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Ungeliebte Gäste: Freckenfelder Bürger mehrheitlich gegen Sammelunterkunft für Flüchtlinge in der Gräfenberghalle

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Bis auf den letzten Platz besetzt: Die Turnhalle bei der Bürgerversammlung.
Fotos: pfalz-express.de/Licht

Freckenfeld – Es war ein emotionsgeladener Abend bei der Bürgerversammlung am 22. Oktober zum Thema Flüchtlinge in der Gräfenberghalle – mit vielen hitzigen Debatten, Applaus und Buh-Rufen. Am Ende stand ein halbwegs versöhnlicher Kompromiss.

Nachdem der Gemeinderat in seiner letzten Sitzung die Entscheidung zur vorübergehenden Unterbringung von etwa 45 Flüchtlingen in der Gräfenberghalle zugunsten einer Bürgerbefragung vertagt hatte (Pfalz-Express berichtete [2]), drängten sich rund 450 Menschen in der Grundschulturnhalle.

Verbandsbürgermeister Volker Poß, Ortsbürgermeisterin Gerlinde Jetter-Wüst und Landrat Dr. Fritz Brechtel bemühten sich eingangs nach Kräften, die Situation, die Klemme, in der sich die Kommunen derzeit wegen des Zustroms von Flüchtlingen befinden, den Bürgern zu vermitteln.

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„Wir schaffen das“ oder „es reicht“?

Es gebe eine ganze Bandbreite von Meinungen, sagte Poß, von „wir schaffen das“ bis „jetzt reicht es“. Aufwühlend wäre das Thema jedoch allemal.

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Verbandsbürgermeister Volker Poß

Die Mitarbeiter der Verwaltungen schliefen schlecht, weil sie nicht mehr wüssten, wohin mit den zugeteilte Flüchtlingen. Die Bürger schliefen schlecht, weil sie sich Sorgen machten, dass eine dörfliche Gemeinschaft mit zu vielen Asylsuchenden überfordert sei.

„Deshalb müssen wir schauen: Wie werden die Hallen tatsächlich beansprucht?“, sagte Poß. Gemeinsam mit dem Landkreis sei man zur Auffassung gelangt, dass die Gräfenberghalle für maximal 40-45 Personen geeignet sei.

Häufig seien gerüchteweise auch falsche Zahlen in Umlauf gebracht worden, zum Beispiel, dass 150 Personen in Freckenfeld untergebracht werden sollten. Das sei falsch und unverständlich.

Es sei jedoch ein hohes Maß an Verunsicherung zu spüren, Ängste vor erhöhter Kriminalität oder Konflikten. Poß versicherte, dass es bislang in der Verbandsgemeinde noch zu keinen Vorfällen gekommen sei.

Man habe „große Sorge, dass Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit offen zu Tage tritt. Dagegen müssen wir uns solidarisch wehren. Ich hoffe auf ein gutes und weltoffenes Miteinander.“

„Mitgefühl zeigen“

Gerlinde Jetter-Wüst bat um einen respektvollen Ton und blieb ihrer Linie treu: Man könne die schutzsuchenden Menschen nicht einfach abweisen, wenn eine Halle zur Verfügung stehe, die lediglich 25 Stunden in der Woche genutzt würde, beheizbar wäre und die Voraussetzungen erfülle.

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Ortsbürgermeisterin Gerlinde Jetter-Wüst

Vor einiger Zeit habe diese gar zum Verkauf gestanden. Es sei beschämend, wenn man sich weigere, diesen Menschen zu helfen. „Wir müssen dankbar sein, seit 70 Jahren keinen Krieg in Deutschland erlebt zu haben. Wir sollten Mitgefühl haben.“

Christian Hengen, Leiter des Fachbereichs Bürgerdienste der Verbandsgemeinde Kandel, informiert über die aktuellen Fallzahlen. (Siehe Fotos am Ende des Berichts).

Aktuell sind 138 Flüchtlinge in der VG untergebracht, drunter 38 Kinder und Jugendliche. Bis Jahresende mit etwa 50 weiteren Personen gerechnet, im kommenden Jahr mit mindestens 150. Ein Großteil sei unter 50 Jahre alt.

