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Reaktionen in Rheinland-Pfalz zum Brexit: Bestürzung und Bedauern

Der große Knall: Die Briten haben knapp für "Leave" gestimmt. Foto: dts Nachrichtenagentur [1]

Der große Knall: Die Briten haben knapp für „Leave“ gestimmt.
Foto: dts Nachrichtenagentur

Die Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten, hat quer durch nahezu alle Parteien Bedauern ausgelöst.

In Mainz äußerten sich als erste Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Wirtschaftsminister Volker Wissing zum Ausgang des Referendums auf der Insel [2].

„Die Entscheidung der britischen Bevölkerung bedauern wir außerordentlich. Der Austritt des Vereinigten Königreichs wird ein großer Verlust für ganz Europa sein. Dennoch ist der Ausgang des Referendums als Ergebnis einer demokratischen Abstimmung natürlich zu akzeptieren“, so Dreyer und Wissing.

Die Bürger des Vereinigten Königreichs haben mit knapper Mehrheit im gestrigen Referendum den Austritt des Landes aus der EU beschlossen. Der EU-Vertrag eröffnet nun die Möglichkeit, ein Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über ihre zukünftigen Beziehungen auszuhandeln.“

„Es gilt nun, das Beste aus der schwierigen Situation zu machen. Die Wirtschaft und die Bürger brauchen vernünftige und klare Regelungen für die zukünftigen Beziehungen der europäischen Staaten und des Vereinigten Königreichs. Europa sollte den Austritt zum Anlass nehmen, Perspektiven für die Zukunft der Europäischen Union zu entwickeln und sich zu vergegenwärtigen, wie wichtig ein vereintes Europa ist.

Nur gemeinsam können wir den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen“, so Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Wirtschaftsminister Wissing sprach von gravierenden Auswirkungen auf die rheinland-pfälzische Wirtschaft, die sich in ihrem Ausmaß kaum erfassen ließen. „Die Landesregierung wird alles tun, die Wirtschaft bei der Bewältigung möglicher Folgen zu unterstützen“, kündigte Wissing an.

Julia Klöckner: „Europa muss bürgernäher werden, mehr Emotion, weniger Technokratie“

Die CDU-Landeschefin in Rheinland-Pfalz und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, Julia Klöckner, sagt, Europa müsse wieder mehr das Lebensgefühl der Menschen ansprechen, weniger die Börsen und Wirtschaftswissenschaftler.

„Das ist ein Erdbeben und ein schwarzer Tag für die europäische Idee. Bis zuletzt haben wir gehofft, dass Großbritannien Mitglied der EU bleibt. Aber die Briten haben mehrheitlich, wenn auch knapp, anders entschieden. Es scheint, als habe die Entscheidung das Land gespalten. Nicht Zeigefinger oder Beschimpfungen sind jetzt gefragt, sondern das Votum gilt es, zu respektieren, so enttäuschend es auch ist.

Bei aller Enttäuschung gelte es nun, die Lehren daraus zu ziehen und nach vorne zu schauen. Es sei nicht das Ende der EU, aber eine Zäsur.

„Zusammenhalt und notwendige nationale Selbstbestimmung der Mitglieder werden wichtiger. Die EU muss wieder ein Zusammenschluss der Bürger in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt werden und nicht weiter der Detailversessenheit, Überregulierung und Zentralisierung“, so Klöckner.

Und weiter: „Sicher, der Austritt Großbritanniens wird Folgen für Deutschland, auch für uns in Rheinland-Pfalz haben, nicht nur für unseren Export, für Arbeitnehmer und Unternehmer, für die regionalen Partnerschaftsbeziehungen und den gelebten engen Austausch von Schulen. Die Tür sollte dennoch nicht zufallen, sondern die gelebten menschlichen Kontakte müssen eine Brücke sein für die Zukunftsbeziehungen.

