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Pfalz-Express-Interview mit Dr. Maximilian Ingenthron: „Das, was uns verbindet, muss stärker sein als das, was uns trennt“

Dr. Maximilian Ingenthron im Gespräch mit dem Pfalz-Express.
Foto: Rolf H. Epple

Der Pfalz-Express (PEX) führte mit dem Bürgermeister der Stadt Landau, Dr. Maximilian Ingenthron, ein ausführliches Interview.

PEX: Ich weiß, dass Sie früher Marathon gelaufen sind. Wie halten Sie sich persönlich fit in diesen Zeiten?
M.I. Sport ist entscheidend wichtig für die innere Stabilität und das persönliche Wohlbefinden. Auch wenn es längst keine Marathondistanz mehr ist: Laufen bleibt für mich unverzichtbar.

PEX: Wie sieht das aus?
M.I. Zweimal in der Woche, donnerstags um 5:30 Uhr und sonntags vormittags – dann aber eine längere Strecke. Das ist ein guter Rhythmus.
Ohne Musik, ohne äußere Einflüsse – die Zeit ist gut zum Nachdenken. Neulich habe ich früh morgens im Westen den Vollmond untergehen und kurz darauf im Osten die Sonne aufgehen sehen. Was für ein wunderbares Naturschauspiel!

PEX: Wohin geht’s denn dann?
M.I. Unter der Woche durch die Stadt. Sonst meist Richtung Haardtrand. Das ist herrlich. Und im Urlaub dann in völlig anderer Umgebung. Ich werde nie einen Lauf am frühen Morgen durch Washington vergessen – die Treppenstufen hoch zum Lincoln Memorial und um den Obelisken herum…

PEX: Wie haben sich Ihre Ziele seit 2015 (der OB-Wahl) verändert?
M.I. Sicher ist es so, dass die Verantwortung und die Gestaltungsmöglichkeiten des Amtes prägen. Es geht darum, unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen und das, was erforderlich ist, mit Sinn und Verstand umzusetzen. Meine Grundhaltung hat sich dabei nicht geändert: Es geht um soziale Solidarität, um ein gutes Miteinander in Demokratie und Selbstbestimmung.

PEX: Gibt es Geschichten dazu?
M.I. Zum Glück viele; mehr als hierfür in diesem Rahmen Platz ist. Denken wir an die vielen Vereine. Niemand ist gezwungen, sich dort zu engagieren. Jeder könnte seine Zeit anders und privat verbringen. Aber in Landau stehen etliche tausend Menschen beispielhaft dafür: Es lohnt sich. Man gibt damit etwas an die Gesellschaft zurück. Das will ich gerne nach Kräften fördern.

PEX: Sie stehen dem Dezernat 2 vor. Da gibt es verschiedene Sparten. Haben Sie ein „Lieblings-Baby“?
M.I. Wenn Sie so wollen: Jugend und Alter. Besonders hervorheben will ich die Arbeit, die in unseren Schulen geleistet wird. Das Engagement und die Vielfalt dort sind außerordentlich beeindruckend. Wir unterstützen die Schulen, wo wir können. Ich sehe vor allem auf dem Feld der Digitalisierung unsere größte Herausforderung. Und mich berührt der Einsatz aller, die in der Pflege arbeiten. Ein unglaublich wichtiges Thema. Gerade jetzt!

PEX: Die jetzige Situation…
M.I. Eine beispiellose Lage, die zeigt: Wir sind als Individuen und als Gesellschaft verletzlich. Im Leben geht es nicht nur um immer schneller, höher, weiter und um mehr Geld und Profit. Das Leben fordert von uns Sensibilität, Achtsamkeit und Geduld. Aber eines ganz gewiss nicht: Ellenbogenmentalität.
Begreifen wir dieses Innehalten als eine ganz große Chance für die Gesellschaft. Wir können als Stadt daran wachsen.

PEX: Und was ist mit den Abiturienten? Ihnen wurde ja vieles genommen…
M.I. Das Schuljahr ist beendet für die 13. Jahrgangsstufe. Die Abiturienten haben ihr Zeugnis bekommen. Abifeiern im klassischen Sinn gab es leider nicht und so etwas kann wohl kaum nachgeholt werden. Das ist sicher eine Riesenenttäuschung, aber auch hier werden die Schüler wichtige Erfahrungen aus dieser außergewöhnlichen Zeit mitnehmen.