Es besteht Aufnahmepflicht

Poß betonte nochmals, dass die Kommunen gesetzlich verpflichtet seien, die Menschen aufzunehmen. Es sei aber auch ein Gebot der Mitmenschlichkeit. Und wenn eines Tages „alle vor der Tür der Verwaltung stehen, müssen wir doch noch Sammelstellen einrichten“. Das wolle niemand, die Methode der Wahl sei immer eine dezentrale Unterbringung.

Nur 1 Prozent der Bevölkerung

Ähnlich äußerte sich Landrat Dr. Fritz Brechtel, der von einer „großen Aufgabe, die auf uns und auf Deutschland zukommt“, sprach. Aus „humanitären Gründen und als Christenmensch“ müsse man helfen, aber auch Sorgen und Ängste der Bürger hören und ernst nehmen.

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Landrat Dr. Fritz Brechtel

Bei geschätzten 1,5 Millionen Asylsuchenden in diesem Jahr würde der Anteil bis Jahresende auf 1259 Personen im Kreis steigen. „Das wäre gerade mal 1 Prozent der Bevölkerung. Eine Person auf einhundert Einwohner. Das kann man bewältigen“, sagte Brechtel.

Man wisse aber nicht, wie es weitergehe, wenn der Zustrom anhalte. Drei große Aufgabenfelder seien zu bewältigen: Erstens die Unterbringung (möglichst dezentral), zweitens die Betreuung der Menschen, die aus einem völlig anderen Kulturkreis kämen; drittens die Daueraufgabe Integration.

Die Kreisverwaltung werde die Ortsgemeinden auf jeden Fall und allen Belangen unterstützen und Lösungen mitentwickeln.

„Unwürdige Unterbringung“

Als nächstes ergriff SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Neubauer das Wort.

Nach Ansicht der SPD-Fraktion könne man sich nicht verschließen, nachdem die Kriegsflüchtlinge einen so langen Marsch auf sich genommen hätten. Eine Sammelunterkunft sehe man aber als nicht geeignet an. Es sei „schlecht und unwürdig, Flüchtlinge in dieser Form unterzubringen.“

Die Ängste und Befürchtungen der Freckenfelder seien berechtigt und nachvollziehbar, man müsse sie in die Entscheidung mit einbinden. Neubauer appellierte wie zuvor die anderen Kommunalpolitiker, freie Wohnungen zur Anmietung durch die Gemeinde zur Verfügung zu stellen.

CDU-Fraktionsvorsitzender Martin Thürwächter erinnerte daran, dass die CDU zusammen mit der FWG die Bürgerversammlung initiiert habe. Auch die CDU favorisiere eine dezentrale Lösung. Man gehe nicht von einer Mehrheit im Rat für die Nutzung der Halle aus.

Richard Schindler (FWG) machte es kurz: „Ich bin nur hier, um eure Meinung zu erfahren. Die Bürger sollen das Wort haben.“

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Des Volkes Wort…

Nach den offiziellen Einleitungen kamen die Bürger zu Wort. Wortgewandt äußerte sich ein Freckenfelder und traf den Nerv der Anwesenden.

50 Männer in einem Ort mit 1.600 Einwohnern, die nichts zu tun hätten, hier ihre Zeit totschlagen müssten, verschiedene Nationen und Kulturen, die unter Zwang auf engem Raum zusammenleben müssten – da sei es mehr als wahrscheinlich, dass es zu Problemen käme.

Es sei nicht möglich, mit der hiesigen geringen Polizeipräsenz einzuschreiten, das Personal sei gar nicht vorhanden.

Zudem gebe es keine Betreuer, keine Dolmetscher, einfach „nichts“ in Freckenfeld. „Es ist sehr leicht, die falsche Entscheidung zu treffen. Freckenfeld will helfen, aber nicht auf diese Weise.“ Tosender Applaus begleitete die Rede.

Gerlinde Jetter-Wüst hakte nach, wie er denn gedenke zu helfen. Da habe wohl jeder so seine Ideen, sagte der Mann, zum Beispiel mit Sportprogrammen oder Ähnlichem. Die Bürgermeisterin hätte früher die Kommunikation suchen müssen.

 Polizist: „Die Realität sieht anders aus“

Der nächste Redner war ein Freckenfelder Einwohner, der als Polizeibeamter in Karlsruhe seinen Dienst versieht.