Für die verbleibenden Mitgliedstaaten heißt das Referendum ein grundsätzliches Nachdenken. Wenn wir wollen, dass Europa wieder eine Erfolgsgeschichte wird, dann muss es mehr Emotion sein statt Technokratie, dann muss Europa ein Lebensgefühl der Bürger und nicht nur Wirtschafts- und Finanzzahlen der Börsianer sein. Frieden, Freiheit und Wohlstand sind unbezahlbar! Es kommt nun auf einen Imagewechsel an, politische Ideen müssen die Bürger erreichen und nicht länger übergehen. Denn zusammen waren, sind und bleiben wir stärker.“

SPD-Fraktionsvorsitzender Alexander Schweitzer „Brexit-Entscheidung stimmt traurig“ – „ EU wird sich neu finden müssen“

„Die Brexit-Entscheidung stimmt traurig“, erklärt der SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Schweitzer. „Auch wenn es schwer fällt: Mit dem Austritt des drittgrößten EU-Landes aus der Europäischen Union wird die EU künftig eine andere sein. In den kommenden Monaten und Jahren wird sich die EU neu finden müssen, ein einfaches „Weiter so“ kann es nicht geben. Auch wenn vieles heute noch nicht absehbar ist, so steht doch eines fest: Viele Menschen in Großbritannien haben sich offensichtlich von Stimmungsmache leiten lassen.

Für uns bedeutet das: In Zukunft werden wir leidenschaftlicher und klarer für europäische Werte wie Freiheit und Solidarität werben müssen. Es muss eine wirtschaftspolitische Wende geben. Wachstumsimpulse müssen gesetzt, Steuerbetrug und Steuerhinterziehung müssen allerorts bekämpft werden. Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung müssen wir kompromisslos gegen radikale und populistische Rechte verteidigen.“

Schweitzer weiter: „Ein gerechtes Europa kann und wird die Menschen begeistern. Gerade Rheinland-Pfalz ist auf das europäische Einigungsprojekt angewiesen. Denn Rheinland-Pfalz liegt im Herzen Europas und pflegt enge Beziehungen zu den europäischen Staaten. Der anstehende Brexit wird verschiedene Folgen auf Rheinland-Pfalz haben, wohl auch negative wirtschaftliche Effekte. Die SPD-Fraktion wird daher beantragen, den Brexit und die Folgen für Rheinland-Pfalz im nächsten Plenum aufzurufen.“

CDU-Europaabgeordneter Werner Langen: „Bedauerlich, aber keine Katastrophe“

Das Ergebnis des Volksentscheids sei „bedauerlich, aber keine Katastrophe“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen zum Wunsch der Briten, die Europäische Union zu verlassen.

Die EU werde ihren Weg auch ohne das Vereinigte Königreich fortsetzen können, allerdings nur auf der Grundlage umfassender Reformen. Möglichen Nachverhandlungen erteilte Langen eine klare Absage. „Das Votum ist eindeutig, weitere Zugeständnisse an Großbritannien darf es nicht geben, allein schon, um Nachahmungseffekte zu vermeiden“, so Langen. „Europa muss sich stetig weiterentwickeln. Wenn ein Land diesen Weg nicht mitgehen will, kann man darauf keine Rücksicht nehmen“. Großbritannien habe aufgrund seiner Geschichte schon immer eine Sonderrolle in der EU eingenommen.

Die Stabilität der Eurozone sei nicht in Gefahr, auch wenn die Börsen erwartungsgemäß mit deutlichen Kursverlusten auf die Entscheidung reagierten. Auf Dauer müsse die EU aber auf ein neues Fundament gestellt werden. „Sowohl der Verbleib Griechenlands in der Eurozone um jeden Preis, als auch die gleichen Stimmrechte kleinerer Mitgliedstaaten bei institutionellen Entscheidungen, könnten die EU in Zukunft schwer belasten“, sagte Langen.

Er hoffe jetzt auf schnelle und konstruktive Austrittsverhandlungen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. „Die EU hat in ihrer Geschichte schon viele Krisen gemeistert und sie wird auch diese Situation überstehen. In den nächsten zwei Jahren müssen aber entscheidende Weichen für die Zukunft unseres Kontinents gestellt werden“, so Langen.

