Untersuchung).

Von denen, deren Alter durch Inaugenscheinnahme festgestellt wurde, prüfen die Mitarbeiter des Jugendamts, in welchen Fällen Zweifel aufkommen, die eine erneute förmliche Altersfeststellung notwendig machen.

Dem Landkreis Germersheim sind derzeit 82 unbegleitete minderjährige Ausländer zugewiesen. Davon gelten 25 als noch minderjährig und 57 als volljährig, die aber minderjährig unbegleitet eingereist waren.

Die vorläufige Inobhutnahme fand bei allen umA durch das zuständige Jugendamt statt, das auch die Altersfeststellung durchführte. „Diese Form der Altersfeststellungen kann aber zu falschen Ergebnissen führen und bietet Raum für Spekulationen, wie wir in diesem Fall feststellen müssen“, so Brechtel.

Von Jugendämtern als minderjährig eingestuft

Das Alter des Afghanen wurde im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme durch das Jugendamt Frankfurt/Main im Mai 2016 bestimmt. Dort wurde der Jugendliche in der nach dem Sozialgesetzbuch vorgeschriebenen Weise qualifiziert in Augenschein genommen. Sein Alter wurde damals auf 14 Jahre festgelegt.

Auch die Mitarbeiter des Jugendamts Germersheim hatten keine Zweifel an der Einschätzung der Minderjährigkeit. Berücksichtigt wurde, dass es einen Graubereich von ein bis zwei Jahren gibt. „Jedoch zweifelte keiner der Beteiligten daran, dass die Vorschrift des Minderjährigenschutzes anzuwenden sind und damit die Betreuung nach Sozialgesetzbuch zu erfolgen hat“, heißt es aus der Kreisverwaltung.

Die CDU im Kreis Germersheim [3], in der Verbandsgemeinde Kandel und in der Stadt Kandel unterstützen die Anordnung des Landrats.

Rechtlicher Hintergrund

Im § 42f SGB VIII hat der Gesetzgeber keine Regelung getroffen, wie in Fällen zu entscheiden ist, in denen das tatsächliche Alter des Betroffenen trotz Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten unklar bleibt.

Bestehen auch nach der ärztlichen Untersuchung weiterhin Zweifel, ob der unbegleitete minderjährige Ausländer schon volljährige oder noch minderjährig ist, sieht Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 der EURL 2013/32 vor, dass von der Minderjährigkeit des jungen Menschen auszugehen ist (vgl. BayVGH, 05.07.2016, 12 CE 16.1186, RdNr 6).

In diesen Zweifelsfällen wird damit dem Kindeswohl der höhere Vorrang eingeräumt, weshalb der umA einen Rechtsanspruch auf Jugendhilfe hatte.

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