Er könne im Gegensatz zur Politik von der Realität sprechen, sagte er sichtlich aufgebracht. Er überlasse es den Medien, die Bürger „weiter zu verschaukeln“: „Ich erlebe es jeden gottverdammten Tag: Jede Aufnahmestelle ist locker über 150 Prozent überbelegt. Die wenigsten davon sind Kriegsflüchtlinge. Wenn wir hier von 50 Menschen, sprechen, werden es mit Sicherheit 70 bis 80.“

Man habe täglich im Aufnahmelager Durlach mit sexuellen Übergriffen auf Frauen zu tun: „Das sind Fakten.“ Wenn es in der Durlacher Allee mal wieder „rumpele“, bekomme man in einer Großstadt wie Karlsruhe gut zwanzig Streifenwagen zusammen.

„Aber wer soll das hier machen? Etwa Wörth mit seinen zwei Streifenwagen?“ Der Rest der Kriminellen in Karlsruhe freue sich übrigens, wenn alle Beamten wegen Problemen in den Unterkünften gebunden seien.

Es gehe nicht darum, nicht helfen zu wollen, aber „für ein Dorf wie Freckenfeld sind 45 zu viel.“ Auch diese Ausführungen wurden mit lauten Applaus und Jubel bedacht.

Ein Brief aus dem Kriegsgebiet

Die Frau eines beruflich im Irak tätigen Freckenfelders las einen Brief ihres Mannes vor, in dem einerseits um Verständnis für die schwere Situation der Menschen vor Ort geworben wurde, in dem andererseits die kulturellen Unterschiede herausgestellt wurden.

So habe ein in Deutschland asylsuchender Bekannter aus Afghanistan viele Fragen gestellt: Warum er nicht deutsch lernen dürfe, warum er nicht arbeiten könne, wieso gebe es keine vernünftigen Gebetsräume, wie funktioniere die ärztliche Versorgung? Ein männlicher Arzt dürfe jedoch seine Tochter nicht untersuchen: Unmutsäußerungen im Publikum.

„Freckenfelder kneifen“

Ein weiterer Redner zeigte sich enttäuscht vom Verhalten der Freckenfelder. Er als ursprünglich Zugezogener habe die Pfälzer immer für weltoffen gehalten, aber „wenn vor der eigenen Haustür etwas zu tun ist, kneifen sie.“

Diese sollten es den Flüchtlingen ins Gesicht sagen: „Du kommst hier nicht rein.“ Wo da nur die Menschlichkeit bleibe? Der Redner erntete ebenfalls – etwas verhalteneren – Applaus, aber auch zahlreiche Buh-Rufe.

Angst vor Übergriffen

In diesem Tenor ging es weiter. Bürger berichteten von ihren Ängsten, wenn Frauen, Freundinnen oder Kinder besonders in der dunklen Jahreszeit die Unterkunft mit „lauter Männern“ passieren müssten. Eine Bürgerin beklagte den Verlust der Dorfkultur, weil sich Senioren nicht mehr zu ihren Treffen wagen würden.

Man bekomme das alles nicht mehr gestemmt, sei an der Grenze angelangt, nach Familienzuzug sei man bei 4 bis 5 Millionen Menschen, das sei nicht mehr machbar. So viele Migranten seien weder im Sozialsystem noch auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen.

In Freckenfeld sei es die Masse, die Bedenken mache. Die regionale Politik solle umgekehrten Druck ausüben: „Nach oben“. Das tue man bereits in aller Deutlichkeit, entgegnete der Landrat.

Dazu merkte Volker Poß an, dass Freckenfeld derzeit nicht einen einzigen Flüchtling beherberge. Eine freistehende Wohnung sei unlängst lieber an Deutsche als an Asylsuchende vermietet worden.

Flüchtlinge falsche Adressaten für Wut

Ein anderer Bürger schlug einen Kompromiss vor: Die Halle könne mit 25 Personen, mehrheitlich Familien, belegt werden. Damit habe man die Situation selbst in der Hand, anstatt am Ende von der Verwaltung doch gezwungen zu werden, alle 45 Männer unterzubringen, wenn es nicht mehr anders ginge.

„Die Flüchtlinge sind die falschen Adressaten für Wut. Das sind eher die Medien, die Tatsachen unterschlagen, und die Bundesregierung.“ Besser sei jetzt ein Kompromiss, als später vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.