PEX: Welche Ratschläge können Sie den Schülern mitgeben?
M.I. Mutig sein, den eigenen Weg zu gehen. Zum Leben gehört, dass man irrt, dass man Fehler macht, aber auch das Wissen, dass man die Weichen anders stellen kann. Ich habe auch einmal das Studienfach gewechselt, von der BWL zur Geschichte. Aber egal, wie die persönlichen Umstände sind und die Wege gehen: Die Hauptsache im Leben ist, dass das „Ich“ und das „Wir“ stets in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.

PEX: Kultur – Bildung – Volkshochschule? Wie steht es mit der VHS?
M.I. Das Programm ist mit viel Erfahrung und Sorgfalt zusammengestellt worden. Seit dem 13. Mai können wir wieder unsere Kurse anbieten, allerdings mit zahlreichen Einschränkungen. Die VHS ist wichtig für die Weiterbildung und ist natürlich auch ein Kommunikationstreffpunkt. Das haben wir in der aktuellen Situation wieder deutlich feststellen können.

PEX: Kultur – Bildung – Landau? Wie wichtig ist das für die Stadt?
M.I. Unverzichtbar! „Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig“, das ist ein sehr kluges und zutreffendes Wort von Johannes Rau. Will heißen: Kultur gehört zu unserem Leben. Sie ist Genuss, bietet Inspiration, regt zur Auseinandersetzung an und ist zugleich die schönste Ausprägung einer freien und demokratisch verfassten Gesellschaft.

PEX: Die liegt danieder…
M.I. Sie kämpft. Und sie muss ein Stück weit neue Wege gehen. Unsere Aufgabe ist es, die Akteure dabei zu unterstützen. Ein gutes Beispiel sind Streaming-Angebote. Ein Modell, wie man Menschen auch anders erreichen kann.

PEX: Ist das für die Zukunft ein interessantes Format?
M.I. Das ist ein weiteres Angebot, aber sicher kein Ersatz. Das Ganze lebt vom Austausch und der unmittelbaren Begegnung. Ein Musiker oder Schauspieler will ja spüren, will sehen, wie er ankommt. Und für uns als Publikum geht es auch um das gemeinschaftliche Erleben, ganz direkt und ungefiltert.

PEX: Haben Sie Rückmeldung von Veranstaltern bekommen, die nicht wissen, wie es weitergeht?
M.I. Ja, das habe ich. Da sind berufliche Existenzen bedroht.

PEX: Auch die Stadt hilft mit einem Förderprogramm…
M.I. Ja, aber die Stadt kann nur begrenzt helfen, und die Zielrichtung ist das Ehrenamt. Wir helfen jenen, die nicht von anderen Förderprogramm profitieren können. Das könnte ein Verein sein, der sein Programm momentan nicht anbieten kann und dem Kosten durch Streaming entstehen.

PEX: Zu etwas ganz anderem: 2018 erlebte Landau zwei Starkregenereignisse. Nun heißt es, man sollte die Rückstauklappen überprüfen lassen. Sie sind Verwaltungsratsvorsitzender des EWL: Wie wichtig ist die Hochwasservorsorge?
M.I. Enorm wichtig. Und es geht da oft um viel mehr als Rückstauklappen. Grundsätzlich gilt: Das Kanalnetz kann nicht so ausgebaut werden, dass es jedes Starkregenereignis aufnimmt. Das funktioniert nur als Gemeinschaftsleistung von Stadt und den jeweiligen Grundstückseigentümern. Der EWL, das Hochwasserberatungszentrum des Landes, die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd und ein von uns beauftragtes Fachbüro arbeiten dabei eng zusammen. Wir planen Ortsbegehungen um zu schauen, wo es konkret Defizite gibt. Wir werden auch Workshops anbieten. Wir wollten eigentlich schon weiter sein. Die ersten Veranstaltungen sind Corona zum Opfer gefallen, die wollen und werden wir nachholen.

PEX: Was hört man eigentlich vom Scherbentelefon? Das geht ja auf Ihre Initiative zurück…
M.I. Ich hatte zuvor davon gelesen, dass es das in Worms gibt, und fand es clever. In Landau wird es sehr gut angenommen. Wir haben auch bei Whatsapp eine Nummer hinterlegt. Das läuft enorm! Klar ist aber auch: Bevor man meldet, dass irgendwo eine Papiertüte liegt, könnte man durchaus auch selbst die Tüte in den nächsten Müllbehälter werfen.

