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Positionspapier: Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schießt gegen Politik: „Lockdown bringt nichts“

28. Oktober 2020 | Kategorie: Nachrichten, Politik, Wissenschaft

Symbolbild: dts Nachrichtenagentur

Die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat am Dienstag ein Positionspapier von Wissenschaft und Ärzteschaft zur Strategieanpassung im Umgang mit der Corona-Pandemie veröffentlicht.

Gleichzeitig gab es ein Online-Statement der KBV mit den Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit zu weiteren Corona-Maßnahmen – kurz bevor nachmittags das Bundeskabinett zusammentraf, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Das Papier wurde von dutzenden ärztlichen Berufsverbänden in Deutschland unterzeichnet.

Kurz zusammengefasst: Alle mahnten eine Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen an. Man solle nicht ausschließlich auf Neuinfektionen „starren“, sondern beispielsweise auch auf die Hospitierung und Schwere der Krankheitsverläufe schauen. Und ein Lockdown werde die Lage nicht verbessern, sondern lediglich viele „Kollateralschäden“ anrichten – darin war man sich einig.

Schmidt-Chanasit sagte, es mache keinen Sinn, Hotels, Gaststätten oder Theater zu schließen, denn dort gebe es Hygienekonzepte. „Wir vergeuden so Ressourcen. Kraft und Geld, das man besser an den „richtigen“ Stellen einsetzen könne. Die einfachen Maßnahmen (AHA-Regeln, Lüften, Corona-Warnapp) sollten besonders bei Zielgruppen kommuniziert werden, die sich nicht an die Regeln hielten oder „die nicht so gut deutsch sprechen oder deutsches Radio hören.“ Das sei bislang versäumt worden. Man könne zudem die WHO häufiger konsultieren, diese habe jahrzehntelange Erfahrung mit der Bekämpfung von Pandemien. Risikokontakte zu reduzieren sei indes eine sinnvolle Maßnahme.

Andreas Gassen von der KBV übte harsche Kritik an der Politik: Der Winter käme „jedes Jahr zur selben Zeit“, man habe Zeit genug gehabt, Maßnahmen in den Schulen zu ergreifen. Jetzt die Kinder anzuweisen, Jacken und Decken mitzubringen, sei nicht gut: „Diese Generation ist bereits genug gebeutelt.“ Schmidt-Chanasit fügte hinzu: „Nach jeder Unterrichtsstunde lüften reicht völlig aus. Schulen und Kitas sind keine Pandemie-Treiber.“

Streeck stellte klar: Man dürfe die Pandemie nicht verharmlosen, aber: „Wir müssen mit der Pandemie noch lange leben, auch wenn es einen Impfstoff gibt.“ Das Virus verschwinde nicht „einfach so“ wieder. Deshalb müssten alle Maßnahmen so gestaltet sein, dass sie in das Lebenskonzept der Menschen passten. „Ein Lockdown rettet uns nicht lange.“

Auch Gassner ist überzeugt: Ein Lockdown bringt nichts. „In den Nachbarländern hat man das gemacht und Infektionszahlen schießen ungedeckelt in die Höhe. Wir wissen alle nicht genau, wie wir es wirklich hinbekommen können. Aber der Lockdown ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Man schlägt den Sack und meint den Esel.“ Restaurants müssten schließen, „illegale“ Partys fänden trotzdem statt.

Stephan Hofmeister vom KBV appellierte dafür, die Bevölkerung positiv zum Mitmachen zu motivieren und seitens der Politik nicht ständig „Drohszenarien“ aufzubauen. Jüngstes Beispiel sein Weihnachten: „Da heißt es oft: Wenn wir jetzt nichts tun, gibt es kein Weihnachten.“ Damit gewinne man die Bevölkerung nicht: „Die Leute machen das nicht mehr mit.“

Kernthemen des Positionspapiers

  • Abkehr von der Eindämmung alleine durch Kontaktpersonennachverfolgung.
  • Einführung eines bundesweit einheitlichen Ampelsystems anhand dessen sowohl auf Bundes- als auch auf Kreisebene die aktuelle Lage auf einen Blick erkennbar wird.
  • Fokussierung der Ressourcen auf den spezifischen Schutz der Bevölkerungsgruppen, die ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben.
  • Gebotskultur an erste Stelle in die Risikokommunikation setzen („Gebote anstelle von Verboten, auf Eigenverantwortung setzen anstelle von Bevormundung“). (cli)

https://www.kbv.de/media/sp/2020-10-28_KBV-Positionspapier_COVID-19.pdf

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