 Mehr Verständnis durch Kenntnis der Einzelschicksale

Anette Knauth von „Kandel aktiv“ warb um mehr Verständnis für die Schicksale der Flüchtlinge, stellte einen persönlicheren Blickwinkel mit einem kleinen Bildvortrag her. Das seien Kriegsflüchtlinge, die Unterbringung sei keine Wunschveranstaltung: „Wir müssen, ob wir wollen oder nicht.“

Bis die Schutzsuchenden eine Aufenthaltsgestattung hätten, seien diese zum Nichtstun verdammt – auf gesetzliche Anordnung. Höchstens Deutsch dürften sie lernen, aber nicht bei den staatlichen, zertifizierten Kursen, sondern lediglich bei Ehrenamtlichen. Gemeinnützige Arbeit sei allerdings erlaubt.

„Man muss den Alltag füllen und Struktur geben“, betonte Knauth, die immer wieder von wütenden Zwischenrufen aus dem Publikum unterbrochen wurde.

Warum junge, kräftige Männer ihre Familien im Stich ließen? „So einer bräuchte mir gar nicht mehr nach Hause kommen“, so eine Freckenfelderin. Knauth sagte, die jungen Männer seien in der Regel nicht verheiratet, die Mütter wollten ihre Söhne in Sicherheit sehen und schickten sie weg. „Welche Mutter würde das nicht wollen?“, fragte Knauth.

 Halbe Lösung in Sicht?

So ging es weiter hin und her. Einer führte die Germersheimer Verhältnisse ins Feld, eine 18-jährige Schülerin will Gutes tun und den Flüchtlingen helfen, ein Frau sprach von Hasstiraden, die das Dorf spalteten, eine andere warf den Freckenfeldern vor, Angst zu haben, ihre Wohlfühlzonen ein wenig verlassen zu müssen.

Viele wiederum fühlten sich zu Unrecht in eine „rechte Ecke gedrängt“.

Volker Poß sagte, man werde auch in Freckenfeld Flüchtlinge unterbringen, so oder so. „Wenn Ihr sie nicht in der Halle wollt, dann bietet Wohnraum an und vermeidet das, was Alle nicht wollen.“

Der Ortsbeigeordnete Otto Kuhn berichtete von einem Zweifamilienhaus, das möglicherweise zu Unterbringungszwecken von zehn Personen dienlich sein könne. Auch sonst schien nach diesem Abend die Bereitschaft gewachsen zu sein, privaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen – ein Gefühl der Erleichterung machte sich bemerkbar.

Am Montag (26. Oktober) soll im Gemeinderat endgültig über die Gräfenberghalle abgestimmt werden – die Entscheidung scheint aber bereits heute schon klar. Es wird wohl vorerst keine Flüchtlingsunterkunft darin geben. (cli)

Ein Kommentar von Claudia Licht

Die Grundrichtung zeichnete sich deutlich ab: Die Mehrheit der Bürger hat das Vertrauen in die Politik verloren, fühlt sich überrumpelt und am Volk vorbei regiert.

Bundeskanzlerin Merkels Versprechen, keine Steuern zu erheben (das ebenfalls kurz zur Sprache kam), wurde mit höhnischem Gelächter bedacht. Fluchtursachen bekämpfen? Das würde nicht weniger bedeuten, als die Kriege im Nahen Osten zu beenden, was auf nicht absehbare Zeit wohl aussichtslos ist.

Die Angst vor Überfremdung, vor Parallelgesellschaften, vor sozialen Spannungen und eigenem Idenditätstverlust sitzt bereits tief in vielen deutschen Seelen. Die jüngst beschlossenen Maßnahmen zu Verschärfung des Asylrechts und mehr Geld für die Kommunen scheinen Vielen nicht ausreichend.

Ohne die zahllosen ehrenamtliche Helfer, die für die Politik in Vorlage treten, sähe die Situation ungleich chaotischer aus –  für Flüchtlinge und für Bürger.

Kommunalpolitiker rackern sich ab, um beiden Seiten gerecht zu werden, versuchen die Bürger mitzunehmen. Die Wirtschaft sieht Potenzial, der Bürger indes zweifelt, ob aus einem Mann aus dem Orient jemals ein Pfälzer Feinmechaniker und tolerant-weltoffener Bürger des Landes werden kann. Den Medien wird verfälschende Sozialromantik vorgeworfen.

Die Gesellschaft scheint sich in „pro und contra Flüchtlinge“ zu teilen. Es wird dauern, diesen Riss zu heilen.

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