PEX: Dieses Jahr wird ja die Städtepartnerschaft zwischen Landau und der elsässischen Stadt Ribeauvillé gefeiert…
M.I. Die beiden Städte sind seit 1960 miteinander verbunden. Das war drei Jahre vor dem Elyséevertrag – ein durchaus historisches Ereignis.
Ribeauvillé ist ein wunderbares Städtchen. Eine phänomenale Veranstaltung ist der „Pfeiffertag“ Anfang September: Ein unfassbar phantasiereicher Umzug mit tausenden von Teilnehmern und sagenhaft kreativen Motivwagen. Wir haben ein herzliches Verhältnis zur Partnerstadt. Ich wünsche mir, dass wir das Partnerschaftsjubiläum tatsächlich miteinander feiern können.

PEX: Wurde den Partnerstädten Masken angeboten?
M.I. Wir haben angeboten zu helfen. Das machen wir gerne. Ich kann nur für die enge Freundschaft weiter werben. Gerade in diesen Tagen, in denen wir erleben, dass Elsässer in der Südpfalz beschimpft, ja gedemütigt werden. Wie primitiv und kleingeistig muss man sein, um so etwas zu tun?

PEX: Und Ruanda?
M.I. Der Landauer Freundeskreis hat in den vergangenen Jahrzehnten Enormes für Ruanda tun können, mit dem „Ruhango-Markt“ als Flaggschiff. Über den EWL gibt es auch eine Zusammenarbeit. Wir hatten Anfang Dezember Gäste hier. Aktuell wollen wir unsere Partner beim Ausbau der Wasserversorgung unterstützen.

PEX: Stichwort „Dialog der Kulturen und Religionen“?
M.I. Das ist enorm wichtig. Nichts kommt von selbst und nichts ist selbstverständlich, was Demokratie ausmacht. Das muss man sich jeden Tag erarbeiten.
Man darf nicht in Stereotypen denken, damit das Zusammenleben funktioniert. Es darf keine Parallelgesellschaften geben. Wir wollen nicht nebeneinander, sondern miteinander leben. Das gilt für alle, egal welcher Herkunft, Religion und Weltanschauung.

PEX: Sie sind ja als ausgleichender Mensch bekannt. Wie bringt man Parteibuch und Bürgerwohl zusammen?
M.I. Beides ist wichtig. Ich habe eine politische Herkunft, die mich prägt und die mich auch leitet. Landau ist meine Heimat, ich bin hier aufgewachsen und habe trotz meiner intensiven politischen Arbeit in Mainz nie meine enge Bindung verloren und immer den Einfluss über die Kommunalpolitik gesucht. Ich war ja schon seit 1989 Mitglied des Stadtrats! Jedenfalls bin ich stolz und dankbar, die durchweg positive Entwicklung von Landau in den letzten Jahren mitgeprägt zu haben und hoffe sehr, dies noch weiter aktiv und maßgeblich tun zu können.
Auf alle Fälle gilt: Das, was uns verbindet, muss auf jeden Fall stärker sein als das, was uns trennt. Ob eine Gesellschaft funktioniert, entscheidet sich in der Mitte. Nur daraus erwächst die Kraft, die Gesellschaft weiter zu bringen. Das geht nur im Zusammenhalt.

PEX: Was bedeutet für Sie die Erinnerungskultur?
M.I. Das ist für mich eine absolute Herzensangelegenheit. Ein gutes Beispiel sind die Stolpersteine. Vergangenheit bedeutet Verantwortung. Nur wer aus der Geschichte lernt und die Lehren konsequent umsetzt, wird die Weichen für die Zukunft richtig stellen.

PEX: Bei den Landauer Straßen kennen Sie als Historiker auch Namen, die nicht mehr zu unserer Zeit passen.
M.I. Wir lassen derzeit alle Straßennamen durch unser Stadtarchiv kritisch überprüfen. Und dann ziehen wir Bilanz und entscheiden. Es gibt viele Aspekte, die man bei einer Benennung und deren Beurteilung bedenken muss. Es geht ja am Ende nicht nur um Straßennamen. Man denke an den Löwen am Deutschen Tor oder an die Darstellung der Juden in der Katharinenkapelle.
Stichwort Hindenburgstraße: Die Straße wurde schon vor der NS-Zeit benannt, zum gleichen Zeitpunkt wie die Friedrich-Ebert-Straße – Mitte der 1920er Jahre. Trotzdem war Hindenburg als politischer Akteur aus demokratischer Perspektive destruktiv. Ich sage nur „Dolchstoßlegende“. Die Ehrenbürgerschaft, in der NS-Zeit verliehen, ist ihm zu Recht vom Stadtrat postum aberkannt worden.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Desirée Ahme

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