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Aggressionsausbruch vor Gericht: Staatsanwaltschaft Frankenthal stellt Ermittlungen gegen Abdul D. ein

Symbolbild: dts Nachrichtenagentur

Kandel/Landau/Frankenthal – Der Prozess hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht: Am 3. September 2018 wurde der Afghane Abdul D. wegen Mordes an der 15-jährigen Mia V. aus Kandel zu achteinhalb Jahren Haft [1] verurteilt.

Der Prozess wurde nach Jugendstrafrecht geführt, weil auch nach medizinischen Gutachten nicht festgestellt werden konnte, ob der Beschuldige zum Tatzeitpunkt (27. Dezember 2017) schon 18 Jahre alt und damit volljährig war. Es galt der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“.

Gerangel im Gerichtssaal

An einem Verhandlungstag im August 2018, als Mias Mutter eine Aussage gemacht hatte, stand Abdul D. plötzlich auf und wollte den Gerichtssaal verlassen. Ein Justizwachtmeister wollte ihn davon abhalten und hielt D. am Oberarm fest. Polizeibeamte versperrten D. den Weg und versuchten ihn beruhigen. Es kam zu einem Gerangel, bei dem D. und ein Beamter zu Boden stürzten.

Auslöser des Sturzes war ein „Polizeigriff“, mit dem der zunehmend aggressiver gewordene Angeklagte in Schach gehalten werden sollte. Der Beamte stauchte sich beim Sturz unter anderem das Handgelenk, allerdings ohne spätere Bewegungseinschränkungen. D. trat und schlug nach den Beamten, jedoch ohne sie zu treffen, spuckte nach ihnen und beschimpfte sie auf deutsch.

Dieser Vorfall wurde von der Staatsanwaltschaft Frankenthal gründlich untersucht. Unter anderem sagten der Geschädigte selbst und drei im Prozess anwesende Polizeikommissare aus. Die Staatsanwaltschaft hat aber nun die Ermittlungen dazu eingestellt, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber dem Pfalz-Express bestätigte.

Dafür gibt es nach dem Gesetz gute Gründe, wie Stöber im Gespräch mit dem PEX erläuterte. Grundlage ist der Paragraph 154 der Strafprozessordnung.

Darin heißt es unter anderem:

„Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder 2. darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint. (…)“

Für den Laien sicher eine schwer verständliche Definition. Grundsätzlich kann die Staatsanwaltschaft eine Ermittlung unter anderem dann einstellen, wenn sie absehen kann, dass die zu erwartende Strafe nicht wesentlich ins Gewicht fällt, nachdem der Beschuldigte schon wegen einer anderen Tat rechtskräftig verurteilt worden ist. Abdul D. hat bereits eine sogenannte Einheitsstrafe [2] erhalten wegen Mordes und Körperverletzung. Das wird in Deutschland berücksichtigt. In anderen Ländern, beispielsweise den USA, werden Strafen addiert. Dort kommt leicht ein Strafmaß zusammen, das sogar weit über die Lebenszeit des Verurteilten hinaus gehen kann.

In Deutschland hingegen steht im Erwachsenenstrafrecht der „gerechte Schuldausgleich“ im Vordergrund, beim Jugendstrafrecht ist es der „Erziehungsgedanke“ und Prävention. Der Aggressionsausbruch von Abdul D. wird somit – laienhaft ausgedrückt – in die bereits bestehende Strafe mit „hineingerechnet“.

Vorsatz kaum beweisbar

Außerdem müsse bei einer möglichen Verhandlung ein Vorsatz von Abdul D. nachgewiesen werden, so Stöber. Das sei nahezu unmöglich. Das Gutachten einer Psychiaterin hatte  D. zudem eine verminderte Steuerungsfähigkeit wegen Affekts bescheinigt. Es hätte sich demnach um einen Zustand der verminderten und gar kompletten Schuldunfähigkeit handeln können – dann wäre ein weiteres Verfahren sowieso sinnlos.

Kräfte müssen eingeteilt werden

Hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren weiter betrieben und Anklage erhoben, hätte erneut verhandelt und eine neue Einheitsstrafe gebildet werden müssen – ein gigantischer Aufwand. Auch in den Richtlinien zu Straf- und Bußgeldverfahren sind Staatsanwaltschaften angehalten, ressourcensparend zu arbeiten und sich auf wirklich Wichtiges zu konzentrieren.

Man brauche alle Kraft für realistisch erzielbare Erfolge, so Stöber. Ein „Mehr“ an Sanktionen wäre im Fall Abdul D. jedoch kaum spürbar gewesen.

In jedem anderen vergleichbaren Fall wäre genauso entscheiden worden, betonte Stöber. D. werde nicht anders behandelt wie alle Anderen und bekomme gewiss keine Sonderbehandlung. D. (cli)

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