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Silz: Kinderheim weist alle Misshandlungsvorwürfe zurück – Rechtsanwalt widerspricht: „Es ist passiert“

Das Kinderheim Maria Regina in Silz. Fotos: pfalz-express.de/Licht [1]

Das Kinderheim Maria Regina in Silz.
Fotos: pfalz-express.de/Licht

Silz/Lambrecht/Ludwigshafen – Schwere Vorwürfe erhebt Rechtsanwalt Michael Langhans gegenüber dem Kinderheim Maria Regina in Silz.

Körperverletzungen, manipulativer Druck, psychische und körperliche Misshandlungen sollen vorgekommen sein. Auch Vergewaltigungen unter den Heimbewohnern habe es gegeben.

Die Jugendhilfeeinrichtung Maria Regina in Silz [2] gehört zur gemeinnützigen St. Dominikus Krankenhaus und Jugendhilfe GmbH in Ludwigshafen und betreibt auch das dortige St. Anna-Stift. Die Leitung in nun mit einer Pressekonferenz in Silz an die Öffentlichkeit getreten.

Die Vorwürfe, die Langhans gemeinsam mit Andrea Kuwalewsky, der Mutter eines Jungen, der vor zwei Jahren aus dem Heim geflüchtet ist [3], anbringe, seien unwahr, sagten Sprecherin Katja Hein, Geschäftsführer Marcus Wiechmann und die stellvertretende Leiterin des Heims und Erziehungsleiterin, Tanja Kaci.

V.li.: Katja Hein, Sabine Heyn (Leiterin Jugendamt Kreis Germersheim, erklärte allegmein die Vorgehensweise von Jugendämtern), Marcus Wiechmann, Tanja Kaci. [4]

V.li.: Katja Hein, Sabine Heyn (Leiterin Jugendamt Kreis Germersheim, erklärte die Vorgehensweise von Jugendämtern im allgemeinen), Marcus Wiechmann, Tanja Kaci.

In Silz und auch im zweiten Heim in Ludwigshafen sollen laut Langhans und Kuwalewsky seit dem Jahr 2001 insgesamt an die 50 Kinder und Jugendliche misshandelt worden sein.

Ein weiterer Vorwurf von Langhans und Kuwalewsky: Bislang sei äußerst schlampig und schleppend ermittelt worden. Unter anderem seien Kinder ohne anwaltlichen Beistand und zusammen mit den mutmaßlichen Tätern befragt worden. Langhans selbst vertritt 23 Kinder und Jugendliche.

„Kampagne gegen das Heim“

Ausgeschlossen, dass so etwas in der Einrichtung vorgekommen sei, beteuerten hingegen Marcus Wiechmann und Katja Hein. Man habe sich sehr intensiv mit der Materie beschäftigt, mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet, intern genau recherchiert und sämtliche Dokumentationen nachgesehen: Es seien keine Vorfälle verzeichnet.

Frühere Ermittlungen und Anzeigen seien allesamt eingestellt worden, da sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen hätten. Lediglich in zwei Fällen werde noch geprüft. Dort gebe es aber noch keine neuen Ermittlungsergebnisse. Was genau man den Einrichtungen vorwerfe, wisse man allein aus der Presse.

Die Einrichtung habe sich bislang nicht öffentlich zu den Anschuldigungen geäußert, erklärte Katja Hein, da der Schutz der Kinder und Familien Vorrang habe. Darüber hinaus gelte selbstverständlich die Schweigepflicht. Nun aber könne man die Diskreditierung der Mitarbeiter nicht länger hinnehmen.

Wiechmann warf Langhans und einigen seiner Mandaten vor, ehemalige Heimbewohner oder Eltern von aktuell im Heim unterbrachten Kindern regelrecht zu stalken und vermeintlichen Opfern für negative Aussagen Belohnungen von bis zu 5.000 Euro in Aussicht zu stellen. Aber: „Keiner der direkt ´Geschädigten´ hat Kontakt zu uns aufgenommen. Angebliche ´Beweise´ waren zweifelhaft.“

Auch sei Langhans auf keines der Gesprächsangebote des Trägers eingegangen und habe die Medien – von denen man ein wenig enttäuscht sei – für seine Kampagne instrumentalisiert. Mittlerweile habe man sich ebenfalls auf juristischem Weg gegen Rechtsanwalt Langhans gewehrt: Es sei ihm durch das Landgericht Landau untersagt worden, rufschädigende (ehrenrührige) Behauptungen gegen die Einrichtung zu verbreiten.