SPD-Europaabgeordnete Jutta Steinruck: „Europa braucht einen Neustart“

„Das ist eine schlechte Nachricht, denn ich bleibe überzeugt davon, dass eine EU-Mitgliedschaft von Großbritannien die bessere Lösung für die Bürger und die Beschäftigten in Großbritannien, in Deutschland und in ganz Europa gewesen wäre“, so  Jutta Steinruck, sozial- und beschäftigungspolitische Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament.

„Die Austrittsverhandlungen müssen ohne Verzögerung aufgenommen werden. Dabei darf der Austritt des Landes nicht auch noch belohnt werden. Sowohl das Vereinigte Königreich als auch die EU haben ein Interesse daran, einen ungeregelten Austritt zu vermeiden. Es kann aber keine Extrawürste und Vorteile für den Austritt geben.

Als Gewerkschafterin und als europäisch denkende Ludwigshafenerin weiß ich: die Menschen in Europa, die Unternehmen und die Arbeitnehmer sind längst Teil der Globalisierung. Diesen Prozess können wir nicht zurückdrehen. Aber wir können die Globalisierung gestalten, wenn wir uns auf europäischer Ebene gut aufstellen. Das heißt für mich: wir brauchen eine europäische Politik, die bei den Menschen ansetzt und auch bei ihnen ankommt“, so die designierte OB-Kandidatin für Ludwigshafen.

Steinruck weiter: „Wir brauchen ein Ende der Sparpolitik und statt dessen eine neue Politik für Wachstum und Investitionen in Europa. Wir brauchen ein Soziales Europa, das den Menschen ein Sicherheitsnetz garantiert und in dem Teilhabe und Chancen ernst gemeinte Versprechen sind.

Wir müssen die Demokratisierung Europas vorantreiben. Dabei muss das Europäische Parlament weiter gestärkt werden. Es muss um gemeinsame Lösungsansätze gehen, nicht um individuelle Opt-outs. Ein Soziales Europa muss die Arbeitnehmerfreizügigkeit sichern, aber Lohndumping im Binnenmarkt verhindern. Als Grundprinzip muss gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.“

Junge (AfD) zum Brexit: „Ein richtungsweisender Tag für Europa – Eurokraten müssen umdenken“

„Mit ihrem Votum für den Brexit haben sich die Briten für Souveränität und Selbstbestimmung und gegen den auswuchernden Brüsseler Zentralismus entschieden“, so der AfD-Landesvorsitzende Uwe Junge.

„Diese Entscheidung ist des Mutterlandes der modernen parlamentarischen Demokratie würdig. Selbstbewusste Briten wollen sich nicht länger von Brüssel bevormunden lassen, sondern selbst über ihr Land bestimmen. Britannien emanzipiert sich damit gegenüber der Brüsseler Eurokratie.

Denn die EU hat in den letzten Jahren zu viele staatliche Kompetenzen ohne demokratische Legitimation an sich gerissen und zwingt seither ihre Mitgliedstaaten in eine realitätsferne Wirtschafts- Finanz- und Zuwanderungspolitik.

Wenn der Brexit keinen Domino-Effekt auslösen soll, dann muss die Brüsseler Bürokratie ihre Politik der Bevormundung überdenken und zügig neu ausrichten.“

IHKs Rheinland-Pfalz: Brexit-Entscheidung im Vereinigten Königreich: Gravierende Folgen auch für rheinland-pfälzische Unternehmen

Auch die Unternehmen in Rheinland-Pfalz werden nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft der rheinland-pfälzischen Industrie- und Handelskammern (IHKs) von diesem Umbruch negativ betroffen sein.

Volker Scherer, Sprecher International der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, erläutert die möglichen Folgen für die heimische Wirtschaft: „Vermutlich werden wieder Zollschranken aufgebaut und eventuell sogar Zölle auf Warenlieferungen erhoben. Unternehmen, die Waren nach Großbritannien exportieren, werden durch die Zollverfahren zusätzlichen Aufwand und Mehrkosten schultern müssen, wie es bisher nur bei Lieferungen in Länder außerhalb der Europäischen Union der Fall ist.“

Es werde zudem voraussichtlich schwerer werden, Dienstleistungen in Großbritannien anzubieten und Personal dorthin zu entsenden: „Die Wettbewerbsfähigkeit rheinland-pfälzischer Unternehmen auf dem wichtigen britischen Markt wird leiden. Insbesondere kleine und mittelständische Firmen werden dadurch unter Druck geraten und müssen möglicherweise mit sinkenden Umsätzen in Großbritannien kämpfen“, so Scherer.

