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Pfalz-Express-Interview mit Schriftsteller und Arzt Jakob Leiner: „Kunst muss gestärkt werden“

Jakob Leiner
Quelle: privat

Landau/Freiburg. Unlängst erschien im Brot&Kunst Verlag, Haßloch, das neueste Werk des Schriftstellers und Arztes Jakob Leiner, der im südpfälzischen Landau aufgewachsen ist.

Der Pfalz-Express (PEX) führte mit dem 30-Jährigen ein kleines Interview.

PEX: Herr Leiner, Sie sind in Landau ja kein Unbekannter. Als Sohn einer angesehenen Musikerfamilie war Ihnen die Kultur schon als Kind vertraut.

Sie waren, zusammen mit Ihrem Bruder Johannes, in der Jugendzeit Mitglied im Landes- und sie selbst im Bundesjugendorchester. Wie kam es dazu, dass Sie sich in Richtung Literatur gewandt und nicht wie er, ausschließlich die Musik weiterverfolgt haben?

J.L.: Tatsächlich kam zu Beginn des Medizinstudiums in mir erstmals der Wunsch auf, zu schreiben. Rückblickend kann ich gar nicht genau sagen, wieso genau. Wahrscheinlich war mit dem klassisch-musikalischen „Background“ in Familie und Freundeskreis jedoch auch ein gewisser Ablösungsgedanke bzw. die angestrebte Schärfung eines eigenen Profils daran beteiligt.

Mein Bruder gründete zudem noch in der Jugendorchesterzeit sein Blechbläser-Ensemble „LJO-Brass“, das nach wie vor aktiv konzertiert, zum Beispiel im Rahmen einiger Weihnachtskonzerte in Landau und Umgebung. Hier hatte er stets Übeziele und Probetermine, während ich in einer Art musikalischen Leerstelle mit Anfang 20 den Entschluss fasste, mich im Schreiben zu probieren.

PEX: Welche Bedeutung nehmen denn die Gedichtvertonungen in Ihrem künstlerischen Werk ein?

J.L.: Da die Musik nach wie vor eine große Rolle in meinem nicht nur schriftstellerischen Leben spielt und ich sie gewissermaßen auch als künstlerische Basis begreife, bin ich sehr froh, dass bereits vier meiner Gedichte zu einem Liederzyklus für Baritonstimme und Klavier vertont wurden. Der Münchner Komponist Henrik Ajax hat den poetischen Inhalt in wunderbarer Weise in Musik gefasst und den Worten so eine neu-vertraute Gestalt verliehen.
„RHYTHMUSSTÖRUNG“ – so der Titel des Zyklus – wurde im Januar 2020 von Kathrin Isabelle Klein und Manuel Adt in der Seidlvilla in München uraufgeführt und ich freue mich, dass in wenigen Tagen, nämlich am 19.04.2021, nun die Erscheinung des Werkes auf allen bekannten Streaming-Portalen (Spotify, Apple, Amazon, etc.) ansteht.

PEX: Was reizt Sie am Wort und welche Möglichkeiten bietet die Literatur, was die Musik nicht kann?

J.L.: Ich denke in dieser Hinsicht nicht hierarchisch, deswegen war mir auch stets die Verbindung von Musik und Wort wie bspw. in der Gattung Kunstlied sehr nahe. Jede Kunstform kann immer alles oder sollte es zumindest dürfen. Am geschriebenen Wort reizt mich wohl (noch) seine unmittelbare Macht Stimmungen zu übersetzen – und zwar in der Tat mit einem hochkomplexen Weg über die Sprachzentren im Gehirn, sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Ein faszinierender Vorgang.

PEX: Nun ist ja Lyrik für viele Menschen nicht einfach zu verstehen. Wie kann man denn trotzdem Zugang dazu gewinnen?

J.L.: Indem man seinen Assoziationen freien Lauf lässt und das rationale Verstehen einmal zurückstellt. Dann beginnt man, die erweckten inneren Bilder zu betrachten.

PEX: Prosa oder Lyrik – was gibt Ihnen mehr?

J.L.: Aktuell die Lyrik, aber das ändert immer mal wieder in unvorhersehbarer Art und Weise. Ich lese viel, aber doch oft nach dem Lustprinzip.

PEX:  Sie sind als Arzt in Freiburg tätig. Gewinnen Sie aus dieser Tätigkeit Impressionen, die für Ihre schriftstellerische Arbeit wertvoll sind?

J.L.: Das kommt in der Tat vor. In meinem Gedichtband „Ikarische Nummern“, der 2019 im Stuttgarter Radius Verlag erschien, sind zum Beispiel einige Gedichte vertreten, die ihren gedanklichen Anfang eindeutig im chirurgischen OP-Saal hatten. Durch den Arztberuf kommt man immer in Kontakt mit verschiedensten Menschen, das bringt Inspirationen natürlicherweise mit sich.