Die Vorwürfe seien als als Teil einer Kampagne zu bewerten, die im Zusammenhang mit mehreren nicht abgesprochenen und gesetzeswidrigen Selbstrückführungen von Kindern in ihre Ursprungsfamilien stehe, so Wiechmann. Die Kinder seien aber nicht ohne Grund im Heim untergebracht: „Den Entscheidungen der Jugendämter, die Kinder in unseren Einrichtungen unterzubringen, liegen hochproblematische Verhältnisse in den jeweiligen Familien zugrunde.“

Dass viele Ehemalige noch immer mit dem Heim verbunden seien, könne man an den zahlreichen Besuchern sehen, die immer wieder gerne zum jährlichen Sommerfest oder zu anderen Veranstaltungen kämen.

Ehemaliger Bewohner Hans K: „Niemals passiert“

Hans K., der als acht Monate altes Baby in das Maria Regina Kinderheim kam, war des Lobes voll und wollte mit seiner Aussage vor der Presse helfen, die seiner Meinung nach ungerechtfertigten Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. „So etwas ist hier nie vorgekommen“, betonte der junge Mann, der heute 25 Jahre alt ist und seinem Beruf als Werkzeugmechaniker nachgeht.

Bis kurz vor seinem 18. Lebensjahr lebte er im Silzer Heim. Er sei unendlich dankbar für die Liebe und Fürsorge, die er von den Schwestern und Betreuern habe erfahren dürfen: „Deshalb kann ich heute mit beiden Beinen im Leben stehen.“ Gewiss habe es auch hin und wieder Streit gegeben, sagte Hans K. auf Nachfrage. Jedoch seien Konflikte unter Anleitung der Betreuer immer in Gesprächen gelöst worden.

Das unterstrichen sowohl Erziehungsleiterin Tanja Kaci als auch Michael Eberhart, Einrichtungsleiter im Kinderdorf Maria Regina in Silz und seit 2012 auch Leiter des Kinderheims St. Annastift.

Seit 1957 seien etwa 680 Kinder und Jugendliche betreut worden. Man könne zwar Familien nicht ersetzen, versuche aber, so nahe wie möglich an dieses Ziel heranzureichen und den Kindern eine Art Heimat zu bieten. Die pädagogische Grundidee: Wohngruppen mit einer familienähnlicher Grundstruktur: „Es ist uns eine Herzensangelegenheit, Kindern zu helfen und zu beschützen, ihnen Halt und Stabilität zu geben.“

Tanja Kaci sagte, man strebe besonders Gewaltfreiheit und Selbstständigkeit bei den Bewohnern an – auch deshalb seien die Vorwürfe geradezu unsinnig. Hilfe sei allerdings meist nicht einfach: „Viele Kinder kommen mit komplexen Schädigungen hierher, das ist manchmal schwer anzuschauen. Es braucht Zeit.“

Viele Kinder zeigten auch in der Sexualentwicklung Auffälligkeiten, beispielsweise wegen früheren Missbrauchs. Alle Betreuer seien ausgebildete und geprüfte Fachkräfte. Es verstehe sich von selbst, dass es „keine obskuren Erziehungsmethoden wie einsperren, prügeln usw.“ gebe.

Rechtsanwalt Langhans: Keine Rücknahme der Vorwürfe

Eine Stunde nach Beendigung der Pressekonferenz in Silz fand in Lambrecht eine weitere Pressekonferenz statt, ausgerichtet von Anwalt Michael Langhans und Andrea Kuwalewsky.

Mit dabei: Der Psychiater Dr. Friedrich Weinberger [6], der laut eigener Aussage gegen die Psychiaterisierung von Menschen kämpft, der Jurist Horst Seitz, Fachanwalt für Familienrecht und Justiziar bei der Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V.) (GEP), der aber aus terminlichen Gründen frühzeitig gehen musste – und Janis S., ein ehemaliger Kinderdorf-Bewohner.

V.li.:Horst Seitz, Janis S., Rechtsanwalt Michael Langhans, Andrea Kuwalewsky, Dr. Friedrick Weinberger. [7]

V.li.:Horst Seitz, Janis S., Rechtsanwalt Michael Langhans, Andrea Kuwalewsky, Dr. Friedrick Weinberger.

Janis S. sagte, er sei zwei Jahre lang von einem Mitbewohner vergewaltigt worden. Der jetzt 19-Jährige kam mir elf Jahren nach Silz und blieb vier Jahre dort (2008-2012). Schon in den ersten Nächten habe er Vergewaltigungen ertragen müssen. Diese zu melden, habe er sich wegen der Drohungen des mutmaßlichen Täters nicht getraut.

Als nach zwei Jahren ein anderer Junge ins Visier des Vergewaltigers geraten sei, habe dieser ihn, Janis, gezwungen, den „Neuen“ ebenfalls zu vergewaltigen. „Sonst mache ich mit dir noch Schlimmeres“, habe der Mitbewohner gedroht.

Als die Vorgänge dann doch aufflogen, habe der zuständige Hausleiter Janis S. unter anderem als „Popopiraten“ beschimpf.

