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Missbrauch in Kandeler Kita: Stadtspitze steht zu Kündigungsgründen

Stadtratssitzung am 21. September 2021 in der Bienwaldhalle.
Fotos: Pfalz-Express/Licht

Kandel – Krach gab es am Dienstagabend auf der Sitzung des Kandeler Stadtrats.

Die Fraktionen der Freien Wähler und der Linken hatten einen Antrag gestellt. Es ging um das Vorgehen und das Informationsverhalten der Stadt bezüglich der Kündigung der langjährigen Leiterin der Kita „Am Wasserturm“.

Der Leiterin war am 23. Dezember 2019 von der Stadt Kandel außerordentlich gekündigt worden. Ihr wurden von der Stadt Versäumnisse ihrer Meldepflicht im Zusammenhang mit dem Verdacht des Kindesmissbrauchs zur Last gelegt. Der Erzieher [1], der die Übergriffe an den Kindern begangen hatte, wurde inzwischen zu vier Jahren Haft verurteilt.

Der Kita-Leiterin wurde im Verlauf des Rechtsstreits von zwei Gerichtsinstanzen regelkonformes Verhalten attestiert. „Sie wurde durch beide Gerichtsurteile vollumfänglich rehabilitiert und Ihre Reputation wiederhergestellt. Ihre berufliche Vita wurde durch die Gangart der verantwortlichen Entscheidungsträger der Stadt Kandel respektlos beschädigt“, so hatten FWG und Linke mehrfach kritisiert. Hinzu käme, dass die Kita-Leiterin seit Jahren als gesundheitlich Schwerbeschädigte gelte und zudem dem Personalrat der Stadt Kandel angehöre.

Sieben Fragen an die Stadt

Der Antrag der beiden Fraktionen beinhaltete sieben Fragen, die die Stadtspitze und insbesondere Stadtbürgermeister Michael Niedermeier (CDU) beantworten sollten. *

„Wir sind nicht Anwälte der Klägerin“, sagte Ludwig Pfanger (FWG) auf der Sitzung. „Aber von der Stadtspitze wurden Fehler gemacht, die jetzt nicht mehr oder nur schwer zu korrigieren sind.“ Der Stadtrat sei nicht frühzeitig informiert worden, berief sich Pfanger auf die Gemeindeordnung. „Jedes Mal, wenn wir nachgefragt haben, sind wir immer vertröstet worden.“

Auch Achim Eich von der Linken sagte, die Stadtspitze fühle sich „immer noch im Recht. Aber es gab keine Transparenz.“ Es gehe auch um einiges an Geld.

Drei Leiterinnen für zwei Kitas

Die Stadt hatte der Leiterin nämlich nach den beiden Urteilen ein Beschäftigungsangebot machen müssen. Sie soll nun Leiterin der im Bau befindlichen Kita „Pestalozzistraße“ werden, möglicherweise  in „vorbereitender Tätigkeit“, sagte Niedermeier. Für die Kita am Wasserturm hatte man eine neue Leiterin eingestellt und den zuerst bestehenden befristeten Vertrag in einen unbefristeten umgewandelt. Auch die Leiterin der anderen städtischen Kita hat einen unbefristeten Vertrag. Dass man nun drei Kita-Leiterinnen für zwei städtische Kitas in Kandel habe, hatten Linke und FWG schon vor einigen Wochen kritisiert.
Dadurch fallen natürlich deutlich mehr Personalkosten an. Die beliefen sich derzeit auf rund 42.000 Euro, erklärte Niedermeier.

„Nicht öffentlich breittreten“

Nach der Verlesung der Fragen aus dem FWG/Linke-Antrag ging es hoch her in der Bienwaldhalle, in der die Sitzung stattfand. Die Stadtspitze, in der Hauptsache Stadtbürgermeister Niedermeier und sein Stellvertreter, der Erste Beigeordnet Michael Gaudier, wollten die Vorwürfe nicht gelten lassen und warteten mit großem Geschütz auf: Der Linken und der FWG warfen sie vor, nur ans Geld zu denken. Zum Schutz der Opfer solle man das Geschehene nicht „öffentlich breittreten“, sagte Gaudier vorwurfsvoll. Das sei mit dem öffentlichen Antrag nun passiert. „Wer hat von euch nach dem Wohl der Kinder gefragt?“ Proteste von Pfanger wurden vorerst nicht zugelassen. „Jetzt redet der Beigeordnete“, fuhr Niedermeier dazwischen.

„Eltern sind zusammengebrochen“

Nach Bekanntwerden der Verhaftung des nun Verurteilten habe man „die schlimmste Sitzung“ gehabt, an die er sich überhaupt erinnern konnte, so Gaudier weiter. Man sei mit der Kripo, der Kreisverwaltung und den Eltern der Kita-Kinder zusammengesessen. „Es lief so schrecklich ab, dass Eltern zusammengebrochen sind. Wir haben Personen aus dem Saal geführt. Und Ihr stellt nur den finanziellen Schaden in den Raum.“

„Nicht selbstherrlich gehandelt“

Die Begründung des Urteils aus der 2. Instanz liege noch nicht vor, man werde aber keine Beschwerde mehr einleiten, sagte indes Michael Niedermeier. Den Vorwurf, er habe selbstherrlich gehandelt, wies er zurück. Der Stadtrat habe im März 2020 – sogar einstimmig – der Kündigung der Leiterin zugestimmt. „Mit denselben Informationen“, die man auch dem Gericht gegeben habe, betonte Niedermeier mehrmals.