Diese und andere mögliche Änderungen in den Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien müssten nun ausgehandelt werden. „Sie treten nicht sofort in Kraft, sondern frühestens nach dem Abschluss der Verhandlungen und möglicherweise nach dem Verstreichen gewisser Übergangsfristen, also voraussichtlich erst in einigen Jahren.“

Großbritannien ist für Rheinland-Pfalz einer der wichtigsten Partner im Außenhandel. Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von rund 3,4 Milliarden Euro aus Rheinland-Pfalz in das Vereinigte Königreich geliefert, was einem Anteil von 6,7 Prozent an den gesamten rheinland-pfälzischen Exporten entspricht.

Damit liegt das Land nach Frankreich, den USA und den Niederlanden an vierter Stelle in der Rangfolge der Exportmärkte. In umgekehrter Richtung wurden 2015 Waren für mehr als 1,2 Milliarden Euro nach Rheinland-Pfalz eingeführt. Mit einem Anteil von 3,6 Prozent an den Importen belegt Großbritannien somit den 10. Platz der wichtigsten Lieferländer.

Die rheinland-pfälzischen IHKs informieren und beraten ihre Mitgliedsunternehmen zu Geschäften in Großbritannien und zu möglichen Folgen des „Brexit“, wie auch bei Fragen zu allen anderen Auslandsmärkten.

DGB Rheinland-Pfalz / Saarland: „Europa muss demokratischer und sozialer werden“

„Die knappe Entscheidung der Briten für einen EU-Austritt ist ein Schock, der allen Verantwortlichen hoffentlich klar macht, dass Europa demokratischer, sozialer und solidarischer werden muss“, so Dietmar Muscheid, Vorsitzender DGB Rheinland-Pfalz / Saarland, zur Brexit-Entscheidung der Briten. „Europa braucht nicht mehr Isolation, sondern mehr Miteinander“, so Muscheid weiter.

„Nach dem Brexit wird heute viel über abstürzende Aktien und Währungskurse geredet, es geht aber um weit mehr als nur wirtschaftliche Belange. Die europäische Idee fußt auf Frieden, Solidarität und Gemeinschaft und ist auch eine historische Konsequenz nach zwei schrecklichen Weltkriegen. Diese Idee darf nicht in Frage gestellt werden!“, mahnt Dietmar Muscheid.

Statement LVU-Präsident Dr. Gerhard F. Braun zum Austritt Großbritanniens aus der EU

„Wir bedauern den Ausgang des Referendums sehr. Nun kommt es darauf an, dass die Austrittsverhandlungen zügig geführt und zu einem Abschluss gebracht werden, der Großbritannien als Teil des Europäischen Binnenmarktes erhält“, so Braun.

Die gegenseitigen Abhängigkeiten seien viel zu groß, als dass man uns die weitgehende Desintegration des Vereinigten Königreiches leisten könnne: „Das Land ist das viertwichtigste Exportland rheinland-pfälzischer Güter. Vor allem die Kraftfahrzeugindustrie, der Maschinenbau und die Chemie wären von einem Einbruch des Warenaustauschs negativ betroffen.

Die Entscheidung ist aber auch bitter für die EU. Großbritannien steht für eine marktwirtschaftliche Politik des freien Handels. Diese Stimme wird zukünftig in der EU fehlen und Deutschland verliert damit einen wichtigen Verbündeten.

Und nicht zuletzt die Briten selbst werden den Brexit zu spüren bekommen. Alleine die Diskussion und Unsicherheit im Vorfeld des Referendums haben zu einem drastischen Rückgang der Investitionen in Großbritannien geführt. Das sind schlechte Vorzeichen für die weitere Entwicklung.“ (red)

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