Während der Pressekonferenz versuchte Langhans, „live“ dem zuständigen Mitarbeiter des Landesjugendamts eine Bestätigung der schriftlichen Meldung zu entlocken, wurde aber vertröstet.

Als zusätzlichen Beweis spielte Langhans eine Audioaufnahme ab, die bei einem Gespräch zwischen dem Erzieher seines ehemaligen Hauses und Janis S. entstanden sein soll. Auf dieser Aufnahme sei zu hören, dass laut Aussage des Erziehers der Einrichtungsleiter Michael Eberhart eine Meldung des sexuellen Missbrauchs an das Landesjugendamt weitergegeben habe.

Eberhart soll demnach von den Vergewaltigungen gewusst und später eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben haben, behauptet Langhans.

Denn Vergewaltigungen seien definitiv passiert, nicht nur bei Janis S., sondern auch bei anderen Jungen und Mädchen. Man habe alle Aussagen auf Video dokumentiert, um die Vorgänge auf Plausibilität überprüfen zu können. „Nur wenn die Kinder zusammenhalten, können sie es schaffen, Entschädigungen zu bekommen“, sagte Langhans.

Auch medizinische Unterlagen, sofern sie verfügbaren seien, würden als Beweismittel hinzugezogen. Die Rede ist von Verschreibungen von Vaginalcremes für Kleinkinder, der „Pille danach“ für 12-Jährige und einer „großzügigen Verteilung von Anti-Baby-Pillen.“

Andrea Kuwalewsky habe sehr viele Beweise in ihrer Freizeit zusammengetragen, während der Staatsanwalt „nicht in der Lage“ sei, ehemalige Opfer und Bewohner zu befragen, sagte Langhans. Auf den öffentlichen Druck hin habe sei die Polizei zwar dann bei ehemaligen Bewohnern in Hockenheim und Celle aufgetaucht,  jedoch ohne vorherige Ankündigung. Die Bewohner hätten sich allerdings geweigert, ad hoc und ohne anwaltlichen Beistand mitzukommen. Daraufhin hätten die Beamten die Akte zurückgeschickt.

Viel würde schlechthin vertuscht: Ein Jugendlicher mit schweren psychischen Problemen soll vor einigen Monaten Kaninchen in der Einrichtung mit Benzin übergossen und lebendig verbrannt haben, berichtete Andrea Kuwalewsky.  Auch in diesem Fall sei beispielsweise keine Brandmeldung an die Feuerwehr erfolgt.

Von widerrechtlichen Rückführungen will Langhans nichts wissen: „Wir haben sechs Kinder nach Hause geholt. Und sie sind noch immer zuhause und zwar mit richterlicher Genehmigung.“

Die Selbstrückführungen seien stets im Einklang der Gesetzeslage erfolgt. Auch habe man, wie von Geschäftsführer Wiechmann behauptet, keine Gelder bezahlt. Auf Nachfrage sagte Janis S., er habe lediglich 25 Euro für eine Fahrt nach Silz bekommen, damit er mit Michael Eberhart habe reden können. Langhans warf Wiechmann „Weinerlichkeit“ vor, „weil das Geld nun nicht mehr so fließt.“

Langhans bleibt dabei: Essensentzug, manipulatives Verhalten, Tritte, Schläge, Ohrenziehen, Isolation, Drei-Tage-Märsche als Strafe, verspätete oder unterlassene medizinische Hilfe bei Verletzungen – all das sei vorgekommen.

Insgesamt sollen laut Angaben des Rechtsanwalts bis zu 13 Erzieher involviert gewesen sein. Man habe nicht alle Beweise veröffentlicht, da man die Ermittlungen nicht beeinflussen wolle. Es gehe grundsätzlich um Aufklärung: „Keiner will das Heim zu Unrecht verunglimpfen.“

Mit den „Damen und Herren aus Silz“ sei man jederzeit diskussionsbereit, ebenso mit der Politik. Diese schaue aber weg: CDU-Chefin Julia Klöckner habe zur Antwort gegeben, sie könne nichts tun, und Innenminister Roger Lewentz (SPD) wisse seit 2015 von den Geschehnissen, ermittle nun statt dessen aber gegen seine Beamtin, die Polizeiinspektorin Andrea Kuwalewsky.

Da die Staatsanwaltschaft („Da will man nicht ran, das beschwert den eigenen Nimbus“) sechs Monate lang nichts getan habe, sei in Silz wohl schon „aufgeräumt“ worden, mutmaßt Langhans. Es sei ein „Anfängerfehler“, dass man die betroffenen Kinder nicht angehört habe.

Janis S. indes hat auch gute Erinnerungen an seinen Aufenthalt im Kinderheim Maria Regina. Man habe mit ihm, dem ADHS-Kind, schöne Sachen gemacht: Bogenschießen, Urlaub, Reiten auf den einrichtungseigenen Pferden. „Aber die anderen Dinge darf man nicht verschweigen“, sagt er. (cli)

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