Andere Rechtsauffassung?

Der Stadtchef sieht die Kündigungsentscheidung noch immer als richtig an. Gerichtsentscheide müsse man natürlich akzeptieren, aber ob das Gericht das „Richtige“ in die Waagschale geworfen habe, zweifelte er an.

Das Gericht indes hatte wie gesagt bei der Leiterin kein Fehlverhalten erkennen können. Demnach hatte sie den vorgeschriebenen Weg eingehalten und die Vorwürfe gegen den Erzieher sofort dem Jugendamt gemeldet. Dass der Träger (in diesem Fall die Stadt Kandel) informiert werden muss, ist eigentlich nicht vorgesehen.

„Eklatanter Fehler“

Aus seinen Notizen las Niedermeier vor: Nach Angaben des Kinderschutzbunds gab es in den zehn Tagen ab der Meldung an das Jugendamt bis zur Verhaftung von S. einen weiteren Übergriff auf ein vierjähriges Kind.

Tatsache sei, so Niedermeier, die Kita-Leiterin hätte die Stadt informieren können über die damaligen Personalengpässe und Probleme. (damals fehlten mehrere Betreuungspersonen in der Kita). Ein Anruf hätte genügt. Hätte man den Meldeweg eingehalten, „wie man sollte“, wäre ein weiterer Übergriff kurz vor der Verhaftung des Mannes nicht passiert. „So konnte ich meiner Pflicht nicht nachkommen. Es war nicht möglich. Das war ein eklatanter Fehler (der Kita-Leiterin, Anm.d.Red.) und ist nicht wieder gutzumachen.“ Deswegen stehe er nach wie vor zur Kündigungsentscheidung.

Mit nachträglicher Sitzung Fehler „geheilt“? 

Dass die Information an den Rat in Sachen Berufung vor dem Landesarbeitsgericht „nicht gut“ gelaufen sei, räumte CDU-Fraktionssprecherin Judith Vollmer ein. Allerdings sei dieser Fehler durch eine nachträgliche Sitzung „geheilt“ worden.

„Hätten noch widersprechen können“

Niedermeier sagte, die Ratsmitglieder hätten zu diesem Zeitpunkt der Berufung noch widersprechen können. Das hatten auch einige Ratsmitglieder getan, allerdings nicht mehrheitlich. Der Stadtbürgermeister wiederholte: „Es ist einfach nur falsch zu behaupten, die Stadtspitze habe hintenrum Entscheidungen gefällt. Sie hätten jederzeit dagegen stimmen können.“ Versuchte Einlassungen wiederum von Ludwig Pfanger wurden diesmal von Michael Gaudier unterbunden: „Jetzt spricht der Bürgermeister.“

SPD: Erheben offen Vorwurf

Er habe noch immer „Gänsehaut“, wenn er an die Geschehnisse zurückdenke, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Markus Jäger-Hott. Die SPD habe die ganze Zeit Vorschläge gemacht, wie man mit allem umgehen könne. Es sei ein sehr schweres Thema. Aber: „Die Transparenz, die Kommunikation war unter aller Kanone. Es wurde so viel Geschirr zerschlagen. Diesen Vorwurf erheben wir – und zwar gerade raus.“

Jäger-Hott war bei den Gerichtsterminen in Landau und Mainz dabei. Unverständnis äußerte er darüber, dass der Stadtbürgermeister bei keiner der Gerichtsverhandlungen zugegen war. „Der Richter ist sehr wohl darauf eingegangen, wie er das sieht und wie die Stadt das eigentlich zu sehen hat. Wenn die Stadt Kandel vor Gericht steht, muss der Stadtbürgermeister da sein“, forderte er. (cli)

* Fragen des Antrags von Die Linke und FWG

  1. Welche Kosten sind der Stadt Kandel durch die beschriebenen Entscheidungen bislang entstanden?
  2. Wie wird die laufende und künftige Kostensituation deklariert?
  3. Warum wurde kostenfreie Rechtshilfe durch den kommunalen Arbeitgeberverband (mit der Aussicht auf erfolglose Berufung) von der Stadt Kandel nicht in Anspruch genommen?
  4. Ist seitens der Stadt Kandel eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das zweitinstanzliche Urteil – welches der Stadt Kandel weitere Kosten bescheren würde – beabsichtigt?
  5. In welchem Stadium befindet sich die Klärung der Weiterbeschäftigung der KITA-Leiterin?
  6. Wie wird die Notwendigkeit des erforderlichen Nachtragshaushalts gegen über den Aufsichtsbehörden (Obere Kommunalaufsicht ADD und rheinland-pfälzischer Rechnungshof) vom Stadtbürgermeister begründet?
  7. Wie stellt sich der Stadtbürgermeister zu seiner Verpflichtungserklärung, Schaden von der Stadt Kandel abzuwenden, zum Wohl der Stadt Kandel zu agieren und die gewissenhafte Erfüllung dieser Verpflichtungen nicht zum zentralen Leitgedanken seiner Entscheidungen hinsichtlich deren monetären Folgen gemacht zu haben?

 

 

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