- Pfalz-Express - https://www.pfalz-express.de -

Nahost-Expertin und RTL-Chefreporterin Antonia Rados in Kandel: Arabische Welt im Umbruch – „Flüchtlingsströme hat es immer gegeben“

Antonia Rados´ Vortrag stieß auf großes Interesse.
Fotos: Pfalz-Express/Licht
Fotos:

Kandel – „Die arabische Welt im Umbruch – Gefahr oder Hoffnung“ lautete der Titel eines Vortrags, den die bekannte RTL-Journalistin Dr. Antonia Rados in auf Einladung der Sparkasse Germersheim-Kandel in Kandel hielt.

Das Interesse war riesig, rund 500 Zuhörer waren gekommen, um die Nahost-Kennerin und Auslands-Chefreporterin der RTL-Mediengruppe zu hören.

Die promovierte Politologin, Österreicherin, Jahrgang 1953, ist seit vier Jahrzehnten in den Krisenregionen im Nahen Osten als Reporterin unterwegs und gilt neben dem verstorbenen Journalisten und Autor Peter Scholl-Latour [1] als die Kenner der Region. Sie führte Interviews mit Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi oder Palästinenerführer Jassir Arafat und traf Piraten in Somalia.

Um es vorweg zu nehmen: Die Frage „Chance oder Hoffnung“ wurde letztendlich nicht beantwortet. Eine Voraussage, wohin die Entwicklung in der unruhigen Region gehen werde, wolle sie nicht machen, sagte Rados.

Soundcheck eine Stunde zuvor.

Willkürliche Grenzen

Einen großen Teil des Vortrags nahm der geschichtliche Abriss ein. Rados schlug einen Bogen von den ersten Muslimen, die von der Arabischen Halbinsel aus riesige Gebiete in Nordafrika und Teile Europas eroberten, über das blühende Bagdad im Mittelalter mit seinen Universitäten und Krankenhäusern, die Zerstörung durch die Mongolen, das Osmanische Reich bis hin zu den französischen und britischen Protektoraten in Syrien, Jordanien, dem Libanon und dem Irak nach dem 1. Weltkrieg.

Rücksicht auf Stammensgrenzen und -beziehungen wurde seinerzeit nicht genommen – und so sorgen die von den Europäern damals willkürlich gezogenen Grenzen bis heute immer wieder für Unruhen in den einzelnen Staaten, weil die zuvor gewachsenen politischen und ethnischen Strukturen schlichtweg übergangen wurden.

PEX

Diktatoren-Dilemma

Dass die USA in den vergangenen Jahrzehnten im wirtschaftlichen Interesse (Öl) Kriege in der Region führten und sich als Schutzmacht für die Erdöl exportierenden Länder installierte, hat nach Rados´Meinung gleichfalls nicht zu Stabilität beigetragen. Über eine Trillion Dollar haben die USA für kriegerische Akte ausgegeben, vorgeblich, um Frieden und Demokratie herzustellen oder zu sichern – genützt hat es nicht.

Auch Diktatoren wie Muammar al-Gaddafi (Libyen), Hosni Mubarak (Ägypten) oder früher Saddam Hussein (Irak) brachten den Westen in ein Dilemma. „Ein Werte-Import von Demokratie und Menschenrechten hat nicht stattgefunden“, so Rados. Wenigstens Stabilität habe man sich im Westen von einer autokraten Herrschaft erhofft – am Ende aber gar nichts bekommen: „Weder Demokratie noch Stabilität.“ Die Region habe sich weiter zu einem Pulverfass entwickelt.

Schlechte Bedingungen in den Heimatländern

Der arabische Raum ist flächenmäßig doppelt so groß wie Europa, 350 Millionen Menschen bevölkern das Gebiet (Europa: rund 500 Millionen).

Es ist eine junge Gesellschaft – zwei Drittel sind unter 30 Jahre alt. Trotzdem gibt es eine hohe Anzahl an Analphabeten, viele haben schlechten oder keinen Zugang zu Bildung und Jobs, in zahlreichen Gegenden nicht einmal fließendes Wasser oder Strom. Dazu kommen Kriege wie in Syrien und die Bildung von Terrororganisationen wie der „Islamische Staat“.

Die Menschen flüchten – aber große Flüchtlingsströme wie im Jahr 2015 [2] seien nicht neu, sagte Rados. Schon immer habe es Umwälzungen und Umbrüche gegeben, auch innerhalb Europas. Diese hätten aber oft gleichzeitig große Erfindungen und Neuerungen hervorgebracht.

Dennoch gebe es auch gut entwickelte Länder wie beispielsweise den Iran. Dort betrage der Frauenanteil an Universitäten 50 Prozent. Kopftuch müssen sie trotzdem tragen.

Der Iran und vor allen Dingen die Türkei seien die neuen Stabilitätsfaktoren im vorderen Orient, denen sich auch andere Länder zuwenden würden. „Gerade der türkische Präsident Erdogan ist trotz seiner Hinwendung zu einem autoritären Führungsstil im gesamten arabischen Raum unglaublich beliebt“, sagte Rados. „Sie können sich kaum vorstellen,  wie sehr.“

Flüchtlinge und Handys

Die digitale Revolution hat den arabischen Frühling ermöglicht, sagte Antonia Rados. Als Arabischen Frühling bezeichnet man gemeinhin eine im Jahr 2010 beginnende Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in verschiedenen Ländern der Arabischen Welt.

„Handy sind im Nahen Osten billig“, erklärte Rados. „Chinesische Kopien.“ Handy-Verträge gibt es meist nicht, für wenige Euro kann man lange telefonieren und surfen. Auch Analphabeten könnten Smartphones gut nutzen. Rados schilderte, wie sie einer des Lesens und Schreibens unkundigen Frau als Dank für ein Interview ein Handy schenkte und diese binnen weniger Minuten damit zurecht kam. „Vielleicht verstehen Sie nun die Flüchtlinge besser. Jeder hat ein Handy – es bedeutet Kontakt, Kommunikation, Information, wenn auch manchmal nur in Bildern.“

Informationen im eigenen Blickwinkel: „In Europa werden Frauen verprügelt“

Rados trifft vor einiger Zeit einen Mullah, einen islamischen Rechts- und Religionsgelehrten. Der plant eine Reise nach Europa und informiert sich im Internet über die hiesigen Gepflogenheiten – auch was Frauen angeht. Er kommt zu dem Schluss, dass in Europa nahezu alle Frauen von ihren Männern verprügelt werden. Antonia Rados versucht, ihn davon zu überzeugen, dass seine Informationen nicht zutreffen, argumentiert, dass Frauen in Europa „zumindest theoretisch“ den Männern gleichgestellt sind. Sie schafft es nicht, der Mufti hält an den Informationen fest, die er sich beschafft hat.

Diese Episode berichtete Rados und meinte zu den Zuhörern: „Vielleicht es es ähnlich, wenn Sie im Internet etwas über den Islam googeln. Jeder sucht sich das aus, was er am besten brauchen kann.“

Gespräche bei Häppchen und Sekt

Der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Germersheim-Kandel, Siegmar Müller, dankte im Anschluss der Referentin für die „interessante Zeitreise“. Danach gab es Häppchen und Sekt für alle Besucher, die sich noch weiter mit Antonia Rados in persönlichen Gesprächen austauschen konnten. (cli)

 

 

 

Print Friendly, PDF & Email [3]