PEX: Beschreiben Sie doch einfach, wie Sie an ein Thema herangehen und es ausarbeiten…

J.L.: Ein Gedicht entsteht mit einer Idee, diese kann mal länger zur Reifung benötigen, mal einschießen wie ein Blitz. Ist diese Idee geboren, als lose Wortfolge, Halbsatz oder Aphorismus, mache ich mir Gedanken über eine passende Form. Das schließt in der Regel Versmaß und Komponenten der Textdarstellung mit ein. Dann baue ich um die Idee herum, die sich in diesem Prozess auch selbst wieder verändern kann, das Gedicht. Die Ausarbeitung erfolgt hierbei meistens digital, am Laptop oder Handy. Vor allem Lyrik entsteht dabei oft auch „to go“, das heißt unterwegs in Straßenbahn, Zug oder beim Spaziergang. Die Aussagekraft der Momente muss stimmen, der Ort ist tatsächlich nachrangig. Wenn ein Zurückziehen nicht möglich ist, wird in Sätzen oder Versen grob skizziert und das intuitiv Gefundene später weiter ausgeführt. Die Idee darf man nicht vergessen.

PEX: Warum sollte man sich unbedingt mit Ihrem neuen Werk „klein.odien.woche“ auseinandersetzen?

Der Großteil des Buchs entstand vor circa zwei Jahren, als ich mich noch im „Praktischen Jahr“, dem finalen Abschnitt des Medizinstudiums, befand. Die kurzen, sehr abwechslungsreichen Gedichte, 7×7 an der Zahl, fungierten in dieser Zeit als anhängliche Wegbegleiter, Zeitmesser, Überbleibsel klarer wie verworrener Momente, Talismane: Kleinodien einzelner Tage für jeden anderen Tag.
Gerade das chirurgische Tertial in Basel hatte nachhaltigen Einfluss auf das entstehende Buch, wenn auch nicht in unmittelbar textlicher Form. Das chirurgische Nahtmaterial, mit dem wir angehende Ärzte an Schweinefüßen übten, brachte ich stattdessen aufs Papier: Seiner ihm zugedachten Funktion entfremdet entstand als minimalistisches Kunstwerk der meist nicht schnurgerade Leitfaden. Sieben dieser Fadenbilder bilden die grafische Komponente des Buchs, hier farblich invertiert auf schwarzem Hintergrund.
Mit dem „Brot & Kunst Verlag“, einem der wenigen überregional bekannten Verlage im Pfälzer Raum für zeitgenössische Belletristik und geführt von Florian Arleth, fand sich zu meiner Freude eine passende Publikationsmöglichkeit in der Reihe „Lyrik im Quadrat“. Letztlich entstand ein Buch, das für keine Jackentasche zu groß und für jede (WG-)Küche quasi ein Muss ist – „Lyrik im Quadrat“ für unterwegs und zwischendurch.

PEX: Wie wirkt sich denn Corona für Sie im künstlerischen Bereich und für Sie als Arzt momentan aus?

J.L.: Im schriftstellerischen Bereich ist der wiederholte Ausfall der Buchmessen und Präsenz-Lesungen sehr bedauernswert, zum Glück kann man Bücher aber ja noch unkompliziert erwerben und an einem Ort seiner Wahl lesen. Insgesamt ist der Kultur-Shutdown jedoch schwer zu ertragen. Durch meine aktuelle ärztliche Tätigkeit im „Freiburger Institut für Musikermedizin“ bekomme ich auch die gesundheitlichen Auswirkungen, die ein solches Berufsverbot gerade bei vielen jüngeren Musikern und Künstlern nach sich zieht, regelmäßig mit. Die Welt ist ohne Kultur eine unverständlichere. Reicher im nicht materiellen Sinne und empathischer macht die Kunst, deswegen muss sie gestärkt werden – hier hoffe ich, das sei an dieser Stelle erlaubt, in Zukunft auf größeren politischen Willen.

Quelle: Verlag Brot&Kunst

Neues Buch (2021)

klein.odien.woche
Umfang: 116 Seiten
Genre: Lyrik, abstrakt

Der Autor selbst schreibt dazu:
klein.odien.woche umfasst 7×7 kurze Gedichte als anhängliche Wegbegleiter, Zeitmesser, Überbleibsel klarer wie verworrener Momente, Talismane – Kleinodien einzelner Tage für jeden anderen Tag.

Weitere Infos: www.jakobleiner.com [1]

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